BERLIN. Die Bundesregierung macht Ernst: Mit einem „Riesenschritt nach vorne“ will Verteidigungsminister Boris Pistorius den Wehrdienst neu aufstellen – das Kabinett hat die Pläne gebilligt. Doch während die Regierung auf verpflichtende Erfassung junger Männer setzt und (zunächst) Freiwilligkeit im Dienst verspricht, kommt von den Betroffenen Kritik: Schülervertreter Quentin Gärtner beklagt, dass die Jugend in der Debatte übergangen werde.
Die Begeisterung hält sich in Grenzen: Junge Menschen in Deutschland haben mehrheitlich keine Lust auf Wehrdienst oder eine andere Dienstpflicht. 55 Prozent der 16- bis 26-Jährigen lehnen die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ab, wie eine repräsentative YouGov-Befragung im Juli ergab. Nur 38 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus.
Dass diese Skepsis bislang kaum Gehör findet, sorgt bei den Schülervertretungen für Unmut. Die Bundesschülerkonferenz wirft der Politik vor, die Anliegen junger Menschen in der Debatte zu ignorieren. Ihr Generalsekretär Quentin Gärtner kritisierte insbesondere, dass das Gremium keine Gesprächsangebote aus der Politik erhalten habe. „Es sollte keinerlei Entscheidung über junge Menschen geben, ohne diese vorher gefragt zu haben. Alles andere ist ignorant“, sagte er der Nachrichtenagentur AFP.
Schülervertreter: „Ich empfinde die ganze Debatte als ungerecht“
Weder vom Verteidigungsministerium noch von anderen Verantwortlichen habe es eine Anfrage gegeben. Dies sei „nicht in Ordnung“. Gärtner nannte es „fatal, wenn eine ältere Generation meint, so erheblich in die Möglichkeiten und Freiheiten junger Menschen einzugreifen, ohne diese zu beteiligen“. Bei Entscheidungen, die Schülerinnen und Schüler beeinflussen, müssten diese mindestens vorher angehört werden.
Inhaltlich bewertete Gärtner die Wehrdienstpläne nicht, da die Bundesschülerkonferenz nur ein schulpolitisches Mandat habe. Allerdings plädiere die Konferenz dafür, dass „jungen Menschen alle Möglichkeiten offengehalten werden, in alle Richtungen“. Besonders kritisch äußerte er sich mit Blick auf die Debatte über ein verpflichtendes Dienstjahr, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angeregt hatte. „Ich empfinde die ganze Debatte als ungerecht“, sagte Gärtner.
Kabinett beschließt Wehrdienstmodell, das den eigentlichen Dienst freiwillig hält – noch
Das Bundeskabinett billigte am Mittwoch Pläne von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) für ein neues Wehrdienstmodell. Wenn der Bundestag zustimmt, soll es am 1. Januar 2026 losgehen – mit einigen Veränderungen. Pistorius sprach von einem „Riesenschritt nach vorne“.
Das Kabinett beschloss ein Gesetzespaket zur Stärkung der Bundeswehr, das auf verpflichtende Wehrerfassung und Musterung junger Männer setzt, aber den eigentlichen Dienst freiwillig hält. Kanzler Friedrich Merz (CDU) zeigte sich zuversichtlich, dass die Zahl der nötigen Freiwilligen erreicht werden könne. Er verwies zugleich auf die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit einer verpflichtenden Heranziehung, falls nicht genügend Bewerber zusammenkommen. „Wir sind damit wieder zurück auf dem Weg hin zu einer Wehrdienstarmee“, sagte Merz. Das sei eine „gute Entwicklung“, die er ausdrücklich begrüße. Er verwies auch auf die Bedrohung durch Russland.
Für junge Männer ab dem Jahrgang 2008 bedeuten die Pläne: Sie müssen vom 1. Januar nächsten Jahres in einem Fragebogen Auskunft geben, ob sie zu einem Wehrdienst fähig und bereit sind. Dies ist Teil der Wehrerfassung. Junge Frauen können die Fragebögen ausfüllen, sind aber nicht dazu verpflichtet. Zunächst wird nur eine Auswahl des Jahrgangs zu einem „Assessment“ eingeladen. „Darüber hinaus ist vorgesehen, dass ab dem 1. Juli 2027 auch die Musterung für Männer verpflichtend sein wird“, teilte das Verteidigungsministerium mit. Limitierender Faktor seien zunächst noch Kapazitäten für ärztliche Untersuchungen.
Der Dienst soll attraktiver werden: Alle neuen Wehrdienstleistenden sollen in den Status eines Soldaten auf Zeit berufen werden und zwischen sechs und 23 Monaten Verpflichtungszeit wählen können. Pistorius stellte Sprachkurse, Führerscheine und IT-Lehrgänge in Aussicht. Der Sold werde bei 2.300 Euro netto liegen, Unterkunft und ärztliche Versorgung seien kostenfrei. Pistorius zeigte sich überzeugt, dass die freiwilligen Angebote ausreichen. „Wir haben für dieses Jahr 15.000 angepeilt und sind jetzt im August schon bei knapp 13.000 angelangt“, sagte er. Bis 2029 sollen es jährlich 30.000 werden, insgesamt 110.000 Wehrdienstleistende.
Die Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt, ist aber weiter im Grundgesetz verankert. Sie kann mit einfacher Mehrheit im Bundestag wieder eingeführt werden und tritt automatisch in Kraft, wenn der Bundestag den Spannungs- oder Verteidigungsfall feststellt.
Für Schülervertreter Quentin Gärtner bleibt die Richtung falsch: „Uns wird dieses Thema so vor die Tür gelegt, aber es wird nicht mit uns gearbeitet“, sagte er. „Wir werden übergangen“, so Gärtner weiter. Die Verantwortlichen sollten „sehr vorsichtig handeln“, da sie „gerade eine ganz wesentliche Entscheidung für junge Menschen treffen“. In der aktuellen Debatte um den Wehrdienst sehe er diese Vorsicht nicht. News4teachers / mit Material der dpa