Unzählige Kerzen stehen neben Kuscheltieren und Blumen am Eingang der Pfarrkirche St. Marien. Hier im mecklenburgischen Güstrow bleiben immer wieder Menschen stehen, darunter auch Kinder, stellen Kerzen dazu, weinen, gehen weiter oder in die Kirche. «Unbegreiflich, einfach so sinnlos», sagt eine Frau mit gebrochener Stimme. Der Fund einer Kinderleiche nahe der Stadt erschüttert eine ganze Region. Es gilt als wahrscheinlich, dass es sich um den vermissten achtjährigen Fabian aus Güstrow handelt.
Julia Sibrins und David Zubke verlassen mit Tränen die Kirche. Sie sind extra aus Rostock gekommen, um ihre Anteilnahme zu zeigen. «Das nimmt einen einfach mit», sagt Zubke. Sie seien selbst keine Eltern, aber Sibrins erwartet im Februar einen Jungen, was schon deutlich zu sehen ist. «Es ist ein bisschen greifbarer», begründet Sibrins ihr Kommen. «Man ist eine außenstehende Person, aber wenn man hier vorsteht, davor und drinnen in der Kirche, dann ist das schon schlimm.» Innen steht vor dem Altar ein Foto Fabians, das ihn offenbar beim Backen zeigt.
Angehörige sehen sich nicht zur Identifikation imstande
Endgültige Gewissheit über den mutmaßlichen Tod Fabians gibt es unterdessen bislang nicht. Die Angehörigen hätten sich nicht imstande gesehen, die Leiche in Augenschein zu nehmen und zu identifizieren, sagte der Rostocker Staatsanwalt Harald Nowack. Die vorgebrachten Beweggründe seien nachvollziehbar.
Nun solle ein DNA-Test Klarheit über die Identität des toten Kindes bringen. Die Ermittler waren schon am Dienstag davon ausgegangen, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den Achtjährigen handelt, der seit Freitag vermisst wurde. Nachdem Hundertschaften der Polizei tagelang vergeblich nach ihm gesucht hatten, entdeckte eine Spaziergängerin eine Kinderleiche etwa 15 Kilometer entfernt vom Wohnort des Grundschülers.
Hoffen auf Ermittlungsergebnisse
Laut Staatsanwaltschaft erfolgte am Mittwoch die Obduktion der Leiche. «Vom Ergebnis wird viel abhängen», sagte Nowack. Als besonders wichtig werden Hinweise zur Todesursache erachtet. Die Ermittlungen würden zunächst in sämtliche Richtungen geführt. «Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, die es gibt. Wir drehen jeden Stein um, wenn es sein muss, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit», versicherte Nowack.
Am Mittwoch durchkämmten mehrere Dutzend Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei das erweiterte Umfeld des Fundortes «nach Gegenständen oder Spuren, wie auch immer, die da nicht hingehören», sagte eine Polizeisprecherin. Die Ermittler gehen von einer Straftat aus. Die Hintergründe sind bislang weitgehend unklar. Konkrete Verdachtsmomente gegen Personen gebe es bislang nicht, sagte Staatsanwalt Nowack.
Der Güstrower Bürgermeister hofft auf baldige Ermittlungsergebnisse. «Ich wünsche einfach und drücke da die Daumen, dass die Ermittlungsbehörden sehr schnell einen Ermittlungserfolg erzielen», sagt Sascha Zimmermann (FDP) der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist meine ganze Hoffnung auch, damit dann eine gewisse Ruhe in die Stadt einkehren kann.»
«Ein schreckliches Gefühl»
Fabian sei in der Stadt kein Unbekannter, «der nur zu Hause gesessen hat», sagte Zimmermann. Er sei als Spielpartner bekannt, habe beim Verein ETSV Güstrow Fußball gespielt und sei auch regelmäßig im örtlichen Jugendclub gewesen.
Zudem habe er bis zum Sommer den städtischen Hort besucht. «Das nimmt natürlich dann auch gerade die Kinder in der Stadtgesellschaft mit. Und wenn es Kinder mitnimmt, nimmt es auch deren Eltern mit.» Aber auch ohne den Jungen direkt oder indirekt zu kennen, sei es «ein schreckliches Gefühl», gerade, wenn man Kinder habe und mit den Eltern mitfühle.
Pastor: Menschen müssen irgendwo hin mit Trauer
Am Dienstagabend hatten im Rahmen eines Gottesdienstes Hunderte Menschen in der Pfarrkirche St. Marien getrauert und Anteil genommen. Es seien so viele Kerzen abgestellt worden, dass die Feuerwehr die brennenden Lichter habe auseinanderstellen müssen, sagte Pastor Jens-Peter Schulz.
«Das hat hier noch keiner erlebt. Und da gibt es auch überhaupt keinen Fahrplan», sagt Schulz zur derzeitigen Situation. «Das waren ja nicht alles Christen, die hier waren, sondern das waren Leute, die einfach irgendwo hin müssen mit ihrer Trauer.» Dieses Bedürfnis ist auch am Mittwoch noch sichtbar groß.
«Wo, wenn nicht hier, dass sich Menschen treffen und dann eben auch zusammen trauern», sagt Schulz. Gegenwärtig überlege man, die Öffnungszeiten der Kirche zu erweitern. Gegebenenfalls könnte die Gemeindepädagogin Kindern in der Kirche die Möglichkeit geben, zu basteln oder etwas aufzuschreiben. «Damit sie das loswerden. Das muss ja irgendwie raus.»
Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) besuchte die Grundschule Fabians. Dort bietet nach Aussage Oldenburgs ein «Raum der Stille eine Möglichkeit des Gedenkens und des Innehaltens». Nach Angaben des Ministeriums wurde die Anzahl der unterstützenden Psychologinnen und Psychologen erhöht. Bereits seit Montag steht an der Schule wegen des Vermisstenfalls entsprechende Hilfe bereit. Auch Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte an umliegenden Grundschulen werden laut Ministerium schulpsychologisch betreut.
Freistellung von Unterricht möglich
«Wir stehen eng an der Seite der Familie, der Kinder, der Eltern und der Lehrkräfte», wurde Oldenburg zitiert. «Die Kinder können auch heute in ihrem Klassenverband oder einzeln mit den Psychologinnen und Psychologen sprechen und Angebote der Trauerbewältigung wahrnehmen.» Laut Ministerium wurden die Eltern per Elternbrief über die Unterstützungsangebote informiert. Zudem sei ihnen freigestellt, ihre Kinder für den Mittwoch vom Unterricht abzumelden. Auch für Schulen im Umkreis gebe es einen Ansprechpartner, sofern Unterstützung gebraucht werde. News4teachers / mit Material der dpa
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