DARMSTADT. Streng religiöse muslimische Eltern haben ihre Tochter getötet, weil sie Sex mit ihrem Freund gehabt haben soll. Bei dem Prozess in Darmstadt, der heute mit einem Schuldspruch zu Ende ging, geht es um archaische Ehrvorstellungen – und einen missverstandenen Islam. Erklärungsversuch einer Wissenschaftlerin.
Sogenannte «Ehrenmorde» haben ihre Wurzeln nicht in der Religion, sondern in der Tradition, sagt die Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI), Prof. Susanne Schröter. «Die Eltern, die in Darmstadt vor Gericht stehen, haben sich nicht in einem islamischen Denkrahmen bewegt, sondern in dem Rahmen ihrer Lokalkultur.»
Wenn Verwandte zu Mördern würden, sei das Argument der verletzten Ehre nur die «nachgeordnete Legitimation eines Tötungsdelikts», sagte Schröter am Dienstag auf Anfrage. «Das ist aber beileibe kein islamisches Konzept – das muss man ganz deutlich trennen.» Muslime distanzierten sich zu Recht davon, wenn solche Taten mit ihrer Religion in Verbindung gebracht würden. Im Islam sei zwar außerehelicher Sex verboten, das habe aber nichts mit Ehre zu tun und legitimiere auch keine Tötung. «Es gibt weder im Koran noch in den islamischen Überlieferungen irgendetwas, was einen “Ehrenmord” rechtfertigt.»
«Das ist eher eine kulturelle Geschichte», sagte Schröter, die auch Direktorin des Instituts für Ethnologie der Frankfurter Goethe-Universität ist, «das kommt allein aus der Tradition.» In einigen Gesellschaften gebe es die Vorstellung, dass das Ansehen einer Familie abhängig ist von der Kontrolle der Sexualität ihrer weiblichen Mitglieder. «Die Ehre einer ganzen Familie liegt zwischen den Beinen der Frauen.» Ein «Verbindungsglied» zwischen einem solchen Ehrbegriff und dem Islam gebe es aber doch, sagte Schröter: «Man muss sich fragen, ob nicht die strikte Befolgung islamischer Sexualvorstellungen und die starke Geschlechtertrennung nicht den Boden bereiten für solche Handlungen, dass sich islamische Vorstellungen mit traditionellen Vorstellungen vor solchen Taten vermischen.»
Im Prozess gegen das aus Pakistan stammendes Paar hat das Landgericht Darmstadt heute das Urteil gesprochen: Die streng religiösen muslimischen Eheleute müssen für den Mord an ihrer Tochter lebenslang ins Gefängnis. Der 52 Jahre alte Vater und die 41 Jahre alte Mutter waren angeklagt, die 19-Jährige im Januar in Darmstadt gemeinschaftlich getötet zu haben. Die junge Frau soll sexuelle Kontakte zu ihrem Freund gehabt haben, ohne mit ihm verlobt gewesen zu sein. Das Verhalten der Tochter soll dem Weltbild der Eltern widersprochen haben. dpa