NÜRNBERG. Flüchtlingskinder haben in ihrer alten Heimat und auf dem Weg nach Deutschland oft schlimme Erlebnisse machen müssen. Experten wie der renommierte Nürnberger Schulpsychologe Bernhard Jehle fordert deshalb psychologische Betreuungsangebote für Flüchtlinge an allen Schulen – und für deren Lehrer. Denn die sind häufig mit der Situation überfordert.
Angesichts vieler Flüchtlingskinder fordert Jehle, Leiter des Instituts für Pädagogik und Schulpsychologie Nürnberg (IPSN), den verstärken Einsatz von Psychologen an Schulen. «Man bräuchte im Grunde an jeder Schule eine schulpsychologische Beratung. Einerseits für die Flüchtlinge, die fast alle in irgendeiner Weise traumatisiert sind. Andererseits aber auch für die Lehrer, die oft mit dieser Situation überfordert sind», sagte er auf Anfrage.
Das Kind oder der Jugendliche habe vielleicht auf der Flucht jemanden neben sich tot niedersinken oder ertrinken sehen. «Für ein Kind kann es auch traumatisierend sein, wenn ein Elternteil in der Heimat zurückgelassen werden musste.» Solche Probleme brächten die Flüchtlinge mit in die Schulen. «Und da braucht es Psychologen.»
Rund zwei Drittel der Kinder, die aus Kriegsgebieten nach Deutschland kommen, sind nach einer Schätzung des Marburger Traumaexperten und Psychotherapeuten Georg Pieper im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung traumatisiert. Wie sich das bemerkbar macht? „Traumatisierte Menschen stecken gedanklich und mit ihren Gefühlen in einem Erinnerungsgefängnis. Ohne es steuern zu können, werden sie immer wieder von ihren schrecklichen Erinnerungen überfallen und empfinden Panik und Todesängste. Traumatisierte Kinder sind dünnhäutiger, schneller krank und nicht so stressbelastbar. Sie haben im Leben eine schlechte Ausgangsposition. Besonders schlimm ist es, wenn Kinder allein nach Deutschland kommen oder auf der Flucht ihre Eltern verloren haben. Traumatische Erlebnisse wirken dann besonders stark, wenn die schützende Familie fehlt oder gar umgekommen ist“, erklärte er in einem Interview mit heute.de.
Auf die Frage, was mit diesen Kindern auf Lehrer und Erzieher zukomme, antwortete er: „Für sie ist es zunächst schwierig, die Situation richtig einzuschätzen und damit umzugehen. Wenn Kinder Krieg oder Erschießen spielen, sind die Betreuer oft vollkommen überfordert. Dabei spielen traumatisierte Kinder häufig das, was sie erlebt haben, immer wieder durch. Lehrer sollten sich davon nicht erschüttern lassen, es ist ein Ausdruck der Nöte und Qualen der kindlichen Seele. Diese Art der Beschäftigung mit schlimmen Erlebnissen kann sogar hilfreich sein. Das gilt aber nur dann, wenn die Kinder darin unterstützt werden, einen positiven Ausgang für die gespielten Szenen zu finden.“
Auch bei aggressivem Verhalten, das ein Zeichen für sehr schlimme Erfahrungen über einen langen Zeitraum sein könne, sollten Lehrer immer bedenken, „ dass das Kind nicht böse ist, sondern eine verletzte Seele hat“, appellierte der Fachmann. Auch er konstatierte allerdings: Lehrer seien mit der Situation “oft vollkommen überfordert”. News4teachers / mit Material der dpa