MÜNCHEN. Der für den deutschen Teil der PISA verantwortliche Bildungsforscher Manfred Prenzel hat die Befunde der Studie für Deutschland als „sehr positiv“ bezeichnet. Es gebe Leistungssteigerungen in Mathematik, Naturwissenschaften und endlich auch im Lesen, so berichtet der Chef des Zentrums für Internationale Bildungsvergleichsstudien an der TU München. Damit liege Deutschland erstmals in allen drei Testbereichen deutlich über OECD-Durchschnitt. Reformen wie die Einführung der Bildungsstandards und Schulinspektionen hätten gewirkt.
Im Mathematiktest, dem Schwerpunkt der neuen PISA-Studie, zählt Deutschland Prenzel zufolge zu den besten zehn der insgesamt 34 OECD-Länder. „Zu dieser positiven Entwicklung hat vor allem die verbesserte Qualität von Schulaufgaben und Unterrichtsansätzen beigetragen“, meint der Professor. Der Anteil besonders schwacher Schüler sei gesunken. Auch in den Naturwissenschaften und bei der Lesekompetenz erzielen die deutschen 15-Jährigen „sehr gute Ergebnisse“. Beträchtliche Leistungssteigerungen gebe es bei den Schülern aus sozioökonomisch schlechter gestellten Elternhäusern. Fazit des Forschers: Deutschland sei eines der wenigen Länder, die sich seit der ersten PISA-Runde kontinuierlich verbessert haben.
„Die Leistungssteigerung bei den Schülerinnen und Schülern ist beachtlich“, sagt er. „Unsere 15-Jährigen heute sind mit ihrem Wissen und Können ein Schuljahr weiter als ihre Altersgenossen von damals.“
Mit PISA 2012 wird die fünfte Erhebungsrunde des Programme for International Student Assessment (PISA) bezeichnet, die im Sommer 2012 stattfand. Die Studie wird international von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordiniert und in Deutschland im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) durchgeführt. Prenzel wird auch die PISA-Studie 2015 leiten.
Der Schwerpunkt von PISA 2012 richtete sich auf die Mathematik, wie zuletzt bei PISA 2003. Daneben wurde das Wissen und Können der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Lesen und Naturwissenschaften erfasst. An den Tests nahmen in Deutschland 5001 Schülerinnen und Schüler an 230 Schulen teil. Die Stichprobe ist repräsentativ für Deutschland.
„Die Schülerinnen und Schüler in Deutschland zeigen im Mathematiktest überzeugende Leistungen“, so Prenzel. Sie erreichen 514 Punkte und übertreffen den OECD-Durchschnitt (494 Punkte) signifikant um 20 Punkte. Gegenüber PISA 2003 bedeutet dies eine bedeutsame Verbesserung. Vor allem sei es gelungen, den Anteil besonders schwacher Schüler deutlich zu verringern (17,7 Prozent gegenüber 23 Prozent in den OECD-Staaten). Auch im oberen Leistungsbereich übertreffe Deutschland den OECD-Durchschnitt, könne dort aber im Vergleich zu herausragenden Staaten noch weitere Fortschritte machen. Innerhalb der OECD zähle Deutschland inzwischen zu den „Top Ten“ im Mathematiktest, allerdings erreichen einige Partnerstaaten (Shanghai, Singapur, Hongkong) im asiatischen Raum noch deutlich höhere Werte.
Besonders hervorzuheben sei, dass die Leistungszuwächse in Deutschland nicht mit negativen Nebenwirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung und das Wohlbefinden der Schüler verbunden seien. Im OECD-Vergleich zeichneten sich die Schüler durch großes Selbstvertrauen in ihre mathematische Fähigkeit und Wirksamkeit sowie eine geringe Ängstlichkeit in Bezug auf Mathematik aus. Die Schüler fühlen sich an den Schulen sozial sehr gut eingebunden. Sie wünschen sich allerdings mehr Unterstützung im Unterricht durch ihre Lehrkräfte.
Im Bereich Naturwissenschaften konnten sich den Forschern zufolge über die bisherigen PISA-Runden die größten Fortschritte für Deutschland verzeichnet werden. Dies bestätige sich auch in PISA 2012: Mit 524 Punkten übertreffen die Jugendlichen in Deutschland den OECD-Durchschnitt (501 Punkte) deutlich. Im Vergleich zum OECD-Mittel schneiden in Deutschland wesentlich weniger Jugendliche im unteren Leistungsbereich ab.
Im Vergleich zur Mathematik und zu den Naturwissenschaften hatte sich die Lesekompetenz in Deutschland bisher weniger stark entwickelt. In PISA 2012 zählt Deutschland nun erstmals auch in diesem Bereich zu der Gruppe der Staaten, die den OECD-Durchschnitt signifikant übertrifft. Der Anstieg der Testwerte von PISA 2000 (484 Punkte) bis PISA 2012 (508 Punkte) belegt ebenfalls große Fortschritte in den letzten Jahren. Auch in diesem Bereich konnte in Deutschland der Anteil der besonders leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler deutlich verringert werden; allerdings ist der Anteil mit 14,5 Prozent noch immer hoch.
„Die Ergebnisse aus PISA 2012 belegen, dass die Verbesserung der Kompetenzen keineswegs auf Kosten der Schülerinnen und Schüler aus sozioökonomisch schlechter gestellten Elternhäusern erfolgte. Vielmehr hat diese Gruppe ihre Leistungen beträchtlich gesteigert“, erklärt Prenzel. Auf diese Weise hätten herkunftsbedingte Disparitäten deutlich abgeschwächt werden können. Die Kopplung zwischen Herkunft und Kompetenz liegt nun im Bereich des OECD-Durchschnitts. Es gibt inzwischen eine Reihe von Staaten (z. B. Frankreich oder Neuseeland), in denen der Zusammenhang stärker ausgeprägt ist als in Deutschland. „Allerdings müssen in Deutschland noch weitere Anstrengungen unternommen werden, um die Konstellation zu erreichen, die besonders erfolgreiche Staaten auszeichnet: nämlich ein hohes Kompetenzniveau bei geringer Kopplung an die soziale Herkunft“, sagt der Forscher
Auch in PISA 2012 erzielen 15-Jährige mit Zuwanderungshintergrund in Deutschland durchschnittlich niedrigere Kompetenzwerte im Bereich Mathematik als 15-Jährige ohne Zuwanderungshintergrund. Die Abstände haben sich seit PISA 2003 aber deutlich verringert. Bemerkenswert sei, dass die Schüler mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland im Mittel 485 Punkte erreichen und damit nur mehr 9 Punkte unter dem OECD-Mittelwert aller 15-Jährigen liegen. Die Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund in Deutschland erreichen damit das Leistungsniveau aller Schüler zum Beispiel in den USA (481) oder in Schweden.
Die Wissenschaftler hätten zahlreiche Belege dafür gefunden, „dass die seit PISA 2000 ergriffenen Maßnahmen zur Weiterentwicklung von Unterricht und Schule Wirkung zeigen“. Sie verweisen insbesondere auf die Einführung von Bildungsstandards und Schulevaluationen. Zur positiven Entwicklung in der Mathematik habe zudem die verbesserte Qualität von Aufgaben und Unterrichtsansätzen beigetragen, die auf der neueren empirischen Forschung beruhe. Prenzel: „Die bisher erfreuliche positive Entwicklung an den Schulen in Deutschland wird aber nur durch weitere Anstrengungen in der Qualitätssicherung sowie in der Unterrichts- und Schulentwicklung fortgeführt werden können.“
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