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Debatte: Migrantenkinder sind im Schnitt immer noch schlechter in der Schule – warum eigentlich?

DÜSSELDORF. Trotz einiger Verbesserungen in den vergangenen Jahren: Nach wie vor gehören Kinder aus eingewanderten Familien überproportional häufig zu den leistungsschwachen Schülern in Deutschland. Anlass für Haci Halil Uslucan, Professor für Moderne Türkeistudien und Integrationsforschung der Universität Duisburg-Essen, provokant zu fragen: „Migranten: Eine talentfreie Minderheit?“ So jedenfalls lautet der Titel seines Vortrags auf dem Deutschen Schulleiterkongress in der kommenden Woche.

Insbesondere Jungen mit Migrationshintergrund zeigen im Schnitt schlechtere Leistungen als deutschstämmige Kinder – warum eigentlich? Foto: UK Department for International Development / flickr (CC BY 2.0)

Die gute Nachricht: Sozial benachteiligte Schüler – darunter viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund – haben offenbar heute in Deutschland deutlich bessere Bildungschancen als noch vor zwölf Jahren. Dies ergab eine Sonderauswertung von PISA-Daten aus 2015, die im Januar vorgestellt wurde. Der Anteil der gut abschneidenden Schüler mit schwieriger sozialer, wirtschaftlicher Ausgangslage sei so stark gewachsen wie in kaum einem anderen Land der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), stellte PISA-Direktor Andreas Schleicher fest. Positiv hätten mehr Ganztagsschulen gewirkt, die Zusammenführung von Haupt- und Realschulen und somit eine bessere soziale Mischung, mehr frühkindliche Bildung an Kitas und eine stärkere Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund. „Diesen Weg müssen wir weitergehen“, forderte Schleicher.

Tatsächlich bleibt viel zu tun. Denn Deutschland liegt bei der Chancengleichheit nach wie vor unter dem OECD-Schnitt. Schleicher: „Der soziale Hintergrund ist immer noch eine Barriere.“ Das belegt auch der Chancen-Spiegel, eine jährliche Bildungsstudie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Für ausländische Schüler war danach das Risiko eines Schulabbruchs ebenso wie für deutsche Schüler lange Zeit gesunken. Seit 2011 jedoch haben sich die Entwicklungen entkoppelt: Während der Anteil der deutschen Schüler ohne Abschluss weiter abgenommen hat, ist der der Ausländer aktuell wieder (leicht) auf 12,9 Prozent angestiegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der 150.000 Schulabbrecher ohne Ausbildung später arbeitslos werde, sei bei Ausländern drei- bis viermal höher als bei Schülern mit deutschem Pass, hieß es. Auch an weiteren Punkten im Schulsystem lassen sich Unterschiede zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund ausmachen, wie Prof. Uslucan feststellt:

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Uslucan fragt deshalb provokant: „Migranten: Eine talentfreie Minderheit?“ So jedenfalls hat der Professor seinen Vortrag betitelt, den er auf dem Deutschen Schulleiterkongress halten wird – der Untertitel macht allerdings klar, dass es ihm dabei um konstruktive Ansätze geht:  „Begabungen von Schülern mit Migrationshintergrund erkennen“. Wenn davon ausgegangen werde, dass von den 13,3 Millionen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Deutschland (2016) rund ein Drittel (also etwa 4,3 Millionen) einen Migrationshintergrund haben, dann dürfte es zwischen 86.000 und 130.000 hochbegabte Schüler mit Migrationshintergrund in Deutschland geben, so rechnet er vor. Doch die würden kaum entsprechend wahrgenommen und gefördert.

Sprache und Selbstbewusstsein

Eine Ursache: die Sprache. „40 Prozent der Kompetenzunterschiede in Mathematik, Natur-wissenschaften und Lesen zwischen Einheimischen Jugendlichen und hier geborenen Jugendlichen mit Migrationshintergrund gehen auf die Sprachkompetenz zurück. Das heißt,  wenn in den Familien ausreichend gutes Deutsch gesprochen wird, entwickeln diese  Jugendlichen die gleichen Kompetenzen“, so erklärt Uslucan. Dazu komme das fehlende Selbstbewusstsein vieler zugewanderter Eltern, die ihren Kindern eine Bildungskarriere in Deutschland kaum zutrauen.  Auch Lehrer hätten oft nicht den Blick für die Talente von Migrantenkindern.

Schulen selbst könnten einiges tun, um solche Potenziale zu fördern: Sie sollten Schüler mit Migrationshintergrund noch stärker in verantwortungsvolle Positionen einbinden – ungeachtet möglicherweise geringerer sprachlicher Kompetenzen. Sie sollten Tutorensysteme aufbauen, bei denen ältere Schüler jüngeren helfen, um teure Nachhilfe unnötig zu machen. Sie sollten darüber hinaus stärker handlungsorientierte Formen des Unterrichts praktizieren, in denen Jugendliche partizipieren können – nicht nur Frontalunterricht. „Schule darf von Schülern mit Migrationshintergrund nicht nur als Ort des Versagens und von Ohnmachtserfahrungen wahrgenommen werden“, fordert Uslucan.

Sein Vortrag auf dem Deutschen Schulleiterkongress im Kongresszentrum CCD Düsseldorf findet statt am Samstag, 10. März 2018, 10:45 – 12 Uhr.

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