HANNOVER. Trotz großer Bemühungen, das Gefälle zu verringern, studieren Kinder aus Nichtakademikerfamilien noch immer deutlich seltener als Kinder aus Akademikerfamilien. Nach den ganz konkreten Gründen gefragt, herrscht unter den Akteuren noch immer erstaunliche Unklarheit. Ein Überblick von Forschern aus Hannover zeigt: Am Geld allein liegt es nicht.
Ein Forschungsüberblick von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zum BAföG macht deutlich, dass es nicht nur finanzielle Aspekte sind, die bewirken, dass junge Erwachsene aus sozial schwächeren Elternhäusern seltener studieren. Auch fehlende Informationen zum Studium und die Komplexität des Beantragungsverfahrens stellen Herausforderungen dar.
Die soziale Ungleichheit am Übergang ins Studium scheint zählebig: Studienberechtigte aus Nichtakademikerfamilien studieren nach wie vor deutlich seltener als Studienberechtigte Kinder von Akademikern. Doch nur 15 Prozent der herkunftsspezifischen Ungleichheiten in der Studierneigung von Studienberechtigten lassen sich auf die antizipierten Kosten eines Studiums zurückführen. Fehlende Informationen über Nutzen und Kosten eines Studiums, komplexe Antragsformulare, die Unsicherheit über den Zeitpunkt einer möglichen BAföG-Bewilligung und eine größere Sorge, Schulden anzuhäufen, seien zentrale Ursachen dafür, dass Studieninteressierte aus sozial schwächeren Elternhäusern seltener studieren. Das ist das Kernergebnis der Auswertung eines Forschungsteams um Sandra Buchholz vom DZHW.Diese Aspekte sollten im Rahmen der von der Bundesregierung geplanten Reform des BAföG berücksichtigt werden, schlussfolgern sie. Am Geld allein liege es nicht.
Insbesondere scheinen Studienberechtigte aus sozial schwächeren Familien mehr und gezielter aufbereitete Informationen zum Studium zu brauchen, so Sandra Buchholz. Eine Informationsintervention unter Berliner Studienberechtigten habe gezeigt, dass schon die Durchführung eines knapp 20-minütigen Informationsworkshops die Studienaufnahme von studieninteressierten Schülerinnen und Schülern aus Nichtakademikerfamilien nachhaltig erhöhen konnte. Von ihnen nahmen 77 Prozent ein Studium auf. Informationen zu den Kosten, Finanzierungsmöglichkeiten und Erträgen eines Studiums könnten demnach dazu beitragen, dass sich Studieninteressierte, insbesondere aus sozial schwächeren Familien, an einer Hochschule einschreiben.
Weitere Forschungsergebnisse zeigten, dass gerade diese Studienberechtigten das Risiko überschätzten, durch die BAföG-Finanzierung in eine „Schuldenfalle“ zu geraten. Insbesondere bei risikoscheuen Studierenden aus einkommensschwächeren Familien sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie keinen Antrag auf BAföG-Förderung stellten. Wichtig wäre zudem eine Vereinfachung des Antragsverfahrens, damit weniger Studierende vor dem Aufwand der Antragstellung zurückschrecken. Eine Interventionsstudie aus Amerika habe zeigen können, dass sich durch Unterstützung bei der Antragstellung die Immatrikulationsrate insbesondere von Studieninteressierten aus einkommensschwächeren Familien erhöhte.
Ein weiteres von den Forschern ausgemachtes Problem bestehe darin, dass Studierende oft erst nach Beginn des Studiums erfahren, ob und in welcher Höhe ihnen BAföG zusteht. Dies führe bei Studienberechtigten aus nicht-akademischen Familien zu Unsicherheit und letztlich dazu, dass sie sich eher gegen ein Studium entscheiden. Daher könne eine Zusage schon vor Studieneintritt zu einer Erhöhung der Einschreiberate führen, wie weitere amerikanische Studien ergeben hätten. Auch dies könne ein wesentlicher Baustein in der anstehenden BAföG-Reform sein.
„Die durch ein Studium entstehenden Kosten sind unbestritten ein wichtiger Grund dafür, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien seltener studieren.“, fasst Sandra Buchholz zusammen. „Das Bild ist aber weit komplexer – wissenschaftliche Studien zeigen, dass die wahrgenommenen Kosten eines Studiums nur einen eher kleinen Teil der nach wie vor bestehenden Herkunftsdisparitäten beim Übergang von Studienberechtigten ins Studium erklären können.“ Co-Autorin Frauke Peter ergänzt: „Vielmehr sind es oft fehlende Informationen zum Studium und dessen Finanzierungsmöglichkeiten oder deren Beantragung, die dazu führen, dass sich weniger Studieninteressierte aus sozial schwächeren Familien für ein Studium einschreiben.”
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