BOCHUM. Eine Schule völlig ohne Druck und Stress wäre eine denkbar schlechte Studien-, Berufs- und Lebensvorbereitung, sagte Philologenchef Heinz-Peter Meidinger unlängst. Forscher der Universität Bochum haben aktuell jedoch eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass Erinnern und Wahrnehmen durch Stress massiv behindert werden kann.
„Dass Stress das Abrufen von Erinnerungen verhindern kann, war uns schon bekannt. Jetzt wissen wir, dass Stress auch einen deutlichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung hat“, erklärt Dr. Hubert Dinse, einer der Autoren der Studie.
In ihrer Studie untersuchten die Forscher, wie sich nach einer Trainingsphase der Tastsinn von 30 Versuchsteilnehmern entwickelte. Die Hälfte von ihnen bekam während des Versuchs eine mittlere Dosis des Stresshormons Cortisol verabreicht, während die andere Gruppe ein Placebo einnahm.
Während die Placebogruppe die Leistungsfähigkeit ihres Tastsinnes wie erwartet um etwa 15 Prozent steigern konnte, verhinderte die Cortisolgabe bei der anderen Gruppe die Verbesserung des Tastsinnes fast komplett.
Kognitionspsychologe Prof. Dr. Oliver T. Wolf: „Unsere Daten zeigen, dass eine einzige Dosis des Stresshormons nicht nur die Erinnerungszentrale im Hippocampus stört, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die Plastizität von Sinnesarealen des Gehirns hat.“
In vorherigen Studien, bei denen auf Zellebene geforscht wurde, stellten Neurowissenschaftler bereits fest, dass Cortisol die Verstärkung von synaptischen Verbindungen – und damit die Lernfähigkeit des Gehirns – hemmt.
In der bildungspolitischen Debatte schwingen die beiden Standpunkte stets im Hintergrund mit. Reformpädagogen und liberale Kräfte berufen sich gerne auf solche und ähnlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse, um für mehr Freiheit beim Lernen einzustehen. Deren Gegner diskreditieren diese Argumente gerne als “Kuschelkurs” und ergänzen dieses mit dem Verweis auf die “harte Realität” außerhalb der Schule.
Es wäre naiv zu glauben, dass die Schule völlig unabhängig von ihrer Umgebung bestehen könnte – selbst wenn das für die Lernentwicklung besser wäre. Die Schule hat – neben ihrer Aufgabe als Wissensvermittler – eben tatsächlich auch die Aufgabe, auf das Leben vorzubereiten. Aber bereitet man etwa auf das Berufsleben vor, indem man dessen Stresssituationen auf die Schule überträgt? Sicherlich nicht. Mit diesem Argument könnte man die Schüler auch täglich anschreien, nur damit sie lernen, dass Erwachsene auch mal laut werden.
Die Schule hat eine Vorbildfunktion in der Gesellschaft, auch wenn dieser Anspruch manchmal schwer zu erreichen ist. Sie sollte daher nicht Stresssituationen erzeugen, sondern Schülerinnen und Schüler beibringen, mit solchen und ähnlichen unerfreulichen Situationen umzugehen. nin
