SIEGEN. Was aussieht wie ein Tempelbesuch in der Schweiz, findet in Wahrheit im Klassenzimmer, im Hörsaal oder im heimischen Wohnzimmer statt. Die Theologischen Seminare der Universität Siegen haben digitale Rundgänge durch sakrale Räume entwickelt, die im Religionsunterricht und in der Hochschullehre eingesetzt werden können. Neu im Angebot ist ein buddhistischer Tempel – virtuell begehbar per Laptop oder Virtual-Reality-Brille.
Konkret geht es um den Wat Srinagarindravararam im schweizerischen Gretzenbach. Von außen weist zunächst wenig auf seine religiöse Funktion hin, erst die pagodenartigen Dächer verraten, dass es sich um einen buddhistischen Tempel handelt. Genau diese Erfahrung – das schrittweise Erschließen eines Sakralraums – lässt sich nun digital nachvollziehen. Möglich macht das das Projekt „Digitale Repräsentation von Sakralbauten und digitale Sakralraumpädagogik“, angesiedelt an der Universität Siegen.
Die Datenbank des Projekts umfasst bereits katholische, evangelische, reformierte und orthodoxe Kirchen, Moscheen und Synagogen. Mit dem buddhistischen Tempel wurde das Spektrum nun erweitert. Geleitet wird das Projekt von Prof. Mirjam Zimmermann, Professorin für Evangelische Theologie, und Prof. Ulrich Riegel, Professor für Katholische Theologie. Finanziert wurde es über ein Fellowship für Innovation in der digitalen Hochschullehre NRW, das unter anderem die Anschaffung von 360-Grad-Kameras und VR-Brillen ermöglichte.
Ausgangspunkt war eine praktische Frage des Religionsunterrichts: Wie lassen sich im Rahmen interreligiösen Lernens unterschiedliche Glaubensräume erschließen, wenn reale Besuche zeitlich, organisatorisch oder finanziell kaum möglich sind? „Das ist aufwändig, teuer und zum Teil schlicht nicht realisierbar“, erklärt Mirjam Zimmermann. Die digitale Lösung soll hier Abhilfe schaffen – nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung.
Der virtuelle Rundgang durch den buddhistischen Tempel entstand im Rahmen einer Bachelorarbeit. Verfasst wurde sie von Vivienne Adolphs, Lehramtsstudentin für Religion und Geschichte. Für sie bedeutete das Projekt gleich mehrere Herausforderungen: den Umgang mit der 360-Grad-Technik, die inhaltliche Auseinandersetzung mit buddhistischer Lehre sowie Gespräche mit den Mönchen vor Ort und schließlich die didaktische Aufbereitung für Schule und Hochschule. Entstanden ist ein Rundgang, der nicht nur Räume erschließt, sondern Hintergrundwissen vermittelt, Mönche zu Wort kommen lässt, Meditationssequenzen enthält und mit Quiz-Elementen sowie Zusatzmaterialien für Lehrkräfte arbeitet. Ein Avatar begleitet die Lernenden durch den Tempel.
Nach Einschätzung von Mirjam Zimmermann eignet sich das Angebot besonders für den Religionsunterricht. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach den Grenzen digitaler Zugänge. Sakralräume wirken nicht nur visuell, sondern auch über Geräusche, Gerüche, Temperaturen und soziale Begegnungen. Das lässt sich virtuell nur eingeschränkt abbilden. Zimmermann betont deshalb, dass reale Besuche dort, wo sie möglich sind, weiterhin wichtig bleiben. Digitale Rundgänge seien vor allem dort eine sinnvolle Alternative, wo der direkte Zugang fehlt.
Interessant sind erste Hinweise aus einer explorativen Studie des Projekts. Demnach erzielten Schülerinnen und Schüler, die Sakralräume virtuell erkundeten, teils bessere Lernergebnisse als Gruppen, die die Räume analog besuchten. Ob digitales Lernen in diesem Bereich tatsächlich gleichwertig oder sogar überlegen ist, soll in einem Folgeprojekt systematisch untersucht werden.
Auch Vivienne Adolphs sieht pädagogisches Potenzial. Zwar seien Lernende mit VR-Brillen in ihrer sozialen Interaktion eingeschränkt, gleichzeitig könnten sie aber ungestört und im eigenen Tempo lernen. Ihre Erfahrung aus den Aufnahmen zeigt jedoch auch Grenzen: Eine halbstündige Abendmeditation der Mönche lasse sich vor Ort als gemeinsames Erlebnis erfahren – allein am Bildschirm sei das kaum möglich. News4teachers
- Datenbank vorliegender digitaler Repräsentationen von Sakralräumen (im Aufbau)
- Siegener Lernumgebungen in digitalen Sakralräumen:
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