CHEMNITZ. Es ist Zeit, sich von der oft beschworenen Methodenvielfalt zu verabschieden und zu einer didaktisch begründeten Methodenvariation zurückzukehren – meint unser Autor, Prof. Dr. Bernd Dühlmeier. Er ist Inhaber des Lehrstuhls Schulpädagogik der Primarstufe am Zentrum für Lehrerbildung der TU Chemnitz. Der Beitrag ist zunächst in der Zeitschrift „Grundschule“ erschienen.
Unterrichtsmethoden 2.0: Das richtige Werkzeug wählen
Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten PISA-Studie (2001) wurde die Forderung laut, den Unterricht methodisch abwechslungsreich zu gestalten. Das hatte schon Jahre zuvor der Oldenburger Schulpädagoge Hilbert Meyer mit der These verfochten: „Der erste Schritt zur Schulreform ist die Erneuerung der Unterrichts- und Methodenkultur im Schulalltag!“ (Meyer 1997, S. 159). Meyer war es auch, der zügig einen Katalog mit Merkmalen guten Unterrichts veröffentlichte (2004) und damit sowohl die schulpädagogische Diskussion dominierte als auch die Praxis der Schulinspektionen prägte.
Ein Merkmal seines Katalogs war und ist die Methodenvielfalt. Sie liegt laut Meyer (2016, S. 74f.) dann vor, wenn der Reichtum der verfügbaren Inszenierungstechniken (z.B. vormachen oder zeigen) genutzt und eine Vielfalt von Handlungsmustern eingesetzt wird (z.B. Vortrag, Erzählung). Ebenso kann von Methodenvielfalt gesprochen werden, wenn die Verlaufsformen des Unterrichts (z.B. Einstieg, Erarbeitung, Ergebnissicherung) variabel gestaltet werden und das Gewicht der Grundformen des Unterrichts (Lehrgänge, Freiarbeit, Projektarbeit) ausbalanciert ist.
Der Beitrag ist der Ausgabe 6/2017 Zeitschrift “Grundschule” entnommen.
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Didaktische Entscheidungen für oder gegen Unterrichtsmethoden können nur dann begründet getroffen werden, wenn Lehrkräfte über ein breites Repertoire an Unterrichtsmethoden verfügen. Das Heft zeigt methodische Variationen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sachunterricht sowie in Kunst und Ethik auf. Diese fachbezogenen Überblicke werden durch 12 Unterrichtsmethoden im Innenteil – vom Einstieg bis zum Feedback – ergänzt, verbunden mit einer Checkliste zur Einführung neuer Unterrichtsmethoden.
Wie wurde die Forderung nach Methodenvielfalt begründet? Zwei Aspekte waren bedeutsam: Erstens könnten Lehrkräfte nur so den vielfältigen unterrichtlichen Aufgabenstellungen gerecht werden. Zweitens sei Methodenvielfalt erforderlich, um die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Interessen der Schüler zu beachten. Das erste Argument überzeugt nicht, denn auch in einem monotonen Unterricht fallen diverse Aufgaben im Unterricht an – und die müssen erfüllt werden. Das zweite Argument – Meyer bezieht sich dabei auf den Psychologen und Unterrichtsforscher Franz E. Weinert (1997) – ist gewichtiger. Allerdings ist zu bezweifeln, ob eine bunte Palette an Unterrichtsmethoden die angemessene Antwort auf die Heterogenität der Schüler sein kann. Auffällig ist, was nicht als Begründung herangezogen wird: Es sind didaktische Überlegungen in Bezug auf unterrichtsmethodische Entscheidungen. Dafür ist auch kein Platz, geht es doch in der obigen Definition um ein Ausbalancieren der drei Grundformen des Unterrichts, um ein – zugespitzt formuliert – bloßes Bedienen dieser Säulen, um einen Schematismus, der aber doch der geforderten Beachtung der Vielfalt entgegensteht.
Warum hat sich der Begriff Methodenvielfalt dennoch durchgesetzt? Drei Gründe sind zu nennen:
- Ob Herbert Gudjons (2004), Hilbert Meyer (2004) oder Eiko Jürgens (2008): Die im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts als Reaktion auf die PISA-Diskussion veröffentlichten Kataloge guten Unterrichts wiesen Methodenvielfalt als eines derjenigen Merkmale aus, die einen hohen Einfluss auf die Effekte des Unterrichts haben.
- Damit einher ging das Wirken der Schulinspektionen. Sie übernahmen in ihre Beobachtungsbögen die Merkmale guten Unterrichts und damit auch die Methodenvielfalt. Es liegt nahe, dass Lehrkräfte bei einer 20-minütigen Hospitation der Schulinspektion das tun, was von ihnen erwartet wird: möglichst viele Methoden einzusetzen.
- Die Forderung nach Methodenvielfalt wurde schließlich durch das spezielle Methodentraining Heinz Klipperts bedient. Klippert verwies einerseits zu Recht darauf, dass selbstständiges Lernen das Beherrschen von Arbeitstechniken zur Voraussetzung habe, koppelte jedoch die Methode von dem zu erlernenden Inhalt ab. Dadurch wurde das bloße Methodenlernen zum eigentlichen Ziel des Unterrichts.
Hat die Forderung nach Methodenvielfalt die Unterrichtspraxis an Grundschulen verändert? Ewald Terhart zieht nach Auswertung empirischer Untersuchungen von Hans Brügelmann (2002) und Petra Hanke (2005) eine skeptische Bilanz. Mit dem methodischen Wandel hin zu mehr Schülerorientierung, Offenheit und innerer Differenzierung „scheint es nicht besonders weit her zu sein“ (Terhart 2009, S. 167). Wenn es aber die in der pädagogischen Öffentlichkeit breit geführten Diskussionen um die Qualität von Unterricht im Allgemeinen und die Methodenvielfalt im Besonderen, wenn es außerdem die Schulinspektionen mit ihrem auf die Lehrkräfte entfalteten Druck nicht vermochten, den Unterricht methodisch zu verändern, dann ist es Zeit, „einen Gang zurückzuschalten“, sich von der Forderung nach Methodenvielfalt zu verabschieden und sich (wieder) auf das zu besinnen, womit Methodik eng verbunden ist: auf die Didaktik.
Den Weg dazu hat ausgerechnet der Psychologe und Unterrichtsforscher Andreas Helmke aufgezeigt. Er plädierte frühzeitig für eine angemessene Variation von Methoden und Sozialformen – orientiert an den Schülern, dem Fach und den Lernzielen (2006, S. 45). Dass man sich von der Methodenvielfalt verabschieden kann, hat die MARKUS-Studie (2002) deutlich gemacht. Andreas Helmke kommt zu dem folgenden Befund: „Mit der Forderung nach Methodenvielfalt rennt man wie bei der Individualisierung weit geöffnete Türen ein. Bei näherem Hinsehen kommen allerdings einige Sackgassen in den Blick. Am erfolgreichsten waren diejenigen Klassen mit einer überschaubaren Anzahl unterschiedlicher Lehr-Lern-Szenarien. Klassen mit ausschließlich Frontalunterricht oder mit exzessiv vielen Unterrichtsformen schnitten gleichermaßen schlecht ab“ (Helmke 2010, S. 265f.). Entscheidend, so bilanziert Helmke, sei somit nicht das Maximum, sondern das Optimum an Unterrichtsmethoden (ebd., S. 265).
Dieses Optimum herauszufinden, kann nur das Ergebnis didaktischer Überlegungen sein. Die von Helmke bereits angesprochenen Kriterien lassen sich zu folgenden Leitfragen (Jank & Meyer 2002, S. 15ff.) erweitern:
Warum wird
- dieses Thema
- mit diesen Zielen
- zu diesem Zeitpunkt
- mit diesen Schülern
- unter Einsatz dieser Methoden und Sozialformen
- und mit diesen Medien
im Unterricht behandelt?
Dabei geht der Entscheidung über Methoden die Festlegung des Inhalts und der Lernziele voraus. Nicht umgekehrt!
Ein Beispiel: Im technischen Sachunterricht soll es um stabile Brückenkonstruktionen gehen. Ob das Thema von der Lehrkraft mit einem Lehrervortrag und einem Demonstrationsversuch eingeführt wird, ob für die Schüler Materialangebote vorbereitet werden, um unterschiedliche Brückenkonstruktionen in Arbeitsgruppen im Rahmen eines Schülerexperiments erproben zu können, oder ob die Stabilität von Brückenkonstruktionen Gegenstand verschiedener Texte ist, die im Gruppenpuzzle erarbeitet werden – das alles ist das Ergebnis didaktischer Entscheidungen. Entscheidet sich eine Lehrkraft für das Gruppenpuzzle, dann vor dem Hintergrund der oben genannten Leitfragen – und nicht, weil Unterrichtsforscher dieser Unterrichtsmethode eine hohe Wirksamkeit bei der Entwicklung sozialer Beziehungen in der Klasse und eine geringere Wirksamkeit in Bezug auf Schülerleistungen bescheinigen (Wellenreuther 2009, S. 210ff.). Anders formuliert: Methodenvariation ist der Versuch, nach eineinhalb Jahrzehnten des empirischen Überflusses der Didaktik (wieder) jenen Stellenwert für die Planung, Durchführung und Analyse von Unterricht zukommen zu lassen, den sie nun einmal hat.
Erweitern Sie Ihre Methodenkompetenz. Dabei können die folgenden Hinweise hilfreich sein:
- Analysieren Sie Ihr Methodenrepertoire. Legen Sie einen Zeitraum – z. B. eine Woche – fest und notieren Sie in einem Methoden-Tagebuch die von Ihnen praktizierten Unterrichtsmethoden, Sozialformen, fachspezifischen Arbeitsmethoden und fachübergreifenden Arbeitstechniken – möglichst genau und nach Fächern sortiert.
- Gibt es Methoden, die Sie immer wieder einsetzen? Warum ist das so? Bestehen Unterschiede zwischen den Fächern?
- Welche zusätzlichen Methoden haben Sie kennengelernt (beispielsweise in Lehrerfortbildungen, aus Büchern, Zeitschriften oder online-Plattformen)?
- Welche dieser Methoden würden Sie in Ihr Methodenrepertoire aufnehmen? Aus welchen Gründen?
- Wie würden Sie diese neuen Methoden einführen? Welche Schwierigkeiten müssen Sie dabei berücksichtigen?
- Wenn Sie eine neue Methode eingeführt haben: Überlegen Sie, was gelungen war und was Sie beim nächsten Mal anders machen würden.
Schließlich können Sie eine Methoden-Landkarte anlegen: Definieren Sie dazu wiederum ein Zeitfenster. Legen Sie anschließend auf einem Blatt Papier ein Koordinatenkreuz mit den Polen „hoher bzw. niedriger Grad an Lehrerlenkung“ sowie „eher sprachlich vermittelte bzw. eher handlungsorientierte Methoden“ fest. Überlegen Sie, bevor Sie eine Eintragung vornehmen, was Sie unter der jeweiligen Methode verstehen, welches ihre didaktische Ladung ist. Sie können jetzt die von Ihnen praktizierten Unterrichtsmethoden zuordnen und so Ihr persönliches Methodenprofil rekonstruieren. Auf diese Weise werden Häufungen und „weiße Flecken“ auf Ihrer Methoden-Landkarte schnell sichtbar.
Literatur
- Gudjons, H. (2004). „Da lernt man wenigstens was!“. Merkmale effektiven Unterrichts. Praxis Schule 5-10, (3), 6-9.
- Helmke, A. (2006). Was wissen wir über guten Unterricht? Pädagogik, (2), 42-45.
- Helmke, A. (2010). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (3. Auflage). Seelze.
- Jank, W. & Meyer, H. (2002). Didaktische Modelle (5. Auflage). Berlin.
- Jürgens, E. (2008). Was ist „guter“ Unterricht? Neue Zusammenhänge in der Unterrichtsentwicklung. In U. Stadler-Altmann et al. (Hrsg.), Neue Lernkultur – Neue Leistungskultur (S. 68-89). Bad Heilbrunn.
- Meyer, H. (1997). Schulpädagogik. Bd. II. Berlin.
- Meyer, H. (2016). Was ist guter Unterricht? (11. Auflage). Berlin.
- Terhart, E. (2009). Didaktik. Eine Einführung. Stuttgart.
- Weinert, F. E. (1997). Notwendige Methodenvielfalt. Unterschiedliche Lernfähigkeiten erfordern variable Unterrichtsmethoden. In M. Meyer et al. (Hrsg.), Lernmethoden – Lehrmethoden (S. 50-53). Seelze.
- Wellenreuther, M. (2009). Forschungsbasierte Schulpädagogik. Anleitungen zur Nutzung empirischer Forschung für die Schulpraxis. Baltmannsweiler.