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Wissenschaftler fordern: Evolution schon in der Grundschule lehren – und nicht nur religiöse Mythen

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GIESSEN. In der Grundschule wird – im Religionsunterricht – die Schöpfungsgeschichte behandelt. Über den Urknall und die Evolution hingegen erfahren Schüler in der Primarstufe zumeist nichts. Dabei ist das Interesse der Kinder an Dinosauriern oder der Verwandtschaft von Affen und Menschen augenfällig. An thematischen Anknüpfungspunkten mangelt es also nicht. Mehr als 80 Wissenschaftler, Pädagogen und Philosophen meinen, hier werden Bildungschancen vertan. Sie haben deshalb jetzt eine Resolution verabschiedet, die die Aufnahme des Themas Evolution in die Lehrpläne der Grundschulen fordert. Die Expertengruppe stellt auch gleich schon Unterrichtsmaterial zum Thema vor.

Anhand von Dinosaurier – hier ein Modell im Oxford University Museum of Natural History – lässt sich die Geschichte von der Entwicklung der Arten kindgerecht zeigen. Foto: allispossible.org.uk
/ flickr (CC BY 2.0)

Eine Studie kam 2011 laut „Süddeutscher Zeitung“ zu dem Ergebnis, dass 81 Prozent der Grundschüler die Entstehung des Lebens auf einen Schöpfungsprozess zurückführen – obwohl viele durchaus von der Evolution des Menschen gehört haben. Im Unterricht kommt das Thema kaum vor. „Nur wenn Kinder danach fragen – weil sie vielleicht zu Hause davon gehört haben – kann es sein, dass Lehrer ihnen bestätigen, dass es alternative naturwissenschaftliche Erklärungen gibt”, sagt Klaus Wenzel, ehemaliger Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, gegenüber der Zeitung. Dabei biete sich der Sachunterricht an, den Nachwuchs kindgerecht einzuführen. Doch weil die Grundschüler mit dem Thema Evolution überfordert sein könnten, werde darauf verzichtet, so heißt es in dem Bericht. „Es gibt Lerninhalte, für die bei den Kindern erst bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen”, sagt auch Klaus Wenzel dem Blatt zufolge. „Aber ich begrüße es, wenn Lehrer die Kinder auf Nachfrage über die alternativen Erklärungsmöglichkeiten informieren.”

Die 80 Experten, die sich nun zu einem Kongress in der Hermann-Hoffmann-Akademie der Universität Gießen getroffen haben, wollen allerdings mehr. „Angesichts der fundamentalen Bedeutung des Evolutionsverständnisses für die Entwicklung eines zeitgemäßen Weltbildes ist es befremdlich, dass Kinder in der Grundschule so wenig über dieses Thema erfahren – zumal im Unterricht oftmals Schöpfungsmythen behandelt werden, die ohne Vorwissen zur Evolution leicht fehlgedeutet werden können. Pädagogisch ist dies nicht zu rechtfertigen“, so heißt es in der Erklärung. Schließlich sollten öffentliche Schulen ihre Schüler „nicht im Sinne einer bestimmten Religion oder Weltanschauung beeinflussen, sondern ihnen Zugang zu den zentralen Erkenntnissen der Wissenschaft ermöglichen“.

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Weiter heißt es: „Wir appellieren daher nachdrücklich an die deutschen Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker sowie an die Lehrerinnen und Lehrer des Landes, der Evolution im Unterricht endlich die Bedeutung zuzuweisen, die ihr als dem wohl wichtigsten Bestandteil des modernen Welt- und Menschenbildes gebührt.“ Zu den Unterzeichnern der Petition gehören Prof. Dittmar Graf, Direktor des Instituts für Biologiedidaktik der Universität Gießen, der Philosoph und Schriftsteller Michael Schmidt-Salomon und der Evolutionsbiologe Prof. Volker Storch vom Institut für Zoologie der Universität Heidelberg.

Referenten wie der Biologiedidaktiker Graf oder die Museumspädagogin Lena Sistig stellten sich in ihren Vorträgen auf dem Kongress gegen die Behauptung, evolutionstheoretische Erkenntnisse könnten im Grundschulalter noch nicht vermittelt werden. Tatsächlich – so hieß es – zeigten empirische Studien, dass Grundschulkinder nicht nur ein starkes Interesse am Thema „Evolution” haben, sondern auch kognitiv in der Lage sind, die allmähliche Entwicklung der Arten zu begreifen. „Ein elementares Verständnis der Evolutionstheorie kann somit bereits in den ersten Klassen angebahnt werden und als Basis für spätere Erkenntnisgewinne dienen“, meinen die Experten.

Dass die Evolution bislang keine Rolle in der Grundschule spielte, ist nach Auffassung von Graf auch darauf zurückzuführen, „dass es lange Zeit keine ansprechenden Materialien für den Unterricht gegeben hat”. Die gibt es jetzt: Auf der Tagung stellte die von Graf mitinitiierte „Evokids”-Arbeitsgruppe erstmals ihre 100-seitige Lehrmaterial-Sammlung für den Evolutionsunterricht in der 3. bis 6. Klasse vor, die fachliche und didaktische Informationen für die Lehrkräfte enthält sowie Arbeitsblätter für Schüler.

Zu der Lehrstoffsammlung gehört der 18-minütige Film „Big Family – Die phantastische Reise in die Vergangenheit” der Filmemacherin Ricarda Hinz, der auf dem gleichnamigen, soeben erschienenen Buch des Philosophen Michael Schmidt-Salomon und der Illustratorin Anne-Barbara Kindler beruht. Film und Buch vermitteln das Thema Evolution auf kindgerechte Weise, nämlich als Familiengeschichte, die über die Mutter, Oma und Uroma zur „Steinzeit-Oma” und von dort über „Oma Spitzmaus”, „Oma Echse” über „Oma Fischmaul” bis hin zu „Omapa Bakteria”, dem Ursprung allen Lebens auf der Erde.
Eine vollständige und korrigierte Fassung der Unterrichtsmodule soll bis Ende 2015 zur Verfügung stehen. Ab Februar 2016 sollen dann die sogenannten „Evokids-Boxen” ausgeliefert werden, die neben den gedruckten Unterrichtskonzepten zahlreiche weitere Materialien für den Unterricht enthalten.

Grundschulen, die mit den Evokids-Boxen arbeiten möchten, können sich schon jetzt bei der Projektgruppe bewerben – und zwar hier.

Träger des Evokids-Projekts sind das Institut für Biologiedidaktik der Universität Gießen und die Giordano-Bruno-Stiftung, unterstützt vom AK Evolutionsbiologie (Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin). Die Projektleitung liegt bei Prof. Dr. Dittmar Graf, Dr. Michael Schmidt-Salomon und Prof. Dr. Eckart Voland. Leitfigur der Evokids-Unterrichtsmaterialien ist das durch Bücher, die „Augsburger Puppenkiste” und Kinofilme bekannte „Urmel aus dem Eis” von Max Kruse (1921-2015), der das Projekt von Anfang an unterstützte. News4teachers

Hier gibt es weitere Informationen zu dem Projekt.

 

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