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Sachsen verdreifacht sein Genderverbot an Schulen – allen Ernstes. Eine Kolumne

"Die Schulen werden mit den Herausforderungen allein gelassen": News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek

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DRESDEN. Die Sommerzeit ist die Zeit der Wiederholungen – das weiß man nicht nur beim „Traumschiff“. Sachsens Kultusministerium scheint dieses TV-Prinzip übernommen zu haben. Zum 1. August tritt die nächste Runde im Kampf gegen ein Problem in Kraft, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Eine Kolumne von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek. Foto: Tina Umlauf

Das Bildungssystem steht vor mannigfaltigen Herausforderungen – vom Lehrkräftemangel über den gigantischen Investitionsstau bei den Schulgebäuden, bis hin zu den Defiziten in  den grundlegenden Disziplinen Lesen, Schreiben und Rechnen sowie den großen Lücken in der Demokratiebildung. In Sachsen widmet sich das Kultusministerium unter seinem neuen Chef Conrad Clemens (CDU) jetzt wieder einer seiner erklärten Lieblingsdisziplinen: dem Genderverbot.

Zur Erinnerung: Schon 2021 wurde in Sachsen beschlossen, dass Gendern mit Sonderzeichen in Schulen verboten ist. 2023 wurde das Ganze dann in einem medienwirksamen Erlass noch einmal feierlich bekräftigt. Und nun also: die Neuauflage der Neuauflage. Ab 1. August tritt die Vorschrift zum dritten Mal in Kraft – denn sicher ist sicher. Dreimal hält besser. Das Gendern mit Sternchen, Unterstrichen, Doppelpunkten oder Binnen-I bleibt weiterhin „Fehler“. In Arbeiten gibt’s Punktabzug. Basta.

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Der Sommer ist lang. Die Probleme sind klein. Die Symbolpolitik lebt.

Man fragt sich: Hat das Ministerium sonst nichts zu tun? Ich hätte da ein paar Vorschläge für weitere Wiederholungs-Verordnungen in den nächsten Wochen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Neuauflage des beliebten „Erlasses des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Bestellung der Strahlenschutzbeauftragten an öffentlichen Schulen“ von 2006? Oder einer neuen Ausgabe des viel gelesenen „Erlasses über schulorganisatorische Regelungen für sportbetonte Schulen“ aus dem Jahr 2003?

Aber ernsthaft: Was genau wird hier eigentlich gelöst? Es gibt keinen einzigen dokumentierten Fall, in dem eine sächsische Hochschule oder Schule Studierende oder Schüler*innen zum Gendern gezwungen hätte. Niemand wird genötigt, Sternchen zu setzen. Niemand muss sich durch ein Binnen-I quälen. Das ist eine politisch aufgeladene Scheinrealität – ein Problem, das eigens erfunden wurde, um dann mit maximalem Getöse „gelöst“ zu werden.

Politisches Wrestling statt Bildungspolitik

„Zur sprachlichen Klarheit“, so nennt es das Ministerium. Was aber eigentlich passiert, ist: Politik-Simulation. Ein bisschen wie Wrestling – es sieht kämpferisch aus, ist aber letztlich reine Show. Mit einem Unterschied: Diese Show hat Nebenwirkungen.

Die Realität draußen sieht nämlich so aus: Das BKA vermeldet einen deutlichen Anstieg queerfeindlicher Straftaten. In dieser Situation ausgerechnet den politischen Schwerpunkt auf ein Verbot von Sternchen zu legen, ist mehr als nur unglücklich. Es ist zynisch. Während die einen für Akzeptanz und Vielfalt kämpfen, setzt Sachsen auf Paragraphen gegen ein paar Satzzeichen – und signalisiert Betroffenen damit: Ihr bleibt außen vor.

Die Union spielt mit dem Feuer – und wärmt die Narrative der AfD auf

Der neue Erlass passt in ein größeres Muster. In ganz Deutschland nimmt die Union immer häufiger Narrative der AfD auf – Gendern verbieten, Migrantenquoten fordern, woker Sprachpolizei den Kampf ansagen. Praktische Konsequenzen: keine. Wirkung: verheerend.

Denn das Signal an die Wählerinnen und Wähler ist klar: Die Rechtsextremen hatten recht. Die Union eilt den Vulgär-Populisten hinterher – und wird dabei über kurz oder lang von ihnen überrollt werden. Wie es schon die Republikaner in den USA, die Tories in Großbritannien, die Christdemokraten in Italien oder die Republikaner in Frankreich erlebt haben. Nikolaus Blome, bekennender Konservativer, früher „Bild“-Politikchef und heute „Spiegel“-Kolumnist, hat das einmal so formuliert: „Welches wichtige Ding wurde in jüngster Zeit bei kulturkämpferischen Feindseligkeiten erfunden? Welche Krankheit ausgemerzt oder welches Problem auch nur ansatzweise angegangen – außer jenem Problem natürlich, zu dem man das Verhalten der anderen Seite zuvor stilisiert hat?“

Genderverbot als Beschäftigungstherapie?

Zurück nach Sachsen. Die Schultage dort sind oft zu kurz, die Lehrpläne zu voll, die Lehrkräfte zu knapp, die Gebäude marode. Aber Hauptsache: Genderverbot! Vielleicht sollten wir über weitere Verbots-Vorschläge nachdenken, die dringend nötig sind: Verbot des Bemalens von Schulgebäuden, Verbot von Schaumpartys in Klassenräumen, Verbot des Anpflanzens von Marihuana in Schulgärten. Auch spannend: ein Verbot von Reitaktivitäten auf Schulhöfen. Man weiß ja nie. Warum nicht gleich ein „Lex absurda“, mit der alle erdenklichen nicht existierenden Probleme in einem Rutsch geregelt werden? Spart Zeit. Und zeigt Handlungsfähigkeit. Angeblich. News4teachers 

Der Kulturkampf geht weiter: Prien untersagt in ihrem Ministerium (auch der Queer-Beauftragten?) das Gendern

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