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Frankreich für OECD-Direktor schlechtes Beispiel schulischer Integrationsarbeit – “Deutsche Bildungspolitik hat etwas bewegt”

BERLIN. Schulsysteme können Erhebliches leisten, was die Integration von Flüchtlingen angeht, allerdings müssten dazu auf politischer Ebene die Weichen gestellt werden, wie etwa in Deutschland nach PISA geschehen, meint OECD-PISA-Direktor Andreas Schleicher. Vorbereitungs- und Willkommensklassen könnten nur ein Notbehelf sein. Allerdings stößt er mit dieser Ansicht auch auf Widerspruch.

Der Chefkoordinator der PISA-Studien, Andreas Schleicher, sieht das deutsche Bildungssystem vor einer großen, aber machbaren Bewährungsprobe durch die Integration Hunderttausender Flüchtlingskinder. Dafür müsse das Land politisch allerdings rasch die Weichen stellen, so wie es nach dem «PISA-Schock» von 2000 angesichts miserabler Noten für deutsche Schüler geschehen sei, sagte Schleicher. «Die Sprache des Ziellandes zu vermitteln – vor allem das muss geleistet werden, und zwar in relativ kurzer Zeit.»

Deutschland könne bei der schulischen Integration viel von tradtionellen Immigrationsländern wie Kanada oder Schweden lernen, von Frankreich eher nicht, meint PISA-Koordinator Andreas Schleicher. Foto: Hans Peter Schaefer / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Der PISA-Direktor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sagte, das Land, in dem ein Migrantenkind zur Schule geht, habe den allergrößten Einfluss auf den Bildungserfolg. «Schulsysteme können Erhebliches leisten.» Die derzeit von den Bundesländern angebotenen Vorbereitungs- oder Willkommensklassen, in denen Flüchtlingskinder quasi unter sich sind, seien ein Notbehelf, für schnellen Spracherwerb aber auf Dauer «keine gute Lösung». Wer etwa aus seiner Heimat gute Mathematikkenntnisse mitbringe, könnte diese in einer Regelklasse ebenfalls schnell anwenden und lerne dann dort zusätzlich im Kontakt mit deutschen Schülern die neue Sprache.

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Ein jetzt vorgestellter OECD-Bericht zur Bildungsintegration, der im wesentlichen auf PISA-Daten bis 2012 basiert, empfiehlt kurz- und mittelfristige Maßnahmen neben der gezielten Sprachförderung in Regelklassen. So sollten Migranten ermuntert werden, ihre Kinder möglichst rasch in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung anzumelden. Schüler sollten gemischt und nicht nach Leistungsniveau getrennt unterrichtet werden. Eine frühe Aufteilung auf verschiedene Schulzweige und Klassenwiederholungen sollten vermieden werden.

«Der Bericht zeigt, dass auch eine massive Integration von Schülern mit Migrationshintergrund möglich ist», sagte der OECD-Direktor. «Deutschland ist hier ein recht gutes Beispiel. In Deutschland ist es gelungen, den Leistungsunterschied zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund deutlich zu minimieren. Der bleibt zwar noch groß – aber der Bericht zeigt, dass die Politik etwas machen kann.»

Gerade Migrantenkinder der ersten Generation – also die nicht hier geboren wurden – zeigten oft Spitzenleistungen, sagte Schleicher. «Die Ambitionen sind höher, der Ehrgeiz ist größer» – oft auch im Vergleich zu Einheimischen. Was man falsch machen könne, lasse sich auch in Frankreich besichtigen. «Dort heißt es: Jeder ist Franzose, im Unterricht kommt nur französische Kultur und französische Geschichte vor. Im Ergebnis ist Frankreich am allerletzten Ende bei der sozialen Integration.» Viel lernen könne Deutschland von traditionellen Immigrationsländern, sagte Schleicher – etwa Kanada oder Schweden.

Nach Einschätzung einer Expertenkommission kann eine bundesweite Schulpflicht für Flüchtlingskinder eine raschere Bildungsintegration bewirken. Wie das Gremium der Robert-Bosch-Stiftung mitteilte, sollte der Schulbesuch «spätestens drei Monate nach Antragstellung» starten. Bisher ist das in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Zudem sollten Vorbereitungsklassen flächendeckend eingerichtet werden – mit einer «Brückenfunktion zum Übergang in die Regelklasse». Die Kommission geht davon aus, dass unter den Flüchtlingen dieses Jahr 155 000 Kinder im schulpflichtigen Alter und 94 000 im Krippen- und Kindergartenalter sind.

Der für Bildung zuständige Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer (CDU) plädierte im Gegensatz zur OECD für Vorbereitungsklassen: «Wenn die Flüchtlingskinder zu früh in die Regelklassen kommen, ohne dass sie die Sprache ausreichend beherrschen, geht das schief. Mit solchen Vorbereitungsklassen würden wir auch Sorgen in unserer Bevölkerung vor einem Niveauverlust des Unterrichts Rechnung tragen.» (Werner Herpell, dpa)

• OECD-Report “Helping immigrant students to succeed at school” (pdf)”
• zum Bericht: OECD-Bericht: Mädchen mögen kein Mathe – das gilt besonders in Deutschland

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