BERLIN. Die demografische Entwicklung beeinflusst die individuellen Bildungswege von Kinder und Jugendlichen und verbessert ihre Chance auf den Gymnasialbesuch. Das haben Marcel Helbig und Nico Schmolke vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in einer Studie herausgefunden. Die Auswahl nach dem Leistungsprinzip ist daher nicht der einzige Faktor, nach dem Gymnasien ihre Schüler auswählen.
Mit Hilfe empirischer Daten belegen die Sozialwissenschaftler des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, dass bei rückläufigen Schülerzahlen die Chancen auf einen Übergang zum Gymnasium und auf den Verbleib dort steigen. Grundlage sind Daten des statistischen Bundesamts, Analyseeinheiten sind die deutschen Bundesländer von 1949 bis 2012 und die Kreise Deutschlands von 1995 bis 2012. Um das deutsche Schulsystem erfolgreich zu durchlaufen, sei es daher nicht nur von Bedeutung, in welche Familie man hereingeboren wurde, welche Schulklasse man besuche, in welchem Bundesland man zur Schule geht und ob man weiblichen oder männlichen Geschlechts ist. Es sei auch wichtig, wann man geboren wurde, schreiben die Autoren als Fazit.

Die gefundenen Ergebnisse lassen sich über zwei Mechanismen erklären, führen die Autoren aus. Erstens könnte es durch den Einbruch der Schülerzahlen zu einer besseren Schüler-Lehrer-Relation in der Grundschule kommen. „Auch wenn die deutsche Bildungsforschung einen Einfluss dieser auf die Entwicklung kognitiver Kompetenzen verneint, so ist nicht auszuschließen, dass sich eine bessere Schüler-Lehrer-Relation dennoch positiv auf die Gymnasialempfehlung auswirkt“, schreiben die Forscher im Studientext. Sie vermuten, dass Lehrer in kleineren Klassen Talente besser erkennen sowie die psychosoziale Entwicklung und nicht-kognitive Kompetenzen von Kindern besser fördern.
Dieser Zusammenhang liege auch für die Schullaufbahn auf dem Gymnasium nahe. Gerade in kleinen Klassen greife man seltener auf die Instrumente der Klassenwiederholung und der Abschulung zurück als in großen Klassen. Wahrscheinlich sei das nicht einmal auf die Leistung und Leistungsbereitschaft der Schüler zurückzuführen, sondern bedeute lediglich eine Arbeitserleichterung für die Lehrkraft in großen Klassen. „Wir halten es für eine wichtige Forschungsfrage, ob sich die Klassengröße sowohl in der Primarstufe, als auch in der Sekundarstufe des Gymnasiums positiv auf den Bildungsverlauf von Schülern auswirkt“, notieren die Wissenschaftler.
Für die beschriebene Entwicklung zieht die Studie noch eine zweite Erklärung heran. Schulen handeln immer auch, um sich selbst zu erhalten. Schulstandort sind gefährdet, wenn ihre Schülerzahlen unter ein gesetzlich verankertes Mindestmaß sinken. Vor diesem Hintergrund sei es für Gymnasien nicht rational, über zu viele Abschulungen den eigenen Bestand zu gefährden. Hinzu komme das Interesse der lokalen Schulverwaltungen und Kommunen am Erhalt der Gymnasialstandorte. „Wenn man annimmt, dass sich auch in Zeiten demografischer Schrumpfung das (knappe) Angebot der Gymnasialplätze nicht verändert und die Nachfrage schülerzahlbedingt sinkt, dann können prozentual mehr Schüler das Gymnasium besuchen – auch wenn dieser Mechanismus dem Leistungsprinzip zuwiderläuft“, heißt es in der Studie. nin
