BREMEN. Es ist ein Novum in Deutschland: Das Land Bremen hat ein Pilotprojekt zur digitalen Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte gestartet – begleitet von der Deutsche Telekom Stiftung. Ziel ist es, ein praxistaugliches Modell zu entwickeln, das sowohl juristisch abgesichert als auch organisatorisch für den Schulalltag handhabbar ist. Damit wagt das kleinste Bundesland einen Schritt, den bislang keine andere Landesregierung gegangen ist.
„Für eine funktionierende Zeiterfassung braucht es mehr als Technik – es braucht eine starke Vorbereitung. Genau daran arbeiten wir jetzt intensiv mit einem tollen, interdisziplinären Team“, erklärte Bildungssenatorin Sascha Karolin Aulepp (SPD) beim Start. „Das Pilotprojekt ist ein wichtiger Schritt, um die Arbeitsbedingungen in Bremen langfristig zu verbessern.“
Hintergrund: Das Deputatsmodell am Ende?
Seit mehr als 150 Jahren wird die Arbeitszeit von Lehrkräften in Deutschland über das Deputatsmodell geregelt. Dieses legt nur die Zahl der zu erteilenden Unterrichtsstunden fest. Alle weiteren Aufgaben – Korrekturen, Elterngespräche, Konferenzen – fallen zusätzlich an, sind aber zeitlich nicht erfasst. „Das derzeit geltende Arbeitszeitmodell ist nicht mehr zeitgemäß und verhindert, dass Lehrkräfte ihre Potenziale zum Wohle von Kindern und Jugendlichen wirklich voll ausschöpfen können“, sagt Jacob Chammon, Geschäftsführer der Deutsche Telekom Stiftung.
Die Stiftung bringt Erfahrungen aus ihrem Werkstattprojekt „Freiräume(n)“ ein, das bereits seit 2024 mit einem Netzwerk von Schulen erprobt, wie Arbeitszeitorganisation und innovative Pädagogik zusammengedacht werden können. Beteiligt sind unter anderem auch die Bremer Grundschulen Sodenmatt und Borchshöhe sowie Reformschulen wie die Alemannenschule Wutöschingen.
Ablauf des Pilotprojekts in Bremen
Das Bremer Modell gliedert sich in drei Phasen:
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Vorbereitungsphase (bis Juli 2026): In dieser Zeit werden die rechtlichen, organisatorischen und technischen Grundlagen gelegt. Sechs Schulen wurden ausgewählt: Grundschule Sodenmatt, Oberschule Lerchenstraße, Gymnasium Horn, Schulzentrum Grenzstraße, Willkommensschule Ellmerstraße und Paul-Goldschmidt-Schule. Die Erfassung soll ausschließlich digital erfolgen – über dienstliche iPads und eine speziell entwickelte App. Zugleich wird ein Ordnungsrahmen entworfen, der sicherstellt, dass die Daten nicht zur Leistungsbewertung, sondern ausschließlich zur Evaluation genutzt werden.
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Pilotphase (August 2026 bis Juli 2027): Ein Schuljahr lang erfassen die Beschäftigten aller beteiligten Schulen ihre tägliche Arbeitszeit vollständig digital. Begleitend werden die neuen Regelungen praktisch erprobt. Eine Zwischenevaluation nach dem ersten Halbjahr und eine Abschlussbefragung am Ende liefern Daten für Verbesserungen.
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Evaluationsphase (ab August 2027): Gemeinsam mit dem Institut für Qualitätsentwicklung im Bremer Bildungswesen (IQHB) und der Telekom-Stiftung werden die Ergebnisse ausgewertet. Probleme, Anregungen und Verbesserungswünsche fließen in die Weiterentwicklung des Modells ein. Ziel ist eine langfristige Einführung eines digital gestützten, rechtssicheren Systems – verankert in einer neuen Lehrkräftearbeitszeit- und Dienstverordnung.
Politische Bedeutung: Bremen als Vorreiter
Während Bremen handelt, halten andere Länder am bisherigen Kurs fest. Brandenburg und das Saarland bekräftigten zuletzt ihre Unterstützung für die Linie der Kultusministerkonferenz (KMK), wonach Lehrkräfte von der Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung ausgenommen bleiben sollten. Doch das Bundesarbeitsministerium (BMAS) hat diese Position nun öffentlich kassiert. In einem Brief an den Bildungsexperten Mark Rackles schreibt das BMAS: „Die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung ergibt sich bereits unmittelbar aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022. Sie gilt schon jetzt für alle angestellten Lehrkräfte.“ (News4teachers berichtete.)
Rackles kommentierte auf LinkedIn: „Der zentrale Satz kann nicht oft genug wiederholt werden: Das ‚Ob‘ der Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit auch bei Lehrkräften ist bereits geklärt! Es geht nur noch um das ‚Wie‘. Die Bundesländer sollten langsam (sechs Jahre nach dem Grundsatzurteil des EuGH) in die Gänge kommen. Bremen geht hier als erstes Bundesland den (sinnvollen) Weg über Pilotprojekte, andere Länder üben sich noch in der Vogel-Strauß-Politik.“
Expertise: Warum eine Reform unvermeidlich ist
Rackles, ehemals Berliner Bildungsstaatssekretär (SPD), hatte bereits 2023 im Auftrag der Telekom-Stiftung eine Expertise vorgelegt. Darin nannte er die Kernprobleme des Deputatsmodells: ineffizienter Umgang mit der Arbeitszeit, fehlender Gesundheitsschutz, Unflexibilität und Ungerechtigkeit. Er schlug ein Jahresarbeitszeitmodell vor, das vier Tätigkeitscluster definiert – von Unterricht über Korrekturen bis hin zu Teamarbeit und schulorganisatorischen Aufgaben. Schulen sollten dafür eine Globalzuweisung erhalten und eigenverantwortlich steuern.
Die Chancen liegen für Rackles auch darin, Teilzeitkräfte wieder stärker für Vollzeit zu gewinnen. „Mehr Transparenz in der Arbeit und mehr Entlastung beziehungsweise Ausgleich bei nachgewiesenen Überstunden“ seien überzeugendere Wege als Druck oder Zwang. Potenziell könnten so bundesweit bis zu 30.000 zusätzliche Vollzeitstellen entstehen. News4teachers

