DÜSSELDORF. Eltern fordern zu Recht Unterstützung von Staat und Gesellschaft – gute Kitas, funktionierende Schulen, verlässliche Betreuung. Doch auch sie selbst stehen in der Pflicht. In ihrem Gastkommentar erinnert Jutta Langer, ehemalige Vorsitzende der Landeselternschaft der Gymnasien in NRW, daran, dass Erziehung eine gemeinsame Aufgabe ist – und dass Eltern ihren Teil dazu beitragen müssen.
Eltern sein in der digitalen Selbstoptimierungsgesellschaft
Eltern meinen es gut mit ihren Kindern und möchten ihnen alle Fähigkeiten zu einem eigenständigen und erfüllten Leben vermitteln. Die Erkenntnisse über die kindliche Entwicklung füllen Bibliotheken, aber die meisten Eltern stürzen sich „blank“ in das Abenteuer, sind dem auserkorenen Erziehungsberater völlig hörig oder verunsichert ob der vielen Vorschläge von „berufener“ Stelle (und dazu zählt meist nicht die eigene Familie). Obwohl die ersten Jahre eines Kindes so prägend für sein ganzes weiteres Leben sind, gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens, dass Elternsein gelernt werden will.
Wäre es nicht sinnvoll, den Besuch allgemein anerkannter Elternkurse über kindliche Entwicklung und Bedürfnisse sowie den altersgerechten Umgang mit digitalen Angeboten zur Pflicht werden zu lassen (notfalls gekoppelt mit der Zahlung des Kindergeldes)?
Die Aussage „Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“ ist auch heute noch wahr, aber dieses Dorf gibt es nicht mehr. In unserer Zeit sollen oder wollen beide Eltern möglichst verlässlich berufstätig sein und sich (damit?) selbst verwirklichen und gleichzeitig ihre Kinder einfühlsam und hingebungsvoll aufziehen: eine hohe gesellschaftliche Erwartungshaltung bei gleichzeitigem Wegfall der familiären Unterstützung.
Es fehlen Großeltern in der Nähe mit Zeit und Muße, es fehlt Orientierung und Zusammenhalt einer Gemeinde, es fehlen Mutter oder Vater, die sich ohne berufliche Belastung den Bedürfnissen der Kinder widmen können. Und das digitale „Kindermädchen“ ist eine Möglichkeit, zu der man seit den Warnungen von Unesco, SWK und Leopoldina nur noch mit schlechtem Gewissen greifen kann.
“Es scheint heute hilfreich und leider oft auch notwendig, verbindliche Vereinbarungen über gegenseitige Rechte und Pflichten Usus werden zu lassen”
Wäre es nicht eine sinnvolle Idee, wenn über gut durchdachte organisierte digitale Plattformen „Mitglieder der Gemeinde“ zu Großeltern werden könnten? Eltern fordern in unserer Zeit zu Recht Hilfe von der Gemeinschaft ein, verlässlich und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung in Kindergarten und Schule für alle erreichbar zur Verfügung zu stellen sowie insgesamt ein kinderfreundliches Umfeld zu schaffen. Wenn unsere Gesellschaft als Ganzes mit ihrem Einsatz zeigte, dass ihnen die Kinder am Herzen liegen, wenn die Lernstätten in gutem Zustand wären, wenn die Zahl und die Ausbildung der Erzieher und Lehrer wieder hohen Ansprüchen genügte, – dann hätten die Eltern wieder mehr Mut, Kinder großzuziehen und ihr Leben zwischen Familie und Beruf erfolgreich zu meistern.
Doch tritt dabei zu sehr in den Hintergrund, dass die Institutionen, insbesondere Kindergarten und Schule, auch berechtigte Erwartungen an die Eltern haben dürfen, deren Erfüllung früher selten der Rede wert waren. Es scheint heute hilfreich und leider oft auch notwendig, verbindliche Vereinbarungen über gegenseitige Rechte und Pflichten Usus werden zu lassen.
Für Eltern würde das zum Beispiel bedeuten:
a. Sie erziehen aufmerksam und konsequent.
b. Sie sorgen dafür, dass ihr Kind nicht hungrig und unausgeschlafen in die Schule kommt.
c. Sie begleiten ihre Kinder in die digitale Welt und schützen sie.
d. Sie vermitteln ihren Kindern, dass Schule ein Geschenk der Gemeinschaft ist.
e. Sie erkennen an, dass Elternvertretung und -engagement in Schulen und Kindergärten für ein gut funktionierendes System unverzichtbar sind, sie ducken sich nicht weg, sondern verpflichten sich zur Anwesenheit bei Elternabenden.
f. Sie tragen dazu bei, dass Mängel der Institutionen den Bedürfnissen entsprechend auf viele Schultern verteilt werden.
g. Sie bemühen sich, (mit der Schule) eigene Sprachbarrieren zu überwinden; andere kulturelle Auffassungen sind keine akzeptablen Gründe, die Mitarbeit zu verweigern.
h. Sie haben Grundvertrauen in die Arbeit der Lehrer und Erzieher.
i. Sie üben einen respektvollen Umgangston mit ihnen.
j. Sie suchen bei Problemen kooperativ nach Lösungen, statt gleich mit dem Anwalt zu drohen (eventuell interne Mediation).
k. Sie sind verlässlich bei Absprachen.
l. Sie akzeptieren, dass nicht jedes Kind ein „Einstein“ sein kann.
m. Sie kontrollieren nur, dass Hausaufgaben gemacht wurden, ohne sie inhaltlich zu verbessern.
n. Sie informieren über externen Nachhilfeunterricht für ihre Kinder.
Zudem sollte allen Eltern in diesem Rahmen bewusst gemacht werden, wie wichtig ihr verfassungsrechtlich garantiertes Mitspracherecht (Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes und Art. 10 Abs. 2 der Landesverfassung NRW) ist und dass dieser wichtige Einfluss nur dann Wirkung zeigt, wenn sie diese Funktion der Mitbestimmung und Kontrolle auch souverän und engagiert wahrnehmen. Hierzu bedarf es der staatlichen Unterstützung (demokratisch legitimierte Vertreterwahlen und ausreichende Mittel für eine unabhängige Selbstverwaltung).
Familienzeit bietet vorübergehend wenig Raum für Selbstoptimierung, umso mehr aber für Hingabe und Bereicherung. Und keine Sorge, die Zeit der Einschränkungen ist schneller verflogen, als vielen lieb ist. Mehr Engagement an der richtigen Stelle führt paradoxerweise zu weniger Arbeit und Stress. Und dann haben wir mehr pa- und potente Eltern und wieder ein Dorf, nur ein größeres. News4teachers