BERLIN. Frontalunterricht – so lautet die schlichte Antwort in großen Beiträgen von FAZ und „Welt“ zur Frage, welche Lehrmethode die beste sei. Dies belegten aktuelle Untersuchungen. Tatsächlich sind die Antworten, die die Bildungsforschung gibt, komplexer, als sie von den Journalisten wahrgenommen werden.
„Die Zeit des traditionellen Frontalunterrichts, in dem alle Schüler mit gleicher Methode und gleichem Material im gleichen Tempo das Gleiche lernen, ist vorbei”, sagte Kurt Reusser, Professor am Institut für Erziehungswissenschaft der Uni Zürich, unlängst gegenüber „Spiegel online“. Anlass war die Nachricht, dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg 99 Prozent seiner Aktien an seinem Online-Unternehmen – im Wert von rund 45 Milliarden Dollar – an eine Stiftung geben will, die mit dem Geld „personalized learning“ fördern soll. Personalized learning? Heißt auf Deutsch: Individualisiertes Lernen – jeder soll nach seinen Stärken und Schwächen in eigenem Tempo vorangehen. Für Zuckerberg ist das dem Bericht zufolge vor allem eine Frage der Technik: Eine Lernsoftware, die im Unterricht genutzt wird, soll künftig, so die Idee des Facebook-Gründers, die Lernschritte der Schüler analysieren und differenzierte Aufgaben vorlegen.
Der Grundgedanke ist nicht neu. Seit dem PISA-Schock 2002 gilt in Deutschlands Schulpolitik das Mantra der „Individuellen Förderung“. In manchen Bundesländern fand ein Anspruch der Schüler darauf sogar Eingang in das Schulgesetz (so in Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen). In der Praxis haben viele Schulen in Deutschland Konzepte entwickelt: ob Lerngruppen, selbstständige Arbeit, zusätzliche Förderstunden oder Tutorensysteme (also eine Nachhilfe von Schülern für Schüler). Das Ganze fußt auf reformpädagogischen Ansätzen, die Eigeninitiative, Partnerarbeit und Selbstkontrolle der Schüler ins Zentrum des Unterrichtsgeschehens rücken – und die, auf die Spitze getrieben, dem Lehrer nur noch die Rolle eines „Moderators“ von Lernprozessen zuweisen. „Eines haben die modernen Methoden gemeinsam, sie alle wollen Alternativen zum klassischen Frontalunterricht sein“, so schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ).
Und jetzt das: „Kinder lernen immer noch am besten, wenn man sie in guter alter Manier frontal unterrichtet. Das haben Bildungsökonomen in einer groß angelegten Analyse herausgefunden. Zwar nicht für Deutschland, sondern für die Vereinigten Staaten, weil es dort eine Unmenge qualitativ guter Daten gibt. Die Aussage ist aber eindeutig: Frontalunterricht bringt mehr als problemorientierter oder gar offener Unterricht“, so berichtet das Blatt und zitiert den Autoren der Analyse, Guido Schwerdt vom Münchener Ifo-Institut, mit folgender Aussage: „Lehrer wenden häufig eine Kombination verschiedener Unterrichtsmethoden an. Wenn Lehrer 10 Prozent mehr Zeit auf frontales Unterrichten verwenden, dann zeigen Schüler einen Leistungsvorsprung, der ungefähr dem Wissenszuwachs von ein bis zwei Monaten Schulbildung entspricht.“ Liegt Zuckerberg also völlig daneben mit seiner Vision eines auf das einzelne Kind zugeschnittenen Lernprogramm?
Die „Welt“ stößt ins gleiche Horn wie die FAZ. Alan Posener, Korrespondent für Politik und Gesellschaft, der mit einer Grundschul-Pädagogin verheiratet ist und auf News4teachers auch schon mal herzergreifend das berufliche Engagement von Lehrkräften beschrieben hat, kommt ebenfalls mit einem Abgesang auf den Reformunterricht. „Jahrgangsübergreifende Gruppen, individualisiertes Lernen, das Arbeitsbogenunwesen und alles, was damit zusammenhängt, dürften sich bald in der Rumpelkammer der dummen pädagogischen Ideen wiederfinden, zusammen mit der Mengenlehre in der Mathematik, der Ganzheitsmethode des Lesenlernens, dem Sprachlabor und der Arbeitslehre; zusammen auch mit dem Rohrstock und dem ganzen Einschüchterungsarsenal der schwarzen Pädagogik“, so schreibt Posener und meint: „Didaktische Moden gehorchen einer Wellenbewegung; das, was einer Pädagogengeneration heilig war, gilt der nächsten als Götzendienst. Klassengemeinschaft und Lehrercharisma, Unterrichtsgespräch und Dialog werden nun wiederentdeckt. In der angelsächsischen Welt, wo sonst. Womit gesichert ist, dass die neue alte Didaktik bald zu uns herüberschwappen wird.“
Sind schülerzentrierte Unterrichtsmethoden also Kokolores? Richtig ist: Der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie, der in seiner Meta-Studie „Visible Learning“ die Ergebnisse von rund 1.000 Untersuchungen evaluiert hat und seitdem als “Harry Potter der Bildungsforschung” gilt, kommt unter der Fragestellung „What works best“ zu folgender Schlussfolgerung: Den größten Einfluss auf den Unterrichtserfolg haben die Lehrpersonen, genauer gesagt ihr Handeln.
Die Lehrpersonen lenken laut Hattie das Lernen als Regisseure (activators), „als bewusste Veränderer“. Damit ist aber offenbar keine Rückkehr zu einem Frontalunterricht gemeint, indem fast nur die Lehrkraft redet. „Das Modell des sichtbaren Lehrens und Lernens kombiniert lehrerzentriertes Lehren und schülerzentriertes Lernen, statt beide gegeneinander auszuspielen“, so schreibt Hattie selbst. Lehrer müssen „erkennen, wann Lernen stattfindet und wann nicht“ und daraufhin Feedback fordern und geben. Anders ausgedrückt: Guter Unterricht baut auf einer Vielfalt der Methoden, die vom Lehrer bewusst eingesetzt werden – je nach aktuellem Bedarf der Schüler.
„Schüler brauchen auch das unterstützte Lernen voneinander und vom Lehrer”, so erklärt Pädagogik-Professor Reusser auf „Spiegel online“. Das gelte besonders für schwächere Schüler, wenn komplexe Sachverhalte neu eingeführt würden. Am erfolgversprechendsten sei es daher, Frontalunterricht und selbstständiges Lernen klug zu verknüpfen.
Die Quintessenz der FAZ, „Frontalunterricht macht klug“, ist in ihrer Verkürzung Unsinn. „Dumme Überschrift!“, so kommentiert dann auch ein Leser den Beitrag. „Anderer Unterricht macht auch klug! Jede Form hat ihre Berechtigung. Der wichtigste Faktor ist immer noch die Kompetenz des Lehrers. Es gibt Lehrer, die können gut frontal und sollten dann manchmal auch lieber dabei bleiben, andere machen besseren Unterricht mit anderen Methoden. Der Lehrer muss nicht zuletzt auch anhand der Schülerfähigkeiten entscheiden, welche Methoden geeignet sind. Als freiberuflicher Pädagoge mit häufig wechselnden Klassen habe ich da viel Erfahrung sammeln können.“
Und ein anderer Leser meint ironisch: „Am besten ist immer noch Fernsehunterricht“. News4teachers
