NÖRDLINGEN. Die Polizei hat 40 Kinder aus der umstrittenen Sekte «Zwölf Stämme» geholt. In einem Fall hob das Gericht jetzt den Sorgerechtsentzug auf – das betroffene Kind darf zu seinen Eltern zurück. Etliche Familien sollen inzwischen ins Ausland gezogen sein.
Anfang September holte die Polizei 40 Kinder und Jugendliche nach Prügelvorwürfen aus der umstrittenen Glaubensgemeinschaft «Zwölf Stämme» – nun durfte ein drei Jahre altes Kind zu seinen Eltern zurück. Das Amtsgericht Ansbach sah in diesem Fall keine Gefährdung, da die Familie aus Lateinamerika lediglich bei der Sekte zu Besuch war. Wegen der anderen Kinder sei in den nächsten Tagen keine Entscheidung zu erwarten, teilte das Ansbacher Gericht am Montag mit. An diesem Mittwoch beginnen weitere Verfahren beim Amtsgericht Nördlingen.
Ehemalige Sektenmitglieder hatten berichtet, dass Buben und Mädchen bei der Sekte geschlagen werden. Auf gerichtliche Anordnung wurden die Kinder aus den zwei Gemeinschaften der «Zwölf Stämme» auf dem schwäbischen Gutshof Klosterzimmern in Deiningen (Landkreis Donau-Ries) und im mittelfränkischen Wörnitz (Kreis Ansbach) geholt und in Pflegefamilien gebracht.
Die Eltern fordern die Aufhebung des vorläufigen Sorgerechtsentzuges. Die beiden Gerichte wollen nun nicht nur die leiblichen Eltern anhören, sondern auch die Pflegefamilien. Dies werde etwa zwei Wochen dauern, erklärte die Ansbacher Amtsgerichtsdirektorin Gudrun Lehnberger. «Danach wird der Richter voraussichtlich entscheiden, ob die einstweiligen Anordnungen aufrechterhalten oder aufgehoben werden.»
Die insbesondere in den USA vertretene Sekte hat bereits mehrfach eingeräumt, dass Kinder in der Gemeinschaft gezüchtigt werden. Auch auf der englischsprachigen Internetseite der «Zwölf Stämme» wird das Schlagen der Kinder zugegeben. «Weil wir sie lieben, versohlen wir ihnen den Hintern», heißt es dort. (Hier geht es zu der Seite.)
Das bayerische Kultusministerium hatte im Sommer auch die Privatschule der «Zwölf Stämme» in Klosterzimmern geschlossen. Die Schule war der Sekte einst genehmigt worden, weil sich die Glaubensgemeinschaft trotz Schulpflicht weigerte, ihre Kinder in öffentliche Schulen zu schicken. Nach Medienberichten sollen einige Familien inzwischen ins Ausland gezogen sein, um sich dem Zugriff der deutschen Behörden zu entziehen.
Wie der «Spiegel» berichtet, sollen Anhänger der Sekte zuletzt auch in Dolchau in Sachsen-Anhalt gelebt haben. Vor einigen Tagen seien die Kinder nach Tschechien gebracht worden, auf einen Bauernhof in der Nähe Prags. Bereits im Juni hatte auch die «Augsburger Allgemeine» berichtet, dass seit Jahresanfang etliche Familien mit ihren Kindern aus Bayern nach Frankreich und Tschechien gezogen seien. dpa
Zum Bericht: «Zwölf Stämme» dürfen keine neue Schule eröffnen