DÜSSELDORF. Von wegen frustriert und ausgebrannt: Lehrer machen ihre Arbeit gern, etliche davon sogar sehr gern. Gleichwohl sieht sich eine Mehrheit vielen Belastungen ausgesetzt – zu große Klassen, schlechte Ausstattung, zu wenig Personal und fehlende Team-Arbeit werden beklagt. Das zeigt eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des VBE. Dessen Chef Beckmann macht deshalb als größten Störfaktor für Lehrkräfte die Schulpolitik aus.
Lehrer gehen gerne zur Arbeit, haben Freude bei der Wissensvermittlung und sehen ihre Tätigkeit als einen Beruf mit großer Verantwortung. Das sagt eine überwältigende Mehrheit von insgesamt 1001 Lehrern. Diese waren im Auftrag der Lehrergewerkschaft VBE vom Institut Forsa bundesweit befragt worden. Die laut Verband Bildung und Erziehung repräsentative Erhebung zeigt aber auch, dass vielen in zentralen Fragen der Schuh drückt und dass die Zufriedenheit mit der Schulpolitik schwach ausgeprägt ist.
„Für die Lehrkräfte ist derzeit die Politik der größte Belastungsfaktor“, erklärte VBE-Vorsitzender Udo Beckmann. 85 Prozent der Befragten gaben als belastend an, dass Politiker bei ihren Entscheidungen den tatsächlichen Schulalltag nicht beachten. „Die Ignoranz der Politik, auf der einen Seite öffentlich hohe Anforderungen zu stellen und auf der anderen Seite die notwendigen Ressourcen zu verweigern, ist eine Zumutung“, kritisierte Beckmann.
MOTIVATION: 52 Prozent der Lehrer üben ihren Beruf trotzdem «eher gerne» aus, 39 Prozent sogar «sehr gerne». Fast allen, nämlich 98 Prozent der Befragten, ist es wichtig, jungen Menschen Wissen zu vermitteln und mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. 90 Prozent interessieren sich für das unterrichtete Fach. 84 Prozent haben diesen Beruf gewählt, weil es ihnen wichtig ist, einen Beruf mit großer Verantwortung und Eigenständigkeit auszuüben. „Die Befragung zeigt hier ganz deutlich die hohe Eigenmotivation der Lehrer. Sie sind es, die momentan im Kontext von zunehmender Heterogenität, steigenden Anforderungen aufgrund von Inklusion und der Flüchtlingsbeschulung Meisterleistungen vollbringen“, lobte der VBE-Vorsitzende.
ARBEITSBEDINGUNGEN: Nahezu 90 Prozent halten eine Zusammenarbeit mit einem Team von Fachleuten wie Psychologen oder Sozialpädagogen für erforderlich. Da die Klassen – vor allem wegen Flüchtlingskindern oder Schülern mit speziellem Förderbedarf in inklusiven Gruppen – immer heterogener werden, sind solche Teams zunehmend gefragt. Lediglich gut die Hälfte der Lehrer gibt aber an, dass es eine Anbindung ihrer Schule an solche Teams gibt. Dazu passt, dass etwa zwei Drittel es belastend findet, «dass man im Umgang mit schwierigen Kindern häufiger alleingelassen wird.»
Als weitere Belastung wurde von 66 Prozent der Befragten angegeben, dass außerunterrichtliche Aufgaben, die beständig zunehmen, sich nicht in der Arbeitszeit wiederfinden. Deutlich über die Hälfte der Befragten gaben zudem an, dass es belastend sei, stark heterogene Klassen alleine zu in zu großen Klassen zu unterrichten (59 Prozent). „Diese Belastungsfaktoren verweisen auf eine zu dünne Personaldecke in den Schulen, auf fehlende Möglichkeiten für eine Doppelbesetzung im Unterricht und auf zu wenig Zeit für den gewollten Austausch im Team. Hier besteht die Gefahr eines Teufelskreises, denn Teamarbeit kann eine entlastende Wirkung haben“, mahnte Beckmann.
FORTBILDUNG: Schulintern gibt es diese nach Angaben von weit mehr als 80 Prozent der Befragten. Aber externe Fortbildungen vermissen nicht wenige. Sehr große oder große Sorgen vor Überforderung – «dass sie den Anforderungen des Lehrerberufs einmal nicht mehr gewachsen sein könnten» – hat etwa jeder fünfte Befragte.
AUSSTATTUNG: Unzufriedenheit gibt es wegen veralteter oder unzureichender Lehr- und Lernmaterialien. Laut VBE sollen die Schulen digitales Lernen forcieren und Medienkompetenz vermitteln. Die technische Ausstattung in den Schulen sei aber bis auf wenige Ausnahmen «mittelalterlich».
GESUNDHEIT: Viele Lehrer wünschen sich eine bessere Vorsorge. Zwei Drittel der Befragten halten Prävention für unbedingt erforderlich. Nur 31 Prozent sagen aber, dass es an ihrer Schule entsprechende Angebote gebe. Der VBE sieht die Gefahr der «Selbstausbeutung». Ebenfalls eklatant falle die Differenz zwischen Wunsch und bei Supervision (63 Prozent zu 28 Prozent) und Unterstützung beim Zeitmanagement (54 Prozent zu 18 Prozent) aus. „Die Politik nimmt billigend in Kauf, dass sich Lehrerinnen und Lehrer in ihrem geliebten Beruf verschleißen“, sagte Beckmann.
STELLEN: Als Reaktion auf die hohe Zuwanderung von Flüchtlingen fordert die Lehrergewerkschaft mehr Pädagogen. Die Klassen seien zu groß. «Wir stellen fest, dass Lerngruppen bis an die Oberkante oder darüber hinaus gefüllt werden», kritisiert Beckmann. Neben den beispielsweise für NRW beschlossenen 5766 zusätzlichen Stellen für 2015 und 2016 sei im Land noch mit einem Bedarf von weiteren 5000 bis 6000 Stellen zu rechnen. Noch dazu fordert der VBE von der rot-grünen Landesregierung 7000 Stellen, um den inklusiven Unterricht – gemeinsam für Kinder mit und ohne Behinderung – optimal gestalten zu können.
NACHWUCHS: Zu wenig Menschen entscheiden sich laut VBE für ein Lehramtsstudium. «Der Lehrermarkt ist leergefegt.» Stellen würden derzeit häufig mit Quereinsteigern besetzt, die keine pädagogische Ausbildung hätten. Dies sei problematisch, weil gerade bei der Betreuung von Flüchtlingskindern spezielle pädagogische Kenntnisse gefordert seien. Zahlen zu Lehramtsstudenten nannte der VBE nicht.
POLITIK: Im bundesweiten Schnitt bekommt die Schulpolitik die Note vier, genau 4,0 – ein glattes ausreichend. In Bayern hat Forsa die Note 3,7 ermittelt. In Baden-Württemberg gehen die Lehrer ihrer Landespolitik eine 4,0 und in NRW mit 4,2 nur ein «ausreichend minus». Da es laut VBE und Forsa die erste Umfrage dieser Art ist, gibt es keine Vergleichswerte, um hier eine Entwicklung zu erkennen. „Die 4,0 wird nicht von einer verdrossenen Berufsgruppe, sondern von hochmotivierten und engagierten Lehrkräften ausgeteilt“, stellte Beckmann klar. Er riet der Politik – nicht überraschend – hier „nachzusteuern“. Von Thomas Eßer und Yuriko Wahl-Immel, dpa

