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Neue PISA-Daten: Mobbing unter Schülern ist in Deutschland weit verbreitet – was Sie als Lehrkraft dagegen tun können

BERLIN. Mobbing unter Schülern ist vielfältig und auch in Deutschland längst kein Randphänomen mehr. Gegen das Spießrutenlaufen in Klassenzimmern und auf Schulhöfen empfehlen Experten eine «Null-Toleranz-Praxis» und mehr flächendeckende Konzepte.

Kinder, die von Mitschülern gemobbt werden, haben signifikant weniger Freude am Lernen. Foto:
woodleywonderworks / flickr (CC BY-NC 2.0)

In Waibstadt steht Mobbing auf dem Stundenplan. Die Realschule des Städtchens in Baden-Württemberg beteiligt sich an einem Pilotprojekt der Uni Heidelberg im Kampf gegen teils brutale körperliche oder seelische Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen durch ihre Mitschüler.

Dort passiert im Kleinen, was OECD-Bildungsforscher jetzt mit Blick auf alarmierende neue PISA-Daten auch für Deutschland eindringlich fordern: dass es endlich gemeinsame Kraftanstrengungen geben muss gegen systematisches Mobbing an Schulen. Also gegen die kleinen Fiesheiten und Hänseleien im Unterricht oder bewusst gestreute Gerüchte im Internet, gegen eiskalte soziale Ausgrenzung und regelmäßige «Keile» für Außenseiter.

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Mobbing unter Schülern: Die „Bild“-Zeitung empfiehlt Eltern, Lehrer zu verklagen – sogar Schmerzensgeld sei drin

«Für manche ist die Schule ein Ort der Qual», schreibt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Deren Bildungsdirektor Andreas Schleicher sieht angesichts zigtausender Mobbing-Opfer erheblichen Handlungsbedarf. Der Anteil Betroffener an deutschen Schulen sei sehr hoch, «gerade wenn man sich nicht nur das physische Mobbing anschaut. Beim sozialen und psychologischen Mobbing sind die Größenordnungen viel stärker ausgeprägt», sagt der Leiter vieler PISA-Studien im Gespräch. «Das ist kein Randphänomen.»

Aus der am Mittwoch veröffentlichten PISA-Sonderauswertung zum Lernumfeld von 15-Jährigen in aller Welt geht hervor, dass hierzulande fast jeder sechste Neuntklässler (15,7 Prozent) mehrfach im Monat zum Mobbing-Opfer wird. Die umfangreiche Studie stellt fest, dass regelmäßig Betroffene insgesamt weniger Lebensfreude empfinden, aber auch ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl für die eigenen Schule. Zudem sei das Lernklima für sie oft so schlecht, dass sich das Mobbing-Problem auf die Schulleistungen auswirke.Insgesamt sind Jungen laut OECD häufiger Mobbing-Opfer als Mädchen. Diese sind aber stärker von Ausgrenzung und bösen Gerüchten betroffen.

Im Schnitt aller OECD-Teilnehmerländer ist nahezu jeder Fünfte (18,7 Prozent) betroffen. Besonders schlimm scheint die Lage in Hongkong, Lettland und der Dominikanischen Republik zu sein, wo sich jeweils über 30 Prozent der Schüler als häufige Mobbing-Opfer sehen. Einigermaßen entspannt mit Betroffenenquoten um die zehn Prozent geht es laut OECD-Zahlen in den Niederlanden, Taiwan, Portugal, Island und Südkorea zu.

Mobbingstudie: Nicht alle Lehrer erkennen die Gewalt im Klassenzimmer gleichermaßen

Zurück nach Deutschland. Hier müsse Mobbing «viel stärker» als bisher zum Thema werden, sagt PISA-Experte Schleicher. «Da hilft nur eine Null-Toleranz-Praxis, um deutlich zu machen, dass so etwas nicht akzeptiert wird.» Alle Beteiligten sollten dafür an einen Tisch – die Schulleitungen, die Lehrer, die Eltern und natürlich die Kids.

Was Lehrer besser machen können – dazu haben der Bildungsforscher Wilfried Schubarth (Uni Potsdam) und der Psychologe Ludwig Bilz (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg) einige Antworten gefunden. Mit ihren Teams befragten sie für eine kürzlich erschienene Studie gut 2000 Schüler und 550 Pädagogen in Sachsen: Wie reagieren Lehrer in Mobbing-Situationen, welche Auswirkungen hat ihr Handeln, wie könnte die Kompetenz beim Eingreifen gestärkt werden?

«Wir haben herausgefunden, dass Lehrkräfte besonders dann intervenieren, wenn ihr Verständnis von Gewalt breit ist, und sie beispielsweise soziale Ausgrenzung und Hänseleien erkennen», sagt Bilz. «Lehrer, deren Verständnis für Gewalt sich auf körperliche Gewalt beschränkt, greifen seltener ein.» Ein weiterer Befund: Kooperationen mit Kollegen oder der ganzen Klasse sowie langfristige Maßnahmen auf Klassen- oder Schulebene sind eher selten – obwohl dies am nachhaltigsten wäre. «Bisher dominieren Hilfsangebote für Einzelne in der Praxis, während nur knapp 20 Prozent der Schülerschaft von kooperativen Angeboten berichten», berichtet Schuberth.

Als sinnvolles Projekt mit deutlich sinkenden Mobbing-Raten an Schulen gilt das Olweus-Präventionsprogramm. Die Methode des norwegischen Psychologen Dan Olweus wird derzeit auch an der Realschule Waibstadt getestet.

«Olweus» diene «vor allem der Verbesserung des Schulklimas und des Sozialverhaltens an Schulen», sagte Michael Kaess, Psychologe am Uniklinikum Heidelberg und Projektleiter, kürzlich dem Deutschlandfunk. «Und es ist ein Programm, das bewusst darauf abzielt, die gesamte Anzahl aller an einer Schule sich befindenden Menschen zu involvieren. Also von der Schulleitung über die gesamte Lehrerschaft, anderes Schulpersonal, Schüler, Eltern.»

Genau dies empfiehlt jetzt auch die OECD für einen konsequenten Anti-Mobbing-Kampf, um das psychische oder physische Spießrutenlaufen an deutschen Schulen deutlich zu verringern. Wichtig sei unmittelbares Eingreifen, so Kaess. «Mobbing lebt von Zuschauern – es darf nicht cool sein, Klassenkameraden zu drangsalieren.» Von Werner Herpell, dpa

Hier gibt es weitere Informationen zum Olweus-Präventionsprogramm.

Lehrer fordern eine Klassenlehrerstunde – für Kampf gegen Mobbing

 

Mobbing: KMK in Sorge

Die hohe Zahl von Mobbing-Opfern an deutschen Schulen bereitet den Bildungsministern der Bundesländer Sorge. «Mobbing und ein zunehmend verrohender Umgang in der Gesellschaft und im Internet zeigen, dass die klassischen Kompetenzen – wie die Fähigkeit, werteorientiert und reflektiert zu handeln, Konflikte zu lösen und mit anderen Menschen konstruktiv und sozial zusammenzuleben – heute aktueller denn je sind», sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Susanne Eisenmann, am Mittwoch in einer Reaktion auf den OECD-Report zum Wohlbefinden der Schüler.

Daher werde Demokratiebildung immer wichtiger, fügte die CDU-Politikerin aus Baden-Württemberg hinzu. «Unsere Schülerinnen und Schüler müssen selbst erfahren, was unsere demokratischen Grundwerte und unsere demokratische Kultur ausmachen, was es bedeutet, unterschiedliche Standpunkte zu diskutieren und Verantwortung zu übernehmen. Diese Werte sind eine Voraussetzung dafür, dass Mobbing und Gewalt gar nicht erst entstehen können.» In Deutschland wird nach einer neuen PISA-Studie fast jeder sechste 15-Jährige oft Opfer von teils massivem Mobbing an seiner Schule.

Linke-Chef Bernd Riexinger erklärte, die hohe Prozentzahl von Mobbing-Opfern an den Schulen zeige «eine riskante gesellschaftliche Entwicklung: Zusammengehörigkeitsgefühl und Gemeinschaftssinn weichen zunehmend einem Klima sozialer Kälte und Verrohung.» Angesichts des Lehrermangels müsse Schulsozialarbeit «ein fester Bestandteil von schulischer Arbeit werden – an jeder Schule und dauerhaft». dpa

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