DÜSSELDORF. Ein Aufeinandertreffen der besonderen Art: Olivia Jones, Deutschlands Drag Queen Nummer eins und St.-Pauli-Ikone, referiert am kommenden Freitag. 22. März, vor 2.500 Schulleitungen aus ganz Deutschland. Der Anlass: der Deutsche Schulleiterkongress (DSLK), die jährlich stattfindende Leitveranstaltung für schulische Führungskräfte in Deutschland. Olivia Jones will dort ein Plädoyer für Toleranz und gegenseitigen Respekt in der Schule halten. Der DSLK findet vom 21. bis 23. März 2019 in Düsseldorf statt. Wir haben im Vorfeld des Kongresses mit der Travestiekünstlerin gesprochen.

Welche Rolle spielt die Schule, wenn es darum geht, Kindern und Jugendlichen soziale Werte und ein gutes Miteinander zu vermitteln?
Olivia Jones: Schulen sind nach dem Kindergarten für viele der erste große Bruch, die ersten großen Trainingsplätze fürs Leben. Spätestens da merken Kinder, ob sie in die klassischen Rollenbilder passen. Auf der weiterführenden Schule entdecken sie dann auch das andere Geschlecht. Und manche realisieren, dass sie sich mehr fürs eigene interessieren. Das kann ein Schock sein, wenn einen niemand drauf vorbereitet, dass es auch so etwas gibt, man nichts dafür kann und die Welt davon nicht untergeht. Deshalb muss spätestens die Schule offen thematisieren, dass die Welt von Natur aus bunt ist.
Schule muss ein Ort sein, an dem sich Kinder und Jugendliche sicher und aufgehoben fühlen, sich selbst entfalten können. Auch die, die irgendwie aus dem Rahmen fallen. Für die Schule gilt immer noch der alte Satz: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Auch Toleranz ist Erziehungssache. Kinder sind von Natur aus neugierig. Deshalb sollte Aufklärung über die Vielfalt dieser Welt schon im Kindergarten, spätestens in der Grundschule beginnen. Wenn es den Schulen gelingt, Kinder stark zu machen, Vielfalt und Akzeptanz aktiv in ihrer Schulgemeinschaft zu leben, dann tragen die Schüler und Schülerinnen das auch in unsere Gesellschaft von morgen.
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Der Deutsche Schulleiterkongress (DSLK) ist die jährlich stattfindende Leitveranstaltung für schulische Führungskräfte in Deutschland.
Sie präsentiert zu ihrer achten Auflage vom 21. bis 23. März 2019 in Düsseldorf wieder prominente Referenten und Keynote Speaker – darunter Deutschlands bekanntesten Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar, Hirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther, Jugendforscher Prof. Dr. Klaus Hurrelmann und Ex-Boxweltmeister Henry Maske. Hier gibt es mehr Informationen.
Immer wieder heißt es: Das Klima wird rauer, die Sprache verroht, der Umgang miteinander wird aggressiver. Beobachten Sie diesen Trend auch? Und wenn ja: Wie kann man ihm entgegenwirken bzw. wie können Schulen ihm entgegenwirken?
Olivia Jones: Ja, Populisten sind wieder auf dem Vormarsch, Hetze und Ausgrenzung scheint vielerorts wieder salonfähig zu werden. Aber „schwul“ war auf vielen Schulhöfen schon lange vorher ein Schimpfwort. Deshalb habe ich ja auch mein Kinderbuch geschrieben. Auf jeden Fall muss das thematisiert werden. Man muss auf die Probleme aufmerksam machen und Grenzen setzen. Schulen brauchen Raum für Gespräche mit den Beteiligten und nicht nur über die Beteiligten, damit Verständnis entstehen kann. Das ist der erste wichtige Schritt auf dem Weg zu mehr Akzeptanz und einem besseren Miteinander.
Sie haben Bücher verfasst, in denen es um Vielfalt und Akzeptanz geht, wie zum Beispiel das Kinderbuch „Keine Angst in ANDERSRUM: Eine Geschichte vom anderen Ufer“. Was war Ihre Intention, dieses Buch zu schreiben? Welche Werte bzw. welche Botschaft wollen Sie damit vermitteln?
Olivia Jones: In meinem Buch geht es um Vielfalt und Toleranz. Manche Menschen finden es immer noch beängstigend, wenn nicht alles in ihre Vater, Mutter, Kind Schubladen passt. In meinem Buch zeige ich, dass Menschen mit alternativen Lebensentwürfen die Welt bunter machen und keine Bedrohung sind. Da gibt es kein richtig oder falsch, kein besser oder schlechter. Es geht um Liebe und die Frage, was natürlich oder „normal“ ist – und wer das eigentlich bestimmt. Das sind Dinge, die sollte man schon mit Kindern besprechen.
Kinder sind von Natur aus tolerant, Intoleranz wird anerzogen. Bei Jugendlichen haben sich Rollenklischees schon so weit verfestigt, dass man da kaum noch etwas gegen machen kann. Wenn die Teens zwar immer noch nicht genau wissen, was schwul ist, aber längst gelernt haben, das schwul ein Schimpfwort ist, ist diese Verknüpfung später nur noch schwer aus dem Unterbewusstsein zu kriegen. Viele Eltern wussten aber bislang nicht, wie sie das Thema mit ihren Kindern kindgerecht besprechen können. Viele glauben immer, es müsste dann irgendwie auch um Sex gehen. Das kann ich zwar verstehen, ist aber quatsch. Es geht um Liebe und Lebensgestaltung. Kinder können nichts dafür, dass wir Erwachsenen beim Thema Liebe immer auch an Sex denken müssen. Mein Buch macht es leichter, das Thema spielerisch mit Kindern anzugehen ganz ohne über Sex sprechen zu müssen.
Welche eigenen Erfahrungen haben Sie während Ihrer Schulzeit gemacht? Haben Sie selbst Situationen der Ausgrenzung und Ablehnung erfahren? An welche Momente erinnern Sie sich vielleicht aber auch besonders gerne zurück?
Olivia Jones: Ich war ein Exot. Natürlich wurde ich gemobbt. Aber zum Glück habe ich früh gelernt, Gegenwind als Rückenwind zu nutzen und sogar einen Sport daraus zu machen: Segeln im Shitstorm. Irgendwann hat’s sogar richtig Spaß gemacht. Aber mir ist klar, dass das nicht jeder schafft. Und genau die, die untergehen, die brauchen Hilfe. Gerade in der Schule.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Schulleitung, wenn es um das Klima an einer Schule und die gemeinsamen Werte in der Schulgemeinschaft geht? Was würden Sie sich konkret von Schulleitungen wünschen?
Olivia Jones: Die Schulleitung steht immer an vorderster Front. Wenn Schulen sich Vielfalt und Toleranz als Leitbild auf die Fahne schreiben, ist das ein wichtiger Schritt, reicht aber natürlich noch lange nicht aus. Schulleitungen sollten auch ein offenes Ohr dafür haben, was sich hinter verschlossenen Türen abspielt. Mobbing und Ausgrenzung finden häufig schon im ganz Kleinen statt, das kann im hektischen Schulalltag schnell untergehen. Vor allem, wenn es keine offene Gesprächskultur gibt und Opfer sich nicht trauen zu reden. Deswegen gilt es, alle mit ins Boot zu holen. Es gibt tolle Initiativen, die Schulen dabei unterstützen. Auch wir als Olivia Jones Familie kommen gerne vorbei und erteilen vor Ort Nachhilfe in Sachen Toleranz. Grundschulen und Kita schenken wir auch mein Kinderbuch, wenn sie’s für den Unterricht nutzen wollen.
Die Hamburgerin Olivia Jones wurde laut ihrer Homepage in einer Hotel- und Gastro-Umfrage zu einer »Top 10 Sehenswürdigkeit der Hansestadt« gewählt. Die “Bild”-Zeitung nennt sie »Kult Transe« oder »Königin vom Kiez«. Olivia ist nach eigener Darstellung eher stolz auf ihr gesellschaftliches Engagement zum Beispiel gegen Rechtsextremismus und Homophobie – und bezeichnet sich selbst als »Wirtin« und »Multifunktionstranse«. Seit fast 30 Jahren lebt und arbeitet Olivia Jones nun in Hamburg bzw. auf St. Pauli. Seit 2006 führt sie auf besonderen Stadtrundgängen Touristen über ihren Kiez – von der Reeperbahn bis in die Große Freiheit, wo sie inzwischen drei eigene “Vergnügungslokalitäten” betreibt: Die »Olivia Jones Bar«, »Olivias Wilde Jungs«, Deutschlands einzigen Menstrip-Club, zu dem nur Frauen Zutritt haben und »Olivias Show Club«.
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