Die rot-grüne Landesregierung will die Sprachförderschulen in Niedersachsen doch nicht abschaffen. Hintergrund sind vehemente Proteste gegen die ursprünglich vorgesehene schrittweise Auflösung dieser Schulen. Es nütze nichts, etwas durchdrücken zu wollen, wenn Eltern und Lehrer nicht überzeugt seien, begründete Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) am Donnerstag in Hannover die Änderung im Entwurf für das neue Schulgesetz.
Sie sprach von einem «Bildungschancengesetz», das von breiter Zustimmung getragen sei. Die CDU– und FDP-Landtagsfraktionen bezeichneten den Entwurf als ein «Chancenvernichtungsgesetz». Rot-Grün halte nichts vom Leistungsgedanken an den Schulen, kritisierte der CDU-Schulexperte Kai Seefried. Der schulpolitische Sprecher der FDP, Björn Försterling, forderte die Ministerin auf, das Gesetz komplett zurückzunehmen.

INKLUSION: Landesweit gibt es neun Förderschulen mit dem Schwerpunkt Sprache sowie Sprachförderklassen an 53 Standorten. Sie erhalten nach Angaben der Ministerin einen unbefristeten Bestandsschutz. Neue Sprachförderschulen sollen aber nicht genehmigt werden. Im Anhörungsverfahren sei der Wunsch nach mehr Zeit bei der Umsetzung der Inklusion deutlich geworden, sagte Heiligenstadt.
ABITUR: Der zentrale Punkt der Reform ist die generelle Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren. Die Abschaffung des Turbo-Abiturs wird über Partei- und Verbandsgrenzen hinweg begrüßt.
GESAMTSCHULEN: Umstritten ist dagegen die Stärkung der Gesamtschulen, die künftig ersetzende Schulform sein können. Die Kommunen entscheiden selbst, ob sie Integrierte Gesamtschulen als ersetzende Alternative zu Haupt- und Real- beziehungsweise Oberschulen und Gymnasien anbieten wollen. Erklärt eine Kommunen die Gesamtschule zu einer ersetzenden Alternative, haben die Eltern dort ein Anrecht darauf, dass ihr Kind einen Platz an einer Gesamtschule bekommt. Eine Gesamtschule kann nur ersetzend werden, wenn ein Gymnasium unter zumutbaren Bedingungen erreichbar ist. Als zumutbar gilt ein Schulweg von etwa einer Stunde.
Ersetzende Gesamtschulen gibt es aber grundsätzlich schon seit 40 Jahren in Niedersachsen, bisher aber nur auf ausdrücklichen Antrag der Kommunen, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Eberhard Brandt. Etwa 45 der landesweit 128 Gesamtschulen sind nach Ministeriumsangaben bereits ersetzend.
GYMNASIEN: Ministerin Heiligenstadt betonte erneut: «Die Gymnasien bleiben erhalten.»
GRUNDSCHULE: Noten in der Grundschule schafft Rot-Grün nicht ab, allerdings sollen Viertklässler vom kommenden Schuljahr an keine Laufbahnempfehlung mehr erhalten. Damit können Gymnasien nicht mehr so leicht einen leistungsschwachen Schüler nach der sechsten Klasse zu einer anderen Schulform überweisen. Bisher ist dies möglich, wenn ein Schüler nur eine Haupt- oder Realschulempfehlung hatte und auf dem Gymnasium das Klassenziel nicht erreicht. «Wir haben das Ziel, dass Sitzenbleiben überflüssig wird», sagte Heiligenstadt.
Wenn Heiligenstadt erkläre, der Gesetzentwurf finde eine „breite Zustimmung“, müsse sie sich vorwerfen lassen, die tatsächliche Stimmung im Lande nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, meinte der Vorsitzende der niedersächsischen Philologenverbands, Horst Audritz. Darüber könnten auch die wenigen Änderungen nicht hinwegtäuschen, die Heiligenstadt am Gesetzentwurf angesichts massiver Kritik jetzt vorzunehmen gedächte: Der Kern bleibe unverändert. Das gelte auch in Sachen Inklusion. Die Rücknahme der geplanten Abschaffung der Förderschule Sprache sei angesichts der massiven Proteste unausweichlich gewesen. „Weiterhin aber bleibt die Abschaffung der Förderschule Lernen und die Ankündigung der Abschaffung aller anderen Förderschulen bestehen.“
Die Absicht, die Gesamtschule zur ersetzenden Schulform zu machen, zeige die wirklichen Zielsetzungen. Denn damit solle ein vielfältiges und leistungsfähiges Schulwesen abgeschafft werden, das sich großer Zustimmung in der Bevölkerung erfreue. Zudem übersehe die Ministerin, dass viele Bürger noch gar nicht realisiert hätten, dass mit diesem Schulgesetz die Schließung der Haupt-/Realschulen, Oberschulen und Kooperativen Gesamtschulen vor Ort in die Wege geleitet werde. Damit werde auch das verbriefte Recht der Eltern auf freie Schulwahl für ihre Kinder de facto abgeschafft.
Ebenso versuche die Ministerin erneut, die Gefährdung des Gymnasiums herunterzuspielen. Die angebliche „Bestandsgarantie“ für Gymnasien, die eine Erreichbarkeit dieser Schulform „in zumutbarer Entfernung“ ermöglichen solle, erweise sich bei Lichte besehen als „übles Täuschungsmanöver“, betonte Audritz. „Zumutbar“ bedeute hier einschließlich Wartezeiten auf Verkehrsmittel eine tägliche Fahrzeitbelastung von etwa drei Stunden – und das für Schüler ab zehn Jahren. News4teachers / mit Material der dpa
Zum Bericht: Umfrage – Nur wenig Zustimmung für Niedersachsens Bildungspolitik
