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Sind „Willkommensklassen“ für Flüchtlingskinder pädagogisch sinnvoll? Kritik wird laut

BERLIN. Die Bundesländer haben für die vielen schulpflichtigen Flüchtlingskinder in Deutschland nach Zeitungsangaben schon mehr als 8200 spezielle Sprachklassen eingerichtet. Rund 196.000 Schüler würden aktuell 8264 Klassen besuchen, in denen Deutsch gelehrt wird, berichtete die «Welt am Sonntag». Allerdings: Sind solche „Willkommensklassen“ überhaut der beste Weg für die Integration? Kritik wird laut.

Sind Flüchtlingskinder besser zunächst in Willkommensklassen aufgehoben – oder sofort in Regelklassen?

Die Aufgabe der Integration von rund 300.000 neu nach Deutschland gekommenen Flüchtlingskinder wird erschwert, weil diese oft weder Deutsch beherrschen noch die lateinische Schrift. Sie stammen aus gegensätzlichen Kulturen, haben sehr verschiedene Muttersprachen. Sie sind unterschiedlich alt, oft traumatisiert durch furchtbare Erlebnisse im Krieg. Sie warten in den Erstaufnahmeeinrichtungen ohne Unterricht – bis zu sechs Monate können sie laut Gesetz dort bleiben. Sie leben oft in Massenunterkünften wie Zelten oder Turnhallen und werden plötzlich anderen Orten zugewiesen. Wie soll da geregeltes Lernen möglich sein?

Die Länder gehen die Integration mit unterschiedlichen Konzepten an. In den meisten Bundesländern lernen die Kinder erst einmal in Vorbereitungsklassen Deutsch, unterrichtet von Ehrenamtlichen, von angehenden oder pensionierten Lehrern. Doch das wird zunehmend kritisch gesehen. In Rheinland-Pfalz etwa besuchen Flüchtlingskinder gleich die Regelschule und haben Deutschstunden extra – so auch im nordrhein-westfälischen Kreis Unna.

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Die Schulen im Kreis Unna machen landesweit mit ihrem sogenanten Go-In-Konzept für Flüchtlingskinder von sich reden. Dabei setzen sie auf Integration von der ersten Unterrichtsstunde an. Die Kinder werden nicht zuerst in speziellen Vorbereitungsklassen unterrichtet, sondern nehmen direkt am Regelunterricht in Deutsch teil. «Die Integration findet von Anfang an statt», sagte Marina Raupach vom Integrationszentrum des Kreises.

Auch wenn die Kinder erst einmal nichts oder kaum etwas verstünden, werde der passive Wortschatz gefördert. Außerdem könnten Freundschaften in der Klasse geknüpft werden, ohne dass diese beim Wechsel in eine andere Klasse gleich wieder strapaziert würden. Parallel zum Regelunterricht lernten die Kinder in Förderkursen Deutsch.
Die Skepsis beim Start des Konzepts in 2011 sei längst verflogen. Das «Go-in-Konzept» werde in allen Schulen des Kreises umgesetzt. «Wir haben Rückmeldung aus allen Schulen: Die Kinder sind hochgradig motiviert und lernen sehr schnell Deutsch», sagte Raupach. Viele Schulen hätten eigene Lösungen entwickelt – wie Lern-Patenschaften mit deutschen Schulern oder ausdifferenzierte Förderkurse für schnell oder langsam lernende Schüler.

Tatsächlich kritisiert Philologen-Verbandschef Heinz-Peter Meidinger die Willkommensklassen. Er sagte, dort lägen «hohes Engagement und große Frustration sehr nah beieinander wegen des Drehtüreffektes. Es kommt auch keine Verbindung zustande zwischen den Lehrern an den verschiedenen Standorten.»

Auch Andreas Schleicher, PISA-Koordinator der OECD, sieht das Konzept kritisch: Vorbereitungskurse, in denen Migrantenkinder unter sich sind, seien für schnellen Spracherwerb auf Dauer «keine gute Lösung». Wer aus seiner Heimat schon gute Mathe-Kenntnisse mitbringe, habe damit in einer Regelklasse rasch Erfolgserlebnisse und lerne dann dort zusätzlich im Kontakt mit deutschen Schülern die neue Sprache. dpa

Zum Bericht: Lehrerverbände fordern Masterplan zur Integration – Flüchtlingskinder sollen erst nach einem Jahr Sonderförderung in Regelklassen

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