BERLIN. Wenn es nach der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry und dem Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke geht, haben die Schulen in Deutschland künftig ein deutlich anderes Bild von der Nazi-Zeit zu vermitteln als bisher. Petry sagt voraus, dass man in Zukunft „differenzierter argumentieren wird über den Zweiten Weltkrieg, nicht nur aus Sicht der Sieger“. Und Höcke meint: „Das große Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird.“
Was deutsche Schüler über den Nationalsozialismus erfahren, wird in einer von der Kultusministerkonferenz herausgegebenen Zusammenstellung der das Thema betreffenden Lehrpläne deutlich. „Bei der Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erkennen die Schülerinnen und Schüler, dass eine radikale, totalitäre Bewegung sich im Innern und gegenüber dem Ausland menschenverachtend durchzusetzen vermag, wenn ihr nicht frühzeitig entschieden Einhalt geboten wird“, so heißt es beispielsweise im Hamburger Curriculum für Geschichte in den Klassen 9 und 10 am Gymnasium. „Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass Rassismus, Holocaust, Eroberungskrieg und Völkermord ideologisch begründete konstitutive Wesensmerkmale des Nationalsozialismus sind.“
Überfall auf Polen als “lokaler Konflikt”
Wenn es nach führenden AfD-Vertretern geht, bekommen die Schüler in Deutschland künftig ein deutlich anderes Bild von der Nazi-Zeit vermittelt. Er störe sich nicht nur am Umgang mit dem Leid, das die deutsche Bevölkerung und die Kriegsgefangenen erfahren hätten, so erklärte der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke, selbst Geschichtslehrer von Beruf, gegenüber dem renommierten US-amerikanischen „Wall Street Journal“, sondern auch am Umgang mit Adolf Hitler selbst: „Das große Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird. Aber wir alle wissen natürlich, dass es in der Geschichte kein Schwarz und kein Weiß gibt.“ Auch für die Frage der Kriegsschuld hat Höcke eine eigenwillige Interpretation der Geschichte parat: Der AfD-Politiker glaubt laut „Wall Street Journal“, dass der Zweite Weltkrieg als lokaler Konflikt begann, in dem Hitler verständlicherweise versucht habe, die nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete zurückzuerobern.
Björn Höcke hat die Zitate zwar dementiert. „Das habe ich so nicht gesagt. Das ist nicht meine Meinung“, so behauptet er. Der “Bild”-Zeitung liegt aber mittlerweile ein Tonband-Mitschnitt des Interviews vor – ihr Fazit: Höcke lügt.
Der aktuell vom Schuldienst freigestellte Landtagsabgeordnete hatte zuvor bereits für Wirbel gesorgt, weil er das Holocaust-Gedenken der Deutschen – und insbesondere der Schulen in Deutschland – kritisierte. „Anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben, …vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt…, und anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen, wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht“, erklärte Höcke gut eine Woche vor dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.
Höcke war für diese Aussage massiv kritisiert worden – auch von Vertretern seiner eigenen Partei wie der Vorsitzenden Frauke Petry, die ein Parteiausschlussverfahren initiierte (dem allerdings kaum Chancen eingeräumt werden). Petry stieß sich aber offenbar weniger am Inhalt des Gesagten, als an dem Umstand, dass Höcke damit allzu forsch in die Öffentlichkeit gegangen war und bürgerliche Wähler verschrecken könnte.
Höcke: Zu radikal für den Schuldienst? – Überhaupt: Wie extrem darf ein Lehrer öffentlich auftreten?
Dass sich Petry inhaltlich von Höcke kaum unterscheidet, machen Aussagen deutlich, die das „Wall Street Journal“ von ihr jetzt veröffentlicht hat. Petry wird zitiert, Besuche in Konzentrationslagern seien für Schüler wichtig, um zu verstehen „was Menschen Menschen antun können“. Sie fügt hinzu: „Im gleichen Maße sollte man sie darüber informieren, dass die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg es den deutschen Kriegsgefangenen erlaubten, in Lagern auf den Rheinwiesen zu verhungern“. Der Holocaust würde damit also zu einem von vielen Gräueln während des Zweiten Weltkriegs „herabgestuft“. Petry prophezeit dem Bericht zufolge, dass man „in einigen Jahrzehnten etwas differenzierter argumentieren wird über den Zweiten Weltkrieg, ähnlich wie beim Ersten Weltkrieg nicht nur aus Sicht der Sieger“.
Gefragt nach den Ursachen des Zweiten Weltkriegs, soll Petry nachgelegt haben – mit der Aussage, dass Kriege normalerweise nur dann stattfänden, „wenn mehrere Parteien sie wollen“.
Wo “der Feind” steht
In einer gemeinsamen Erklärung von Petrys Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen, dem Brandenburgischen AfD-Chef Alexander Gauland und seinem niedersächsischen Pendant Paul Hampel, die am 22. Februar via Facebook veröffentlicht wurde, heißt es: „Björn Höcke hat sich entschuldigt; er hat Fehler eingeräumt, was für seinen Charakter spricht und leider eine sehr seltene politische Tugend ist. Jetzt ist es an uns, kameradschaftlich und klug zu handeln und den Ausschlussantrag zurückzuziehen.“ Denn: „Der Feind steht im Lager der Konsensparteien von CDU, SPD, Grünen und Linken.“
Kleine Geschichtslektion: Das NS-Regime nutzte den Begriff des „Volksfeindes“, um Juden zu brandmarken und Verfolgungen von politischen Gegnern zu legitimieren. Agentur für Bildungsjournalismus
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