JENA. Ich bin jung, gebildet, motiviert, pragmatisch und voller Ideen. Das nützt mir aber scheinbar rein gar nichts, denn ich bekomme schlicht und einfach keine Chance, dies alles zu nutzen und mich selbst zu beweisen. Im Oktober 2016 habe ich an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mein 1. Staatsexamen für die Fächer Deutsch/Chemie (Gymnasium) mit der Gesamtnote 1,85 abgeschlossen – eigentlich eine ordentliche Leistung, auf die man stolz sein könnte, so sollte man doch meinen. Doch nachdem ich das ganze Bewerbungsverfahren rund ums Referendariat nun durchlaufen habe, muss ich mir eingestehen: Immer mehr bekomme ich das Gefühl, dass meine Leistung wertlos ist, ebenso meine Persönlichkeit. Aber das wirklich Katastrophale an der Sache ist, dass ich dabei bei weitem kein Einzelfall bin, ganz im Gegenteil. Das ist nicht nur frustrierend, sondern auch wirklich diskriminierend.
Wir alle wissen, dass „Lehrer sein“ mehr bedeutet als Vermittlung von Faktenwissen. Nicht umsonst schwebt seit der Kultusministerkonferenz 2004 immer wieder das Schlagwort „Kompetenzorientierung“ im Raum. Wir sollen fördern und fordern, sodass möglichst jeder einzelne Lernende seine Fähigkeiten und Fertigkeiten zielführend zur Entfaltung bringen kann. Ein idealistisches, aber gerade deshalb sehr edles Anliegen. Auch in der universitären Phase der Lehrerbildung bekommt man als Lehramtsstudierender immer wieder eingetrichtert: Es geht in diesem Job um weit mehr als Fachwissen vermitteln und abfragen. Aufgabe als Lehrerkraft ist es, letztendlich mündige und selbstständige Individuen hervorzubringen, damit das Fundament einer demokratischen Gesellschaft bestehen bleibt. Eine ehren- und gleichermaßen verantwortungsvolle Aufgabe.

Bedauerlicherweise musste ich feststellen, dass diese Aufgabe offenbar in einem gigantischen Widerspruch mit den Prozessen, die hinter den Kulissen in Schulämtern und Behörden ablaufen, steht. Wie sollen Lehrer- und Lehrerinnen (egal welchen Alters und welcher Schulart) Persönlichkeiten und Individuen formen, wenn sie selbst nicht als solche wahrgenommen und behandelt werden? Wie kann ein System am Ende fähige Bürgerinnen und Bürger hervorbringen, wenn es innerlich selbst mit denen dafür entscheidenden Werten bricht? Es ist mir bewusst, dass wir uns in einem unglaublich komplexen und tiefschichtigen Netzwerk befinden und dass sich solche Schwierigkeiten nicht über Nacht beseitigen lassen. Es ist mir auch bewusst, dass dies in der Tat harte und spitze Wort sind. Es ist mir auch bewusst, dass es leichter ist zu kritisieren als am Ende wirklich zu verändern. Doch gleichermaßen ist mir auch bewusst, dass diese Gedanken nicht mehr länger ignoriert werden dürfen, da sie tagtäglich in sämtlichen Lehrerzimmern diskutiert werden, was teilweise auch für ein hohes Frustrationslevel aller Beteiligten sorgt. Dass dies am Ende Gift für jeden von uns ist, liegt auf der Hand. Auch wenn ich noch jung und am Anfang meines Lehrerlebens stehe, ist meine Skepsis gegenüber den bestehenden Strukturen schon tief verwurzelt. Im Folgenden möchte ich kurz erläutern, was die Ursachen für meine Zweifel sind, dabei aber gleichzeitige einige Ansätze zur Verbesserung in den Raum werfen.
- Wartezeiten
Egal wie diszipliniert man studiert, wie hart und gewissenhaft man arbeitet, wie gut man sich auch vorbereitet, ob man nach Musterstudienplan fertig wird oder nicht; jeder Absolvent muss mindestens ein halbes Jahr nach Beendigung seines Studiums aussitzen, bevor er überhaupt eine Chance auf einen Referendariatsplatz bekommen kann. Dabei hat jedoch keiner die Gewissheit, dass bei einem halben Jahr bleibt, für die meisten wird die Wartezeit doppelt so lang. Viele meiner Kommilitonen versuchen sich mit Minijobs und Aushilfsarbeiten irgendwie verzweifelt über Wasser zu halten und kämpfen mit Existenzängsten. Ich frage mich, ob es nicht möglich wäre in irgendeiner Form offizielle Programme oder Austauschmöglichkeiten zu organisieren, die diese Übergangszeit mehr strukturieren, sodass die Studierenden nicht mehr länger das Gefühl haben, in ein undefinierbares Loch zu fallen.
2. Unterdrückung von Eigeninitiative und Autonomie bei Bewerbern und Schulen
Es ist für mich bisweilen nur sehr begrenzt nachvollziehbar, warum den einzelnen Ausbildungsschulen bei der Auswahl der Referendare so wenig Mitspracherecht und Eigenständigkeit zugestanden wird. Man sollte doch meinen, dass jede Einrichtung selbst am besten weiß, in welchen Fächern und Bereichen Bedarf an Referendaren besteht und welche Persönlichkeitsmerkmale ein Referendar haben sollte, damit er gut zur jeweiligen Schule passt. Mich beschleicht immer mehr das Gefühl, das dies alles im derzeitigen Bewerbungsverfahren überhaupt nicht berücksichtig wird. Natürlich kann ich alle Aspekte rund um den organisatorischen Aufwand verstehen aber zeitgleich wirft sich für mich die Frage auf: Würde sich nicht der organisatorische Aufwand für alle Seiten auch verringern, wenn man den Schulen mehr Autonomie geben würde? Veranschaulichen möchte ich das gerne an meinem eigenen Beispiel: Ich habe mir nach Abschluss meines Studiums ein Empfehlungsschreiben vom Gymnasium im Schmalkalden ausstellen lassen, da ich dort ein halbjähriges Praktikum absolviert habe und ich mich sehr tief mit dieser Schule verbunden fühle. Jenes Schreiben sagt aus, dass die Schulleitung mich dort gerne als Referendarin aufnehmen wollen würde, es dort auch Kapazitäten für mich gibt, geeignete Mentoren vorhanden sind und man mich für eine angemessene Kandidatin befindet. Ich habe aber nun schmerzlich begriffen, dass Schreiben wie solche nicht berücksichtigt werden. Warum das so ist, kann ich mir nicht erklären. Für mich werfen sich nur folgende Fragen auf: Würde man mit der Beachtung solcher Schreiben alle Beteiligten zufriedener machen? Würde das nicht sogar gleichermaßen den wünschenswerten Nebeneffekt mit sich bringen, dass der organisatorische Aufwand für alle Instanzen abnimmt?
3. Oberflächliche Strukturen im Bewerbungsverfahren
Jene Strukturen stehen eng im Zusammenhang mit den bereits erwähnten Punkten. Leider musste ich feststellen, dass die Struktur des Bewerbungsverfahrens völlig falsche Signale setzt. Man bekommt unterschwellig suggeriert, man ist eine leblose Nummer auf einer Liste, die nach Gutdünken auf Basis des Notendurchschnitts erstellt und abgearbeitet wird. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass die besten Absolventen auch am schnellsten einen Platz bekommen sollten, aber warum macht man es dem Rest dabei so schwer? Ich bin der Meinung, dass der alleinige Blick auf eine einzige Abschlussnote sehr oberflächlich ist und wenig Aussagekraft darüber besitzt, inwiefern ein junger Mensch für den Lehrerberuf geeignet ist oder nicht. Hand aufs Herz: Ich denke, wir alle kennen jene Kollegen, die fachliche Spitzenreiter sind, denen es aber maßgeblich an Sozialkompetenz und pädagogischen Feingefühl fehlt. Genau diese, werden durch die Struktur des Verfahrens signifikant bevorzugt. Der Lehrerberuf ist doch ein Beruf, in dem es unglaublich auf die Struktur der Persönlichkeit, Sozialkompetenz und Teamfähigkeit ankommt.
Warum werden diese Aspekte bei der Bewerbung für das Referendariat überhaupt nicht berücksichtig? Warum gibt man den Absolventen nicht die Möglichkeit, sich persönlich an Schulen vorzustellen, Gespräche zu führen, Probeunterricht zu gestalten und somit mit dem menschlichen Gesamtpaket zu überzeugen? Warum ist eine leblose Zahl mehr wert, als entscheidende Persönlichkeitsmerkmale? Widerspricht das nicht alles völlig den Grundsätzen, die ein erfolgreicher zeitgemäßer Lehrer vertreten sollte? Zusammenfassen könnten man meine Ausführungen zu diesem Punkt mit dem Wunsch nach einer „Humanisierung des Referendariats“. Ich bin davon überzeugt, dass Lehrer und Referendare nur humane Werte bei ihren Zöglingen fördern können, wenn sie selbst entsprechend behandelt werden.

4. Schlechte Übergänge zwischen den Generationen und die nicht endende Diskussion über den Lehrermangel
Meine Ausführungen haben gezeigt, wie schwer es für eine junge Lehrkraft bereits ist, überhaupt erst einmal an eine Schule zu kommen. Folglich gibt es eine große Anzahl an jungen, motivierten Absolventen, die ohne Arbeit sind. Auf der anderen Seite habe ich aber aus zahlreichen, langen Gesprächen mit den älteren Kollegen erfahren, dass es viele über 60-jährige Lehrkräfte gibt, die gerne das Feld für die Jugend räumen würden, denen aber der Eintritt in die Rente verweigert wird. Zwei Feststellungen, die für mich in einem völlig paradoxen Zusammenhang stehen. Warum macht man den jungen Kollegen den Einstieg und zeitgleich den älteren den Ausstieg so schwer? Würden auch hier nicht alle Beteiligten davon profitieren, wenn dieser Konflikt entschärft werden würde? Noch kurioser wird die Situation, wenn man sie unter dem altbekannten Schlagwort „Lehrermangel“ betrachtet. Personalprobleme und Stundenausfälle sind fast überall zum Tagesgeschäft geworden, obwohl es zugleich wahnsinnig viele engagierte Junglehrer gibt, die nur darauf warten, endlich zu vernünftigen Bedingungen arbeiten zu können. Diskussionen und immer wieder neu erscheinende Zeitungsartikel zum Thema Lehrermangel führen bei mir und meine Leidensgenossen mittlerweile nur noch zu einem resignierenden, sarkastischen Lachen.
Ein weiterer Punkt, der mir als Junglehrer problematisch erscheint, ist das Thema der kontinuierlichen Sicherung der Unterrichtsqualität über die Jahre hinweg. Im Referendariat werden junge Lehrer permanent kontrolliert, sehr genau bewertet und ihr Unterricht wird über alle rationalen Maße hinweg kleinlich auseinandergenommen. Nach Beendigung des Referendariats gibt es hingegen kaum noch Kontrollen zur Qualitätssicherung. Wenn es zu Hospitationen oder ähnlichen Maßnahmen kommt, werden sie wenig ernstgenommen, da sie kaum mit Konsequenzen verbunden sind. Während meines Studiums habe ich – wie sehr viele meiner Kommilitonen auch – wirklich wahnsinnig viel schlechten, lieblosen Unterricht gesehen, wobei sich die Lehrkräfte zum Großteil durchaus ihrer mangelnden Unterrichtsqualität bewusst waren, aber schlimmer noch: Es war ihnen teilweise sogar völlig egal, selbst wenn ein Lehramtsstudierender hospitiert hat. Hauptsache bequem. Nachdem ich nun schon 4 Jahre als Nachhilfelehrerin jobbe, kann ich die Auswirkungen eines so gestalteten Unterrichts immer wieder hautnah miterleben. Das tut mir teilweise unglaublich weh. Dies verfehlt völlig das oberste Ziel unseres Berufes, die Schülerinnen und Schüler bei ihrer Entwicklung zu mündigen, selbstständigen Bürgern zu unterstützen und sie dazu zu befähigen, ihr Potenzial zur Entfaltung zu bringen. Das macht mich so traurig. Für mich stellt sich in diesem Zusammenhang daher die Frage: Gibt es nicht eine Möglichkeit, diesen Kontrast zwischen dauerhaften Überprüfung im Referendariat und der danach anscheinend völlig fehlenden irgendwie zu überbrücken? Kann man nicht Wege schaffen, die die punktuelle Sicherung der Unterrichtsqualität hin zu einer kontinuierlichen Sicherung bei gleichzeitiger verstärkter Unterstützung der Lehrkräfte auszubauen? Mir kommen dabei Ansätze an vermehrte Hospitationszirkel oder Konzepte wie Team-Teaching in den Sinn. Vor allem wäre aber auch wichtig, dass Hospitationen oder ähnliche Maßnahmen mehr Konsequenzen mit sich bringen müssen. Warum arbeiten wir so viel gegeneinander, anstatt miteinander.
5. Mangelnde Kommunikation
Der letzte Aspekt, den ich noch anreißen möchte, ist das Thema der mangelnden Kommunikation. Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass es in unserem Bildungssystem auf allen Ebenen an vernünftiger Kommunikation mangelt. Um nur ein paar Schlagworte zu nennen: Es gibt zu wenig zielführende Kommunikation, was den Übertritt von Primar- zur Sekundarstufe betrifft; zwischen Schule und Universität (Stichwort zeitgemäße Lehrerbildung); zwischen den einzelnen Fachschaften einer Schule; zwischen den Schulen und Ämtern. Ein für besonders illustrierendes Beispiel dafür betrifft besonders Lehrende der Naturwissenschaften und das Unterrichtsfach Mensch-Natur-Technik, welches im Schuljahr 2009/2010 eingeführt wurde. Es soll in den Klassenstufen 5 und 6 alle Naturwissenschaften vereinen. Viele Lehrerkräfte sind damit überfordert, da sie meistens nicht für alle Naturwissenschaften ausgebildet sind. 7 Jahre nach der Einführung des Faches sollte man doch allerdings davon ausgehen, dass nun wenigstens die kommende Lehrergeneration an Naturwissenschaftslehrern eine universitäre Ausbildung für das Fach MNT erhält. Leider ist dies aber immer noch nicht einmal im Ansatz der Fall. In der praktischen Konsequenz verfährt jede Lehrkraft nach Gutdünken – der Biologielehrer verbleibt bisweilen beim klassischen Biologieunterricht; der Physiklehrer gestaltet es nach Möglichkeit physikalisch und der Chemielehrer ist damit überfordert, weil die meisten Lernenden in der 5. Klasse noch nicht dazu bereit sind, in chemischen Strukturen zu denken. Ich bin daher nicht ganz sicher, ob das wirklich zielführend und besser als die klassische Dreiteilung der Naturwissenschaften ist. Natürlich ist MNT nur ein Beispiel, dass ich gewählt habe, weil es mich als Chemielehrerin betrifft. Andere ähnliche gelagerte Punkte betreffen Mammutaufgaben wie Inklusion oder sämtliche Diskussionen um Deutsch als Fremdsprache. Lehrkräfte sollen dies alles handeln können, bekommen aber keine Ausbildung und Unterstützung.
Als Letztes möchte ich noch erwähnen, dass ich es besonders schade finde, dass es so wenig Kommunikation zwischen der jüngeren und der älteren Lehrergeneration gibt. Ich bin fest davon überzeugt, dass dadurch wichtige Gedanken und Ansätze verloren gehen. Wir können doch alle irgendwie immer etwas voneinander lernen. Auch hier stellt sich mir die Frage: Warum arbeiten wir offensichtlich so viel gegeneinander, anstatt einfach etwas mehr miteinander?
Ich weiß, dass alle meine Gedanken idealistisch sind. Ich weiß, dass ich vielleicht an der ein oder anderen Stelle über das Ziel hinausgeschossen bin. Ich weiß, dass alles unglaublich komplex ist. Ich weiß, dass ich noch nicht über wirklich viel standfeste Erfahrung verfüge und noch viel lernen muss. Ich weiß, dass kritisieren einfacher und schneller ist als verändernde Prozesse in Gang zu bringen. Aber ich weiß auch, dass ich mich aus tiefsten Herzen gerne an einer Veränderung beteiligen möchte und ich hoffe nur, dass mir unser Bildungssystem bald einfach nur die Chance dazu geben wird. Maren Böhm
Der Text ist erstmals erschienen in: Thüringer Schule, Zeitschrift des tlv thüringer lehrerverband, Nr. 1/2017
