DÜSSELDORF. Kinder aus bildungsfernen Familien schaffen es seltener aufs Gymnasium als Schüler aus Akademikerhaushalten. Eine Studie zeigt, dass für Viertklässler oft nicht die passende Schulform empfohlen wird. Fazit: Potenziale werden verschwendet.
Experten haben einen verpflichtenden Test für Viertklässler in Nordrhein-Westfalen gefordert, um Empfehlungen für die weiterführenden Schulen treffender und gerechter zu machen. Selbst bei gleichen Fähigkeiten und Noten erhielten Grundschüler aus bildungsfernen Familien viel seltener eine Empfehlung für das Gymnasium als Kinder von Eltern mit Abitur. Das sagte Ricarda Steinmayr in Düsseldorf bei der Vorstellung einer Studie der Uni Dortmund mit 837 Viertklässlern und 1092 Neuntklässlern.
Um das Potenzial der Kinder exakter einschätzen zu können und zugleich mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen, solle ein landesweiter objektiver Lese- und Mathe-Kompetenztest in der vierten Klasse eingeführt werden, empfahl Studienleiterin Steinmayr.
Bei den Übergängen nach der Grundschule würden oft versteckte Potenziale nicht entdeckt und so verschenkt, betonte Oliver Döhrmann von der Stiftung Mercator. Ziel müsse sein, für jedes Kind die optimale Schulform zu finden.
Das ist den Angaben zufolge bislang noch längst nicht erreicht. Die Studie habe gezeigt, dass Grundschülern in mehr als 20 Prozent der Fälle nach einem Lese- und Mathe-Kompetenztest eine andere Schulform empfohlen wurde als es nach der bisher «notenbasierten Strategie» der Fall war. Unter den Viertklässlern aus bildungsfernen Familien würden demnach 12 Prozent nun doch eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen. Und ebenso würden 12 Prozent der getesteten Grundschüler aus Familien mit hohen Abschlüssen keine Gymnasialempfehlung mehr erhalten.
Der Elternverein NRW würde einen verpflichtenden Test für Viertklässler begrüßen. «Es ist wichtig, dass objektiv festgestellt werden kann, ob ein Kind für ein Gymnasium geeignet ist», sagte die Vorsitzende Andrea Heck. Das Niveau an den Grundschulen sei sehr unterschiedlich. Deshalb könne ein solcher Test sowohl für Kinder und deren Eltern als auch für die Lehrer der Grund- und weiterführenden Schulen Sicherheit bringen.
Weiteres Ergebnis der Studie: 14 Prozent der getesteten Schüler mit Hauptschulempfehlung verfügten über ein überdurchschnittliches oder sogar weit überdurchschnittliches kognitives Potenzial. Bei Kindern mit Realschulempfehlung traf das auf 23 Prozent zu.
Soziale Ungleichheiten habe die Untersuchung auch bei Jugendlichen der neunten Klassen zutage gefördert. Erstmals habe sich gezeigt, dass auch bei gleichen Leistungen, Noten und Potenzial Neuntklässler aus bildungsfernen Elternhäusern seltener einen späteren Wechsel in die gymnasiale Oberstufe planen als Altergenossen, deren Eltern über ein Abitur verfügen.
Um Schülern keine Karrierechancen zu verwehren und begabte Schüler aus bildungsschwachen Familien nicht durchs Raster fallen zu lassen, sei das Instrument eines Standard-Kompetenztests sinnvoll, betonte Steinmayr. Bisher dominierten die Noten der Schüler zu stark bei der Empfehlung der Lehrer, sagte Döhrmann. Noten bildeten aber nicht immer das tatsächliche kognitive Potenzial der Kinder ab. Im dritten Schuljahr gebe es zwar Lernstandserhebungen vor allem zur Lesefähigkeit. Die Ergebnisse dürften aber laut Schulministerium nicht in die Übergangsempfehlungen einfließen, bemängelte er.
Einen Test nun zum alleinigen Kriterium für die Schulformempfehlung zu machen – und das Elternwahlrecht abzuschaffen –, so weit möchten die Forscher allerdings nicht gehen. Die Testergebnisse beruhen nur auf einer einmaligen Messung. Somit ist nicht auszuschließen, dass die Kinder nur aufgrund verschiedener Ursachen wie Müdigkeit, Unlust oder Unwohlsein schlechter abgeschnitten haben und die Ergebnisse nicht das tatsächliche Potenzial der Kinder abbilden“, so heißt es. „Die Testergebnisse sollten aber im Beratungsgespräch mit den Eltern besprochen und thematisiert werden.“ Keine Diagnostik könne Fehlentscheidungen ausschließen. Deshalb „sollten Eltern darüber hinaus auch unabhängig von der Übergangsempfehlung weiterhin ihre Kinder an einer Schulform ihrer Wahl anmelden können. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Eltern, die diesen Schritt gehen, in den überwiegenden Fällen richtig liegen und ihre Kinder an der höheren Schulform erfolgreich sind.“ N4t / mit Material der dpa
Hier geht es zu einer Zusammenfassung der Studie.