BERLIN. Schule leiten? Immer weniger Lehrkräfte wollen sich das antun. Eine aktuelle Erhebung des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) zeigt: Bundesweit ist jede zwanzigste Schule derzeit ohne reguläre Leitung – insgesamt 1.270 Schulleiterstellen sind unbesetzt, wie eine Umfrage des RND bei den 16 Landesbildungsministerien ergab. Und das ist womöglich nur die Spitze des Eisbergs. Denn: Die Belastung für Schulleitungen ist extrem hoch – und der Beruf wird immer unattraktiver.
Am stärksten betroffen ist Nordrhein-Westfalen: Dort fehlen 387 Schulleitungen bei insgesamt 4.460 Schulen – das ist jede elfte Schule. Thüringen verzeichnet sogar eine etwas höhere Quote: 8,8 Prozent der Schulleitungsstellen sind vakant. Andere Länder stehen besser da – Bremen meldet nur sieben unbesetzte Direktorenstellen, Bayern lediglich 42 bei rund 4.350 Schulen, das entspricht etwa einem Prozent. Ein Bundesland konnte keine Daten liefern: In Hamburg würden die Besetzungszahlen erst im September erhoben, heißt es aus der dortigen Bildungsbehörde.
Die Zahlen werfen ein grelles Licht auf ein wachsendes Führungsproblem in der Schullandschaft – und auf eine zentrale bildungspolitische Herausforderung: Wer leitet künftig die Schulen in Deutschland?
Zwar betonen die Kultusministerien, dass „keine Schule ohne Leitung“ sei. In Schulen mit unbesetzten Schulleitungsstellen übernehmen kommissarisch oft Stellvertretungen oder Lehrkräfte aus Nachbarschulen die Aufgaben – aber: Das ist meist eine Notlösung, kein nachhaltiges Führungsmodell. Das Schulministerium Sachsen-Anhalt bringt die Bedeutung von regulären Leitungskräften auf den Punkt: „Die Besetzung von Funktionsstellen mit motivierten Lehrkräften hat einen großen Einfluss auf die Schülerschaft, die Zufriedenheit des Kollegiums und die gesamte Schulgemeinschaft. Eine gut geführte Schule kann Herausforderungen besser meistern und langfristig erfolgreich sein.“ Doch genau diese Führungskräfte fehlen – und das hat Gründe.
Belastung bis zur Selbstaufgabe: Studie offenbart Alarmierendes
Dass immer weniger Lehrkräfte den Schritt in die Leitung wagen, ist kein Zufall. Eine im Juni veröffentlichte Studie der GEW NRW, in Kooperation mit der Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften, zeichnet ein erschütterndes Bild vom Alltag in deutschen Schulleitungsbüros (News4teachers berichtete).
1.300 Schulleiterinnen und Schulleiter in NRW nahmen an der Untersuchung teil – mit klaren Ergebnissen: 94 Prozent arbeiten regelmäßig am Wochenende. 88 Prozent arbeiten abends oder nachts. Der Großteil fühlt sich emotional überfordert, viele erleben eine Entgrenzung von Beruf und Privatleben. Burnout-Symptome, Krankheit, Erschöpfung – all das ist weit überdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Berufsgruppen.
Dabei ist der sogenannte COPSOQ-Fragebogen, der der Erhebung zugrunde liegt, ein international bewährtes Instrument zur Messung psychosozialer Belastungen. Und laut diesem sind Schulleitungen in nahezu allen Belastungskategorien deutlich negativer betroffen als der Durchschnitt. „Die Studie gibt in vielerlei Hinsicht Antworten darauf, warum es in NRW so viele unbesetzte Schulleitungsstellen gibt“, kommentiert die GEW-Landesvorsitzende Ayla Çelik. „Hier werden die strukturelle Überlastung und das Erwartungsniveau besonders deutlich. Das sind Rahmenbedingungen, die mit einem wirksamen Gesundheitsschutz nicht vereinbar sind.“
Zwischen allen Stühlen: Die Rolle der Schulleitungen wird zum Spagat
Was Schulleitungen leisten, geht weit über Managementaufgaben hinaus: Sie sind Manager, Seelsorger, Pädagogen, Krisenmanager, Konfliktlöser – alles in Personalunion. Und das in einem System, das ihnen kaum Puffer bietet. Çelik warnt: „Schulleitungen haben eine enorme Verantwortung und stehen dabei oft zwischen den Stühlen. Sie sind Puffer zwischen Kollegium, Eltern, Schülern und Schulaufsicht. Sie sind Managerinnen, Streitschlichter, Psychologinnen und Pädagog*innen in einer Person.“ Hinzu komme ein strukturelles Problem: Viele der Aufgaben sind nicht sichtbar, nicht anerkannt und nicht angemessen bezahlt.
Das Problem verschärft sich: Hunderte Schulleiterinnen und Schulleiter gehen in den kommenden fünf Jahren in den Ruhestand, allein in NRW. Nachwuchs ist kaum in Sicht – viele Lehrkräfte schrecken vor der Leitung zurück, weil sie keine zusätzliche Belastung wollen. Besonders dramatisch ist die Lage an Grundschulen, wo die Aufgabenfülle besonders hoch, die Ressourcen besonders gering sind.
Für die GEW ist die Konsequenz klar: „Diese Entwicklung gefährdet nicht nur die Führungskultur an unseren Schulen, sondern auch die Qualität von Bildung und Schulentwicklung“, sagt Ayla Çelik. „Eine Schule zu leiten, darf keine Zumutung sein.“
Forderungskatalog: GEW fordert, die Leitungsämter deutlich zu entlasten.
Die Bildungsgewerkschaft fordert deshalb: deutliche Entlastung der Leitungsämter, zusätzliche Verwaltungsassistenzen, multiprofessionelle Teams, mehr Leitungszeit und verbindliche Gesundheitsstandards. Die Aufgabenfülle müsse nicht nur reduziert, sondern besser verteilt werden. Und: Leitung muss attraktiv sein, nicht abschreckend. Denn ohne starke Schulleitungen droht der Schulalltag ins Chaos zu kippen – mit gravierenden Folgen für Lehrkräfte, Eltern und nicht zuletzt: für die Schülerinnen und Schüler. News4teachers / mit Material der dpa