Meidinger betont nun: „Mit IGLU 2016 liegt wiederum eine Studie vor, wonach es Deutschland nicht gelingt, den Anstieg des Anteils von Grundschulkinder mit starken Leseschwächen zu stoppen. Dies ist deshalb besonders bitter, weil wir wissen, dass bereits in der Grundschule abgehängte Kinder diese Defizite in der späteren Schullaufbahn kaum ausgleichen können!“ Mit einem Platz im unteren Mittelfeld dürfe sich Deutschland nicht dauerhaft zufrieden geben.
Als Hauptursache für den signifikanten Anstieg von Grundschulkindern mit eklatanten Leseschwächen nennt der DL-Präsident die immer größer werdende Gruppe von Kindern mit Migrationshintergrund, bei denen zuhause nicht Deutsch gesprochen werde. Meidinger erläutert: „Offensichtlich gelingt es nicht, diese Kinder mit den bisher ergriffenen Maßnahmen so zu fördern, dass sie grundlegende Lese- und Schreibfähigkeiten erwerben.“
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Und dabei spiele, so meint der ehemalige Philologenverbandsvorsitzende, eine „verfehlte Rechtschreibdidaktik in einer Reihe von Bundesländern“ eine gewichtige Rolle. Es gebe klare Erkenntnisse, dass die Methode „Lesen durch Schreiben“ vor allem leistungsschwache Kinder besonders benachteilige und die Leistungsschere erst recht aufgehen lasse.
“Vorschulische Förderung”
Darüber hinaus fordert Meidinger, in sämtlichen Bundesländern bei allen Kindern mit drei oder vier Jahren verbindliche Sprachstandsüberprüfungen einzuführen und auf der Grundlage der Ergebnisse ausnahmslos allen Kindern mit massiven Sprachdefiziten bereits eine vorschulische Sprachförderung zukommen zu lassen: „Ohne eine solche vorschulische Förderung sind die Grundschulen mit dem zunehmenden Anteil von Flüchtlingskindern und Kindern mit Migrationshintergrund hoffnungslos überfordert.“
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Zudem erneuert Meidinger seine Forderung, bei der Bildung von Klassen in allen Schularten, insbesondere aber in den Grundschulen, mehr Anstrengungen zu unternehmen, eine ausgewogenere Zusammensetzung anzustreben beziehungsweise einen zu hohen Anteil von Kinder mit Migrationshintergrund zu vermeiden, weil sich dieser nachweislich sowohl leistungsmindernd als auch integrationshemmend auswirken könne. Über die personell schlechten Bedingungen an den Grundschulen, bedingt zum Beispiel durch die in der Primarstufe am weitesten fortgeschrittene Inklusion, verliert der Präsident des Deutschen Lehrerverbands kein Wort.
KMK-Präsidentin Eisenmann hatte nach dem insbesondere für Baden-Württemberg desaströsen IQB-Vergleich angekündigt, dass die Methode „Schreiben nach Gehör“ an den Grundschulen in ihrem Verantwortungsbereich keine Zukunft mehr habe. Zuvor hatte sie die Methodenkompetenz von Grundschullehrkräften öffentlich angezweifelt. Die seien angesichts einer zunehmenden Heterogenität der Schülerschaft extrem gefordert. Nun müsse gefragt werden: „Welcher Lehrer unterrichtet wie? Und was? Und mit welchem Erfolg?“
„Schreiben nach Hören“ wird auch „Lesen durch Schreiben“ genannt, weil der Methode die Annahme zugrunde liegt, Schreiben gehe dem Lesen voraus. Der Ansatz wurde in den 70er Jahren vom Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen entwickelt: Kinder sollen Lesen lernen, indem sie Wörter aufschreiben; eine Korrektur der Rechtschreibung ist zunächst nicht wesentlich. Nach einer aktuellen Erhebung des Germanistik-Professoren Wolfgang Steinig (selbst ein harscher Kritiker der Methode) arbeiten nur drei Prozent der Grundschulen in Deutschland nach Reichens Prinzipien. Steinig moniert allerdings: Elemente davon – etwa in Form von Anlauttabellen – hätten Eingang in den Unterricht der meisten Lehrer gefunden.
Meidingers Vorschlag, Migrantenkinder besser zu verteilen, war bereits vom VBE-Vorsitzenden Udo Beckmann als „abstrus und illusorisch“ zurückgewiesen worden. „Dies würde in der Konsequenz dazu führen, dass aus bestimmten Stadtteilen, in denen es einen hohen Anteil von Familien mit Migrationshintergrund gibt, zum Beispiel in den Nordteilen der Ruhrgebietsstädte, bestehende Klassen aufgelöst werden müssten und zukünftig die Kinder mit dem Bus auf die Schulen verteilt werden müssten, um bestimmte Quoten zu erreichen“, erklärte Beckmann. „ Zudem stellt sich die Frage: Gilt diese Quotierung nur für die erste oder auch für die zweite oder dritte Generation von Menschen mit Migrationshintergrund.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus