BERLIN. Sie fliehen vor Armut und Gewalt, haben lange Wege und Strapazen auf sich genommen, um nach Deutschland zu kommen. Allein zwischen Januar und Juni 2015 sind laut Spiegel-Informationen 55.000 minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Durch verpflichtenden Schulunterricht soll ihnen die Integration in ihrer neuen Heimat besser gelingen. Solange, bis plötzlich die Polizei in der Klasse steht…
So geschehen vergangene Woche in Berlin, als ein Kind direkt aus einer Förderklasse für Flüchtlinge geholt wurde, weil seine Familie abgeschoben werden sollte. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kritisierte das Vorgehen als „pädagogische Katastrophe“. Die Kritik richtet sich dabei vor allem gegen Innensenator Henkel (CDU), der als oberster Dienstherr der Berliner Polizei solche unsensiblen Zugriffe verhindern könnte. „Es ist richtig, dass Menschen, die hier keine Perspektive haben, abgeschoben werden“, sagte Müller, „aber es ist inakzeptabel, dass Kinder aus Willkommensklassen geholt werden.“ Nach Informationen des Tagesspiegels waren bereits Anfang September in Berlin drei serbische Kinder unangekündigt aus dem Unterricht geholt worden; Mitte Juni musste ein siebenjähriges Mädchen aus Serbien die Schule abrupt verlassen.
Der Anspruch auf Schulbesuch gilt deutschlandweit – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Zudem haben inzwischen fast alle Bundesländer eine Schulpflicht für Flüchtlinge und Asylbewerber eingeführt, meist nach drei oder sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland (Berlin bildet hier noch eine Ausnahme). Sie werden zunächst vor allem in speziellen Förderklassen untergebracht, wie sie zum neuen Schuljahr tausendfach ins Leben gerufen wurden – auch Vorbereitungsklassen (Baden-Württemberg), Übergangsklassen (Bayern) oder Willkommensklassen (Berlin) genannt. 3.000 zusätzliche Pädagogen stellen die Länder dafür zusätzlich ein.
Die Angst vor einer – auch angekündigten – Abschiebung betrifft die Lehrer dabei ebenso wie die Schüler. „Wir bauen die sozialen Gruppen in der Schule mühsam auf – dann zerreißt die Abschiebung den Zusammenhang wieder“, sagte die Leiterin einer Willkommensklasse gegenüber der Zeitschrift „der Freitag“. Diese andauernde Drohung auf Abschiebung gehöre laut „der Freitag“ damit zu den drei wichtigsten Problemen, denen sich Schulen in Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage stellen müssten. Die anderen drängenden Probleme seien zu wenige Deutschlehrer, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten könnten, sowie zu wenige Schulpsychologen.
Vor allem für den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern kommt den Schulen nach Ansicht des Traumaexperten Georg Piper jedoch eine Schlüsselrolle zu. Der Psychologe fordert daher mehr Unterstützung für die Lehrer. Lehrer könnten in den Vorbereitungsklassen recht einfache therapeutische Mittel einsetzen, um den Kindern bei der Bewältigung ihres Traumas zu helfen, sagte er der dpa. Dafür müssten sie allerdings geschult werden.
Wie sich Lehrer im Fall einer plötzlichen Abschiebung am besten verhalten, könnte in diesem Zusammenhang ebenfalls vermittelt werden. Denn auch dieses Erlebnis kann für Kinder zu einem traumatischen Erlebnis werden.
Mehr zum Thema auf News4teachers:
– Was in Sachen Schulpflicht für Flüchtlinge gilt
– Schulpsycholgen raten: Flüchtlingen in der Klasse offen und interessiert begegnen
– GEW: 2000 zusätzliche Lehrerstellen wegen Flüchtlingen nötig – allein in Niedersachsen