Website-Icon News4teachers

Deutschland diskutiert die Inklusion – “Fall Henri” bei Günther Jauch

BERLIN. Bei Umfragen noch aus jüngster Zeit wusste eine überwältigende Mehrheit der Bürger in Deutschland mit dem Begriff „Inklusion“ nichts anzufangen – dies dürfte sich jetzt ändern: Nachdem bereits „stern tv“ über den „Fall Henri“ berichtet hatte, machte nun auch Günther Jauch den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Schülern zum Thema. Aus der Fachdebatte ist ein bildungspolitisches Großthema geworden. 

Die Grundschule Langbargheide in Hamburg wurde für ihre inklusive Arbeit mit dem Jakob-Muth-Preis 2012 ausgezeichnet. Foto: Bertelsmann Stiftung / Ulfert Engelkes

Es klinge ja zunächst ganz einfach, meinte Jauch zur Einleitung, nämlich behinderte und nicht-behinderte Schüler gemeinsam zu unterrichten. Aber: „Ist dies ein politischer Wunsch, der an der Wirklichkeit grandios scheitern kann?“ Für Kirsten Ehrhard, Mutter des elfjährigen Henri mit Down-Syndrom, dessen Fall bundesweit Schlagzeilen machte, ist das Scheitern gerade Realität geworden: Ihr Wunsch, ihren Sohn nach der Grundschule auf einem Gymnasium beschulen zu lassen, wurde vom baden-württembergischen Kultusminister Andreas Stoch (SPD) gerade abgelehnt – mit der (in der Sendung eingeblendeten Erklärung):  Eine erfolgreiche Inklusion sei darauf angewiesen, dass auch die Lehrer diesen Wunsch tragen – doch in diesem Fall bestehe die Bereitschaft, auch weil Unsicherheit herrsche. Die Lehrer fühlten sich nicht gut vorbereitet.

Henris Mutter, so machte sie in der Sendung deutlich, fühlt sich hingegen vom Kultusminister nicht gut vertreten: Sie habe doch nur erreichen wollen, was ohnehin in Baden-Württemberg bald Gesetz werden soll – nämlich das Recht von behinderten Kindern auf einen Platz in der Regelschule. Heißt das aber auch: aufs Gymnasium? Um es vorwegzunehmen: Diese doch entscheidende Frage klärte auch die Talkrunde nicht. Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, lobte ihr Bundesland für einen hohen Anteil gemeinsamen Unterrichts in sogenannten Schwerpunktschulen, räumte aber ein: Einen Jungen mit Down-Syndrom auf einem Gymnasium unterzubringen, sei auch in Mainz oder Kaiserslautern „schwierig“. Dreyer bekannte sich zum Ziel, allen Kindern gleiche Chancen auf Abschlusse zukommen zu lassen. Sie sagte aber auch: „Inklusion muss man mit Augenmaß gestalten. Die Gesellschaft muss mitgenommen werden.“

Anzeige

Doch: Will die Gesellschaft mitgenommen werden? Mutter  Kirsten Ehrhard zeigte sich skeptisch: Viele Eltern hätten panische Angst, dass die Kinder ihre Erwartungen nicht erfüllten – dafür müsse jetzt Henri herhalten. Behinderte Menschen könne nur jemand akzeptieren, der sie erlebe. Doch das geschehe nicht, wenn sie in einem Sondersystem leben und lernen müssten. Sie warf Josef Kraus, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, eine „defizitäre Sicht“ und eine „Abschiebehaltung“ vor. Der gemeinsame Unterricht sei eine Bereicherung.

Kraus hatte davor gewarnt, Kinder „auf dem Altar der Inklusion zu opfern“. Im Mittelpunkt müsse stets das Kindeswohl stehen. Deutschland verfüge über ein hochdifferenziertes Schulsystem; an Förderschulen gebe es eine Betreuungsrelation von einem Lehrer auf fünf Schüler – von der eine Regelschule nur träumen könne. Zudem:  Rund die Hälfte der Förderschüler sei nicht inkludierbar. Schon deshalb müsse das Förderschulsystem erhalten bleiben. Kraus: „Die Rahmenbedingungen sind nicht da. Ich habe das Gefühlt, die Politik macht zweiten und dritten Schritt vor dem ersten.“

Ministerpräsidentin Dreyer räumte ein: „Der Staat hat nicht das Geld, dass an jeder Schule Inklusion perfekt praktiziert werden kann.“

Wie stark der Erfolg der Inklusion von den Ressourcen abhängt, machte Jan-Martin Klinge deutlich , ein Gesamtschullehrer, der behinderte und nicht-behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet. Er sei „ein völliger Verfechter der Inklusion“, sehe sich aber auch mit seinem Anspruch, allen Kindern immer gerecht werden zu wollen, scheitern. Er könne nun mal nicht auf alle Bedürfnisse eingehen – bei 30 Schülern in der Klasse. Fazit von Günther Jauch, und damit hat er zweifellos recht: „Das Thema wird uns erhalten bleiben.“

Und es wird an Hitzigkeit zunehmen, weil es nun ein mediales Großthema geworden ist – mit offenem Ausgang. Mal zur Erinnerung: Das Thema G8 war ein kaum umstrittenes Thema in Deutschland. Erst  nachdem der Fernsehmoderator Reinhold Beckmann (als Vater) in Talkshows gegen die Schulzeitverkürzung am Gymnasium zu Felde zog, kam die Kontroverse bundesweit auf. News4teachers

Die mobile Version verlassen