BERLIN. Mit den Schülerleistungen in Deutschland geht es weiter bergab. Nach Studien über schlechtere Lese- und Rechenkompetenzen in der Grundschule und zurückgehende Deutsch-Leistungen in der Oberstufe zeigt nun eine weitere Untersuchung – der IQB-Bildungstrend – auch wachsende Defizite bei Neuntklässlern in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften. Die Bundesbildungsministerin schlägt Alarm.
Jeder Dritte verfehlte in Testaufgaben die Mindeststandards für den mittleren Schulabschluss (MSA) in Mathematik, wie der aktuelle IQB-Bildungstrend des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen zeigt – ein Anstieg von zehn Prozent im Vergleich zur letzten Erhebung 2018. Die Studie, die am Rande der Bildungsministerkonferenz in Berlin vorgelegt wurde, enthält weitere besorgniserregende Befunde:
- Fast jeder zehnte (9 Prozent) erreicht in Mathematik nicht einmal die Mindeststandards für den ersten Schulabschluss (Hauptschulabschluss).
- Von denjenigen, die einen MSA anstreben, scheitern 25 Prozent an den Mindestanforderungen im Fach Chemie, 16 in Physik und 10 Prozent in Biologie.
- Die Leistungen haben sich durch die Bank verschlechtert und das unabhängig vom sozialen und familiären Hintergrund. Nicht nur leistungschwächere Schüler sind betroffen, sondern auch Gymnasiasten.
- Das Interesse der Jugendlichen an den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern nimmt ab: Der Anteil derjenigen, die sich dafür kaum interessieren, sei sehr hoch.
- Die Verbundenheit der Schülerinnen und Schüler mit ihrer Schule nimmt ebenfalls ab.
- Zwar gibt ein «erheblicher Anteil» der Neuntklässler an, kaum von psychosozialen Auffälligkeiten betroffen zu sein und hohe soziale Fähigkeiten zu haben, dennoch spricht die Studie von einer besorgniserregend deutlichen Zunahme von Auffälligkeiten: 17 Prozent der Jugendlichen geben demnach an, häufig emotionale Probleme zu haben, und 16 Prozent, dass verschiedene Indikatoren für Hyperaktivität bei ihnen häufig auftreten.
Bundesbildungsministerin Karin Prien bezeichnete die schlechten Leistungen als besorgniserregend. «Es ist ein ernstzunehmendes Warnsignal, und zwar für unsere Gesellschaft insgesamt», sagte die CDU-Politikerin bei einer Pressekonferenz in Berlin. Es gebe massiven Handlungsbedarf und brauche eine nationale Kraftanstrengung, um die passende Antwort auf diese Ergebnisse und die Ergebnisse davorliegender Bildungsstudien zu finden. «Die Schulen allein werden diese großen Herausforderungen nicht mehr lösen können.»
«Geht nicht um irgendwelche Bildungsgipfel»
«Hier geht es nicht um irgendwelche Bildungsgipfel», sagte Prien. Es gehe um Arbeitsprozesse. Sie forderte eine konstruktive Zusammenarbeit aller Akteure von der Politik, über die Verwaltung, Verbände, Kitas, Schulen, die Kinder- und Jugendhilfe, die Familien und außerschulischen Bildungsträgern bis hin zu den für Lehrkräftebildung zuständigen Universitäten und Einrichtungen der Länder.
Sie verwies darauf, dass bereits Maßnahmen ergriffen seien, vieles wirke noch nicht. Prien nannte das Startchancenprogramm, die Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztag, der im nächsten Jahr greift oder Verbesserungen in der frühkindlichen Bildung etwa durch Sprachdiagnostik und Sprachförderung.
Was sind die Ursachen für diese Entwicklung? Die Daten der Studie geben keine Antworten darauf. Die Studienautoren vermuten aber, dass «Nachwirkungen der pandemiebedingten Einschränkungen des Schulbetriebs und der Sozialkontakte ein wesentlicher Faktor sein» dürften.
Entwicklung möglicherweise «stark beeinträchtigt»
Die 2024 getesteten Neuntklässer seien damals in der fünften Klasse gewesen, in den meisten Bundesländern also kurz nach dem Verlassen der Grundschule im noch neuen Alltag der Sekundarstufe eins, aus dem sie herausgerissen worden seien. Der Einschnitt «könnte ihre Entwicklung stark beeinträchtigt haben und auch noch vier Jahre später nachwirken».
Die Veränderungen im erreichten Kompetenzniveau hätten zudem etwas damit zu tun, dass sich die Zusammensetzung der Schülerschaft weiter verändert habe. Die sozioökonomische Heterogenität habe sich vergrößert und der Anteil zugewanderter Schülerinnen und Schüler sei weiter gestiegen.
Aktuelle Studien zeigten zudem, dass viele Jugendliche infolge globaler Krisen ein erhöhtes Maß an Ängsten und Unsicherheiten erleben. «Ferner wird vielfach angenommen, dass die Nutzung sozialer Medien die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen kann», heißt es weiter.
Mehr als 48.000 Schülerinnen und Schüler getestet
Für die repräsentative Studie wurden im vergangenen Jahr mehr als 48.000 Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen aus allen 16 Bundesländern getestet. Ihnen wurden außerdem Fragebögen vorgelegt mit Fragen zur Person, zum häuslichen Umfeld zu den schulischen Lernbedingungen, zur Schulzufriedenheit und anderen Themen.
Gemessen wurde, inwieweit die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz erfüllt werden. Sie legen fest, über welche Kompetenzen Schüler verfügen sollten, wenn sie das Ende einer bestimmten Bildungsetappe erreicht haben. Der Mindeststandard definiert laut IQB dabei «das Minimum an Kompetenzen, das zu diesem Zeitpunkt in der Bildungslaufbahn erreicht werden sollte». News4teachers / mit Material der dpa
IQB-Bildungstrend: Ranking im Überblick – So schneiden die einzelnen Bundesländer ab