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Was bleibt übrig vom Corona-Schutz an Schulen? Gesundheitsminister entscheiden

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BERLIN. In den meisten Bundesländern läuft die Schule längst wieder – allerdings nicht für alle Kinder und Jugendliche: Zehntausende stecken in Quarantäne fest. Wie die Gesundheitsämter mit Schülerinnen und Schülern umgehen, in deren Klassen Corona-Fälle aufgetreten sind, wird allerdings von Land zu Land, sogar mitunter von Stadt zu Stadt unterschiedlich gehandhabt. Das wollen die Gesundheitsminister der Länder auf ihrer heutigen Sitzung ändern. Die Frage ist allerdings: Lockern sie den ohnehin löchrigen Corona-Schutz in Klassenräumen dabei so einschneidend, dass davon kaum noch etwas übrig bleibt?

Wird der Corona-Schutz an Schulen heute weitgehend beseitigt, sodass eine Durchseuchung droht? Illustration: Shutterstock

In Dortmund hat das Gesundheitsamt kapituliert. Angesichts der hohen Inzidenzen unter Kindern und Jugendlichen – vorige Woche lag sie unter Grundschüler bei 524 – wurde lokalen Medien zufolge in mindestens einem Fall die Entscheidung darüber, welche Schülerinnen und Schüler beim Auftreten eines Infektionsfalls in einer Klasse in Quarantäne gehen müssen, an die Lehrkräfte übertragen. Laut Bericht hat das Gesundheitsamt Dortmund per Mail an eine Schule erklärt, dass „es derzeit nicht leistbar sei, alle Sitzpläne zu überprüfen, wenn eine Corona-Infizierung festgestellt wurde“. Daher würden Klassenkameraden eines infizierten Schülers nun nicht mehr vom Gesundheitsamt benachrichtigt und unter Quarantäne gestellt. Stattdessen müsse diese Aufgabe nun die Schule selbst übernehmen. „Wir schaffen das derzeit nicht“, hieß es.

Der Fall illustriert, was für ein Chaos rund um die Quarantäne-Maßnahmen im Fall von Corona-Infektionen an Schulen herrscht. Bislang gibt es in den Ländern höchst unterschiedliche Vorgaben für die Quarantäne, sollte sich in einer Klasse ein infizierter Schüler finden. Mitunter müssen alle Kinder und Jugendlichen der Lerngruppe in Quarantäne, teilweise nur die Sitznachbarn – mancherorts nur die Infizierten selbst.  Die Gesundheitsminister der Länder wollen am heutigen Montag über Quarantäne-Maßnahmen sprechen. Dabei solle es um «möglichst einheitliche Regeln» gehen, sagt der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Klaus Holetschek (CSU) aus Bayern.

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«In relativ beengten Raumsituationen in der Schule kann die Quarantäne für alle in der Kohorte sinnvoll sein»

Das Robert-Koch-Institut rät zum Blick auf die Situation vor Ort – mit Vorsicht: «In relativ beengten Raumsituationen oder schwer zu überblickenden Kontaktsituationen in der Schule kann die Quarantäne für alle in der Kohorte sinnvoll sein, aufgrund der Aerosolaufsättigung bei unterrichtsbedingt langer Aufenthaltsdauer im Klassenzimmer auch dann, wenn alle im Raum einen MNB/MNS tragen», so heißt es in Empfehlungen für «Präventionsmaßnahmen in Schulen während der COVID-19-Pandemie» vom Oktober 2020, die nach wie vor gelten. Das Problem: «Relativ beengte Raumsituation oder schwer zu überblickende Kontaktsituationen» sind in Schulen die Regel, nicht die Ausnahme.

Und: Viele Schülerinnen und Schüler sind noch nicht geimpft, weil es derzeit keine Impfstoffe gibt, die für Kinder unter zwölf Jahren offiziell zugelassen sind. Zuletzt waren die Infektionszahlen besonders in jüngeren Altersgruppen stark gestiegen.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte die Länder am Wochenende aufgerufen, sich auf eine «klare Linie» zu verständigen. Sie würde sich freuen, wenn die Quarantäne von 14 Tagen mit einer klugen Teststrategie verkürzt werden könnte, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte vor kurzem ebenfalls einheitliche Vorgaben gefordert.

Die Debatte dürfte beim heutigen Treffen kontrovers verlaufen: Die schwarz-gelbe Landesregierung von Nordrhein-Westfalen etwa fordert eine weitgehende Lockerung. «Unsere Schutzmaßnahmen greifen», sagt FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer. Ihr «Wunsch» sei, dass künftig nur noch nachweislich mit Corona infizierte Schülerinnen und Schüler in häusliche Quarantäne gehen sollten. Sie hoffe auf einen entsprechenden Beschluss bei den laufenden Bund-Länder-Gesprächen – schließt aber einen Alleingang von Nordrhein-Westfalen ausdrücklich nicht aus. Die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg, wo das Schuljahr noch nicht begonnen hat, hat eine entsprechende Regelung bereits eingeführt.

«Angesichts steigender Zahlen können wir uns eine Aufweichung der Quarantäneregeln in Schulen und Kitas nicht leisten»

In Berlin, wo die Amtsärzte auf eigene Faust entschieden haben, nur noch infizierte Schülerinnen und Schüler in Quarantäne zu schicken, setzt Ex-Bundesfamilienministerin und SPD-Spitzenkandidatin für das Bürgermeisteramt, Franziska Giffey, auf eine Verkürzung der Quarantäne-Zeit von 14 auf fünf Tage – dafür aber soll die ganze Klasse zu Hause bleiben, wenn bei einem Schüler davon eine Infektion festgestellt wurde. «Angesichts steigender Zahlen in den jüngeren Altersgruppen können wir uns eine Aufweichung der Quarantäneregeln in Schulen und Kitas nicht leisten», erklärte sie vergangene Woche. Bei unter 12-jährigen sei große Vorsicht geboten, weil für sie noch kein Impfstoff zugelassen ist.

Giffeys Modell geht auf einen Vorschlag des Charité-Chefvirologen Prof. Christian Drosten zurück. «Einerseits ist die bisherige Dauer der Quarantäne für Schüler von Klassen, in denen Covid-19-Fälle bestätigt wurden, unerträglich lange», sagt er. Statt der geltenden 14 Tage sollten die Schüler künftig nur fünf Tage in Quarantäne geschickt werden. Das sei ein akzeptabler Zeitraum. Andererseits solle aber künftig nicht wie bisher mit der Quarantäne gewartet werden, bis ein zweiter Covid-19-Fall in der Klasse vorliege. «Besser ist Quarantäne für die ganze Klasse sofort beim ersten Fall, das aber kurz.»

«Wenn eine gute Lüftung im Klassenzimmer gewährleistet ist, wenn vielleicht sogar eine Raumluftfilteranlage drin ist, dann muss man nicht die Kinder einer ganzen Klasse in Quarantäne schicken», meint nun Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, im RND-Podcast «Die Schulstunde». «Dann kann man sich auch auf die unmittelbaren Banknachbarn konzentrieren.» Eine Rolle spiele auch, ob es eine Maskenpflicht gebe. Geimpfte Kinder müsse man nicht in Quarantäne schicken.

Meidinger betont, unterm Strich gehe es darum, wie genau die Situation vor Ort aussehe. Er verstehe, dass Quarantäne-Anordnungen Eltern vor enorme Probleme stellten, teils seien sie aber schlicht notwendig. Ausschließlich infizierte Schüler in Quarantäne zu schicken und dabei auf Kontaktverfolgung komplett zu verzichten, wäre «ein Signal für die schnelle Durchseuchung der Schulen», sagte er.

«Nach allem, was wir über Delta wissen, kann man es nicht einfach laufen lassen»

Der Direktor des Instituts für Infektionsmedizin am Uniklinikum Jena, Prof. Mathias Pletz, warnte am Wochenende davor, Corona-Maßnahmen an Schulen vorschnell aufzuheben. «Nach allem, was wir über Delta wissen, kann man es nicht einfach laufen lassen.»

Auch das Robert-Koch-Institut hält wenig davon, die geltenden Schutzregeln an Schulen aufzuweichen – aufgrund der «Verbreitung deutlich stärker übertragbarer Virusvarianten (..), die möglicherweise mit einem schwereren Krankheitsverlauf assoziiert sind. Gerade für das Kindes- und Jugendalter ist hier die Datenlage noch unsicher. Auch aufgrund dieser Entwicklung ist weiterhin die konsequente Umsetzung der bewährten infektionspräventiven Maßnahmen im Schulsetting sehr wichtig, um eine Verbreitung der Infektionen in diesen weitgehend ungeimpften und daher suszeptiblen Altersgruppen zu verhindern.» News4teachers / mit Material der dpa

Inzidenzen unter Schülern steigen weiter – Drosten warnt vor einer Durchseuchung der Kinder: „Das kann man nicht machen“

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