HANNOVER. Von der Abordnung von Gymnasiallehrern an Grundschulen über den Mangel an Real- und Hauptschullehrern und die vorschulische Sprachförderung bis zum Einsatz von Schülerhandys im Unterricht: Grant Hendrik Tonne (SPD) muss sich über einen Mangel an Baustellen derzeit nicht beklagen. Im Interview verspricht Niedersachsens Kultusminister in einige Lösungen. Eine Anpassung der Gehaltsstrukturen scheint aber nicht dazu zu gehören.
Gut vier Monate nach dem Start der neuen rot-schwarzen Landesregierung bleibt die Bildungspolitik ein viel diskutiertes Thema. Die Abordnungen von Gymnasiallehrern an Grundschulen, die Unterrichtversorgung, die Debatte um Beitragsfreiheit für Kitas – Baustellen gibt es genug. Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) erläutert im Interview, welche Lösungen geplant sind.
In Nordrhein-Westfalen will die schwarz-gelbe Landesregierung, dass Schüler an weiterführenden Schulen ihre Smartphones und Tablets im Unterricht einsetzen. Ist das auch ein Modell für Niedersachsen?
Wir planen in der Tat, das Mitbringen eigener Mobilgeräte verstärkt anzuschieben. Kommunikation wird dadurch vereinfacht, wir machen Schule modern. Schule kann sich nicht von den gesellschaftlichen Entwicklungen abkoppeln. Die Schülerinnen und Schüler, die ihre Mobilgeräte dann im Unterricht nutzen, nutzen sie sonst spätestens nach dem Unterricht, wenn wir es in der Schule nicht zulassen. Deshalb bin ich sehr dafür, dass wir die Nutzung eigener Endgeräte einbinden. Das sorgt auch dafür, dass Schüler Medienkompetenz erlangen. Mein Wunsch ist natürlich, dass Schulen sich sehr intensiv mit digitalen Medien beschäftigen. Dazu gehört, dass sie ans schnelle Internet angeschlossen sind, dazu gehört eine vernünftige Ausstattung sowie die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte. Dazu gehört auch die Frage, wie wir gewährleisten, dass jedes Kind ein vernünftiges Endgerät hat, mit dem es im Unterricht arbeiten kann.
Am Anfang dieses Schuljahres gab es viel Wirbel um Abordnungen von Gymnasiallehrern an Grundschulen. Müssen sich die Gymnasien auch im kommenden Schuljahr auf Abordnungen im großen Stil einrichten?
Wir haben immer gesagt, dass wir diese Abordnungskarawanen zum Sommer wieder eindämmen möchten. Und ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen wird. Wir bemühen uns, die Unterrichtsversorgung an den Grundschulen deutlich zu verbessern. Wir können wieder mehr Grundschullehrer einstellen, weil wir wieder mehr Absolventen für dieses Lehramt haben werden. Außerdem gewinnen wir Lehrkräfte durch die Verlagerung der vorschulischen Sprachförderung in die Kitas. Das würde bedeuten, dass der Großteil der Abordnungen, die vom Gymnasium direkt an die Grundschulen gegangen sind, zum 1. August wegfallen. Wir möchten, dass an den Gymnasien wieder mehr Ruhe einkehrt.
Gymnasiallehrer gibt es genug, an Grund-, Haupt- und Realschulen fehlen Pädagogen. Wäre es nicht eine Lösung, die Gehälter an das Niveau der Gymnasiallehrer anzupassen und so mehr Lehrer zu gewinnen?
Das ist eine zu einfache Erklärung. Der Lehrermangel ist nicht nur auf die Gehaltsstruktur zurückzuführen. Jahrelang haben uns Experten erzählt, wie sehr die Schülerzahlen zurückgehen würden. Jetzt haben wir steigende Schülerzahlen. Dann haben wir in den Jahren 2015 und 2016 eine Zuwanderung gehabt, die niemand erahnen konnte. Dazu kam die Verlängerung des Studiums für Grund-, Haupt- und Realschullehrer – deshalb hatte man im vergangenen Jahr nicht die Anzahl an Absolventen, die man dringend benötigt hätte. Natürlich ist die Bezahlung immer ein wichtiger Aspekt, aber niemals die allein ausschlaggebende Komponente. Man muss sich das Besoldungssystem in Gänze anschauen und überlegen, in welchen Schritten man für eine Steigerung der Attraktivität werben kann.
Die vorschulische Sprachförderung soll von den Grundschulen in die Kitas verlagert werden. Sie erwarten dadurch bessere Unterrichtsversorgung. Aber sind dann nicht die Kitas überfordert?
Das bisherige System hat sich nicht flächendeckend bewährt. Man muss sich doch mal anschauen, wie das in der Praxis abläuft. Es steht eine Stunde pro Woche pro Kind zur Verfügung, in der Lehrkräfte sich der vorschulischen Sprachförderung im letzten Kita-Jahr widmen können. In den Stunden, wo eine Lehrkraft kann, passt es der Kita nicht in den Ablauf. Wenn die Kita sagt: «Hier passt es», hat die Schule keine Lehrkraft zur Verfügung. Das kann nicht vernünftig sein, wenn Ressourcen knapp sind. Wir glauben, dass es besser ist, wenn man die vorschulische Sprachförderung aus einer Hand macht. Wir ziehen nicht einfach die Lehrkräfte ab. Die Stunden werden monetär ersetzt. Das Geld geben wir den Trägern, die mehr Erzieher beschäftigen können.
Beim Thema beitragsfreie Kita ist noch keine Einigung zwischen Land und Kommunen erzielt worden. Wie geht es da weiter?
Das Land hat gesagt: Der gebührenfreie Besuch eines Kindergartens ist bildungspolitisch ein Meilenstein. Deswegen ist es unser Ziel, die Beiträge der Eltern abzuschaffen und die Mittel für die Kommunen möglichst gerecht zu ersetzen. Es war nicht das Ziel, die Finanzbeziehungen zwischen Land und Kommunen bei der frühkindlichen Bildung neu zu regeln. Die Kommunen haben natürlich ein Interesse daran, weitere Punkte zu besprechen, bei denen sie sich Unterstützung wünschen. Aber das Land erhöht den Zuschuss zu den Personalkosten von derzeit 20 Prozent auf zunächst 55 Prozent und dann bis 2021 auf 58 Prozent – das ist ein Riesenschritt nach vorn. Wir haben immer gesagt: Die Gespräche enden nicht, wenn wir uns bei der Beitragsfreiheit geeinigt haben. Die Gespräche werden fortgeführt, und dann schauen wir, was wir weiter regeln können – auch unter Einbeziehung von Mitteln des Bundes. (Doris Heimann, dpa)
Nach Abordnungs-Chaos: Land fehlen Grundschullehrer – und schafft deshalb mehr Stellen an Gymnasien
