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Gendern, umbenennen, verklausulieren: Wie sehr wir unter der „political correctness“ leiden

Ein Kommentar von ANDREJ PRIBOSCHEK.

Auf politische Korrektheit wird nicht nur in Deutschland w
Wert gelegt, wie dieses Fotos aus Denver (USA) belegt. Foto: Jeffrey Beall / flickr (CC BY-SA 2.0)

BERLIN. Wer vom Ausland aus die Berichterstattung der deutschen Medien einige Tage nach dem Gewinn der Fußball-WM verfolgte, war irritiert. Statt sich zu freuen und all die positiven Effekte aufzuzählen, die solch ein sportlicher Erfolg mit sich bringt – eine gute Stimmung im Land etwa, die sich Ökonomen zufolge auch auf die Wirtschaft auswirken kann, oder: steigende Motivation von Kindern, Fußball zu spielen, und: womöglich eine leichtere Integration vieler Jugendlicher durch deren Identifikation mit einer Multikulti-Mannschaft –, wogte eine Welle der Empörung durch die Online-Ausgaben der Zeitungen und Zeitschriften.

Hatten deutsche Nationalspieler die Siegesfeier in Berlin mit einem „Gaucho-Tanz“, mit dem sie den Endspielgegner verulkten, tatsächlich „das Image der weltoffenen, toleranten Nation verspielt“, wie die konservative „FAZ“ in seltener Einmütigkeit mit der linken „taz“ („Respektlos im Siegesrausch“) befand? Oder ist nicht vielmehr die Kritik an dem albernen Auftritt die aktuelle Spitze einer neuen deutschen „political correctness“, die jede Lockerheit mit Verweis auf vermeintliche Diskriminierungen abbürstet? Oder die sich sogar berufen fühlt, die Gesellschaft mittels Kommunikation zu erziehen?

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Welche politische Macht Sprache (besser: die Manipulation von Sprache) haben kann, hat George Orwell in seinem Klassiker 1984 zum Ausdruck gebracht. In dem Roman hat das Regime, eine Diktatur, eine neue Sprache eingeführt: „Neusprech“. Sie soll die Menschen sprachlich auf Linie bringen. „Neusprech“ ist eine literarische Überspitzung dessen, was totalitäre Regime vom Nationalsozialismus bis zum Kommunismus sich tatsächlich haben einfallen lassen, um ihre Unmenschlichkeit zu verschleiern – von der „Reichskristallnacht“, über die „Endlösung“ bis hin zum „antiimperialistischen Schutzwall“. Es erstaunt deshalb, mit welcher Unbedarftheit eine Professorin der Berliner Humboldt-Universität und die von ihr betreute „AG Feministisch Sprachhandeln“ darangingen, ein neues, angeblich geschlechtergerechtes Deutsch zu entwickeln. „Lehrer“ wird dabei zu „Lehra“, der „Doktor“ zu „Doktox“.  Beispielsatz aus der Broschüre: „Unsa Lautsprecha ist permanent auf Demos unterwegs. Ea erfreut sich hoher Beliebtheit.“ „Neusprech“ lässt grüßen.

In einer milderen, sprachlich korrekten Form hat das „gendern“ längst alle Schulen, Universitäten und Verwaltungen erreicht. Kein offizielles Schriftstück, in dem nicht von „Lehrerinnen und Lehrern“, „Schülerinnen und Schülern“, „Professorinnen und Professoren“ die Rede ist. Was ist dagegen einzuwenden? Zunächst einmal ist „gendern“ mitunter so umständlich und sprachlich sperrig, dass immer wieder nach kürzeren Formen gesucht wird. Von „LuL“ und „SuS“ oder „LehrerInnen“ und „SchülerInnen“ ist dann die Rede. Für Außenstehende ist das oft unverständlich. Darüber hinaus fehlt es an Konsequenz: Auch dort, wo zwanghaft „gegendert“ wird, gibt es lediglich „den Hausmeister“, und die Brötchen holt man weiterhin „beim Bäcker“. Nach unten auf der sozialen Leiter darf also, folgt man der Logik des „Genderns“, fröhlich weiter diskriminiert werden.

Doch vor allem stellt sich die Frage nach dem Sinn: Was bringt es, mit Druck die deutsche Sprache und das tatsächlich ja gebräuchliche und praktische generische Maskulinum umzubiegen? Augenscheinlich wenig: Noch immer sind Frauen in beruflichen Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Noch immer hinken Frauen beim Gehalt hinterher. Es wirkt vielmehr wie Alibi-Handeln, wenn Gleichstellungsbeauftragte auf korrektes „Gendern“ pochen, konkrete Missstände in ihrem Umfeld aber offenbar allzu häufig nicht anzusprechen wagen. Wenn Hochschulen dann gar in ihrem offiziellen Schriftverkehr aus dem „Herrn Professor“ den „Herrn Professorin“ machen, wird das – eigentlich ernste – Thema zur Lachnummer. An dem Umstand, dass immer noch viel weniger Frauen als Männer habilitieren, ändert es nichts.

Wohlgemerkt: Es geht hier nicht darum, sprachliche Sensibilität zu kritisieren. Die ist angebracht – insbesondere dann, wenn es um die Herabwürdigung von Menschen geht. So spricht heute zu Recht niemand mehr von „Negern“, weil der Begriff mittlerweile rassistisch belegt ist. Aber muss deshalb Pippi Langstrumpf umgeschrieben werden, damit darin nicht mehr vom „Negerkönig“ die Rede ist? Wäre es nicht besser, Kindern den Begriff zu erklären – und so wahrscheinlich eine nachhaltigere Wirkung zu erzielen als durch eine literarische Säuberung? Das gleiche gilt für den Begriff „Zigeuner“, der jahrhundertelang auch als Schimpfwort benutzt wurde. Aber muss deshalb das „Zigeuner-Schnitzel“ umbenannt werden, bei dessen Verzehr ohnehin niemand an Sinti und Roma denkt? Ein bisschen weniger Verbissenheit, so würde man sich wünschen. Sprache sollte in erster Linie der Verständigung dienen und nicht dem unterschwelligen Transport von politischen Botschaften, die die meisten Leute ohnehin nicht verstehen.

So bringt die „political correctness“ immer wieder rätselhafte Normen hervor: Warum beispielsweise darf man Menschen aus Ghana nicht mehr wie früher „Ghanesen“ nennen, sondern muss sie heute als „Ghanaer“ bezeichnen? Menschen aus China hingegen gehen weiterhin ungerügt als „Chinesen“ durch; von „Chinaern“ war – noch? – nicht die Rede. Und was, bitteschön, ist der Unterschied zwischen „Behinderten“ und „Menschen mit Behinderungen“? „Behinderte“ seien behindert, „Menschen mit Behinderungen“ würden behindert, so hört man zur Begründung. Als ob Behinderungen lediglich durch die Umstände entstehen würden (Subtext: die sich natürlich gesellschaftlich ändern lassen). Kaum zu glauben, dass eine solche Weltsicht und ihr sprachlicher Ausdruck im Sinn der Betroffenen ist. Vergleichbares gilt für Einwanderer. Sie sollen nur noch „Menschen mit Migrationshintergrund“ genannt werden. Für den Nicht-Fachmann, pardon: natürlich auch die Nicht-Fachfrau, ist ein solcher Ausdruck unverständlich. Benötigen wir bald ein Wörterbuch, das politisch korrekte Sprache ins Deutsche übersetzt?

Am Ende gilt: Sprache entwickelt sich; und natürlich sollten insbesondere Lehrerinnen und Lehrer auf einen sensiblen Gebrauch hinwirken. Neue Formen haben aber nur dann eine Chance, von den Menschen angenommen zu werden, wenn sie leicht fassbar sind, ein realistisches Bild vermitteln und nicht überziehen. Sonst werden sie als unfreiwillig komisch wahrgenommen – und veralbert. Selbst im brutal repressiven „Dritten Reich“ (übrigens auch ein seinerzeit als Verherrlichung eingeführter Begriff, der heute noch gebräuchlich ist) klappte der „Neusprech“ der Nationalsozialisten nur bedingt: Aus dem „Führer“ wurde im Volksmund der „Gröfaz“, der „größte Feldherr aller Zeiten“.

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