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Flüchtlingskrise: Schaffen wir das? Natürlich – was denn sonst?!

Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber ANDREJ PRIBOSCHEK.

BERLIN. Die politische Debatte in Deutschland hat an diesem Wochenende einen Tiefpunkt erreicht. Die AfD, die selbsternannte „Alternative für Deutschland“, hat mit einem offensichtlich kühl kalkulierten Tabu-Bruch versucht, die Flüchtlingsdiskussion weiter zu radikalisieren – erst äußerte sich die Vorsitzende Frauke Petry in einem Interview mit dem „Mannheimer Morgen“, „notfalls“ müsse an der Grenze auf Flüchtlinge geschossen werden. Dann legte ihre Stellvertreterin Beatrix von Storch auf Facebook nach – und bejahte zunächst die Frage, ob damit auch gemeint sei, auf Frauen und Kinder zu schießen. Um sich wenig später zu korrigieren: auf Kinder nicht, auf Frauen (also deren Mütter) schon.

Schießen auf flüchtende Mütter? Die AfD hat am Wochenende für einen Tiefpunkt der politischen Kultur in Deutschland gesorgt. Foto: Freedom House / flickr /
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Tatsächlich haben auch schon einzelne Leser von News4teachers in den vergangenen Wochen in Foren zu unserer Nachrichtenseite die Forderung erhoben, dass die Polizei in letzter Konsequenz auf Flüchtlinge zu schießen habe, die nach einem Verbot die Grenze überqueren. Andere Leser hielten dagegen und empörten sich über so viel Unmenschlichkeit. Völlig zu Recht, wie wir als Redaktion an dieser Stelle festhalten wollen. Auch wir sind fassungslos über das Ausmaß an Brutalität und Dummheit – um von Geschichtsvergessenheit gar nicht erst zu reden –, das mit solchen Äußerungen zum Ausdruck kommt. Stellvertretend für viele, die sich über Petrys Vorstoß entsetzt zeigten, sei hier der Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), Dieter Dombrowski, zitiert (der selbst vier Jahre lang in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert war – also die Macht eines Unrechtsstaates aus eigener Anschauung sehr gut kennt): „Wer als Deutscher mit der Kenntnis um 2000 erschossene Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze fordert, auf unbewaffnete Flüchtlinge zu schießen, der kann geistig nicht normal sein“, sagte er.

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Geistig nicht normal (im Sinne von limitierter Empathiefähigkeit)? Ja – aber deshalb leider nicht ungefährlich. Das Kalkül der AfD-Spitze: mit solchen gezielten Provokationen – wie unlängst auch der “Vorhersage”, Angela Merkel werde wie weiland Margot Honecker ins Exil nach Südamerika gehen -, die Hysterie um die Flüchtlingskrise weiter anzuheizen, um sich aufgehetzten und politisch orientierungslosen Menschen mit schlichten Heilsversprechen als Retter anbieten zu können. Und der Plan geht auf. 80 Prozent der Pegida-Demonstranten würden nach einer am Wochenende veröffentlichten Studie von Wissenschaftlern des Göttinger Instituts für Demokratieforschung die AfD wählen. Menschen übrigens, deren Weltbild weit überwiegend autoritär bestimmt ist: Wie aus der Untersuchung hervorgeht, äußert gut die Hälfte der Befragten zwar „eine gewisse“ Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen – möchte jedoch Asylbewerber aus islamischen Ländern grundsätzlich davon ausgenommen sehen. Die andere Hälfte spricht gleich allen Menschen ein Recht auf Asyl in Deutschland ab. Nahezu alle Befragten plädieren angesichts der Flüchtlingsdebatte für autoritäre Krisenlösungen, heißt: „Befestigung und Verteidigung“ der deutschen Nationalgrenzen.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat demgegenüber am Wochenende klargestellt: Kein deutscher Polizist würde auf Flüchtlinge schießen. Petrys Aussagen (bezogen auf die Legalität eines Waffeneinsatzes) entsprächen weder der Wahrheit noch der Gesetzeslage, hieß es bei der GdP unmissverständlich deutlich. Tatsächlich ist es an der Zeit, wieder Sachlichkeit in eine Debatte zu tragen, die seit den Übergriffen zu Silvester in Köln zunehmend ins Hemmungslose abgleitet. Wer Beispiele dafür braucht, wie Menschen engagiert und erfolgreich viele der aktuellen Probleme lösen, während andere die sozialen Medien mit ihren Beschimpfungen und Hasstiraden vollsudeln und damit die politische Atmosphäre in Deutschland vergiften, muss nur in die Schulen schauen: Es ist fantastisch zu sehen, wie die Lehrerschaft hierzulande die Integration der vielen Flüchtlingskinder voranbringt, ohne die eigene Belastung groß zu thematisieren. Wohl an jeder Schule geht mittlerweile berufliches und ehrenamtliches Engagement nahtlos ineinander über. Dabei waren (und sind) viele Kollegien schon durch die Inklusion an den Rand des Machbaren gedrängt worden, und der Druck ist ja beileibe nicht geringer geworden.

Doch die Politik nimmt jetzt tatsächlich Geld in die Hand (anders noch als bei der Inklusion). Die Kultusministerkonferenz hat angesichts der Flüchtlingszahlen den Bedarf an zusätzlichen Lehrerstellen auf mindestens 20.000 geschätzt – und die Länder stocken wirklich auf. Allein Nordrhein-Westfalen stellt insgesamt 5.766 neue Stellen bereit – zur Sprachförderung von Zuwanderern sowie zur Abdeckung des durch Zuwanderung erhöhten Grundbedarfs. Niedersachsen beispielsweise hat zum laufenden Schulhalbjahr 1.600 zusätzliche Pädagogen eingestellt, Bayern zum 1. Januar zusätzliche 1.700 Stellen geschaffen, Baden-Württemberg immerhin 600, nachdem 900 bereits zu Schuljahresbeginn eingerichtet wurden. Letzteres ist besonders bemerkenswert, weil gerade das Ländle noch vor zwei Jahren 11.600 Lehrerstellen hatte streichen wollen – trotz der bevorstehenden Inklusion.

Ein weiterer Grund zum Optimismus in den Schulen: Für viele Flüchtlingsfamilien ist Schulbildung wichtig. Vor allem die Syrer, die nach Deutschland kommen, haben einen hohen Bildungsgrad, wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR in einer Umfrage herausgefunden hat. Danach gaben 86 Prozent der Erwachsenen an, über das Abitur zu verfügen, die Hälfte davon sogar zusätzlich über einen Hochschulabschluss. Als Grund dafür, Deutschland als Fluchtziel ausgewählt zu haben, nannten die meisten – neben guten Arbeitsmarktchancen und der Familienzusammenführung – den hervorragenden Ruf des deutschen Bildungssystems.

„Wir schaffen das.“ Immer wieder wurden jüngst Zweifel daran angemeldet, ob das als Aufmunterung gedachte Kanzlerinnenwort womöglich unangemessen, gar falsch ist. Können wir „das“ denn schaffen, die Flüchtlingskrise also bewältigen? Zurückgefragt: Welche Alternativen gibt es denn, als dass die Politik mit kühlem Kopf und einer durchdachten außenpolitischen Strategie dafür sorgt, den Zustrom von Menschen im Jahresverlauf deutlich zu verringern, und dass Staat und Gesellschaft tatkräftig an Lösungen arbeiten, diejenigen, die schon hier sind und noch kommen werden, so gut wie möglich aufzunehmen?

Die Herausforderung, keine Frage, ist groß. Dass dabei immer wieder Schwierigkeiten auftreten, zumal sich auch einige Kriminelle unter den Flüchtlingen verbergen, ist absehbar. Aber Deutschland ist keineswegs durch die Flüchtlinge existenziell bedroht, auch wenn die politischen Hetzer und Bauernfänger dies glauben machen wollen, und es wird auch an ihnen (so schwer erträglich sie auch sind) nicht zugrundegehen. Unser Land ist ökonomisch und strukturell einer der stärksten Staaten der Welt. Wir sind von der Finanzkrise, die Länder wie Frankreich, Spanien, Italien oder Griechenland bis heute massiv beutelt, weitgehend verschont geblieben und haben in den letzten Jahren sogar noch einen gewaltigen Aufschwung erlebt. Natürlich schaffen wir das – was denn sonst?!

Zur Analyse: Was wir jetzt brauchen: Eine Bildungs-Offensive gegen die Hass-Kultur!

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