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Stoch stellt neue Bildungspläne vor – auf der Grundlage des „christlichen Menschenbildes“. Konservative Kritiker besänftigt das nicht

STUTTGART. Die baden-württembergischen Bildungspläne waren heftig umstritten. Mit einem Jahr Verzögerung treten sie im August in Kraft. Bei einem Kongress wirbt Noch-Kultusminister Stoch bei Lehrern um Unterstützung bei der Umsetzung – und erntet Applaus. Wütend zeigen sich dagegen die Organisatoren der „Demo für alle“, die seit zwei Jahren gegen die stärkere Betonung von Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten zu Felde zieht und eine „Frühsexualisierung“ von Schülern befürchtet. Sie hat eine Aktion gestartet, die die künftig wohl mitregierende CDU in die Pflicht nehmen will. Dabei ist die grün-rote Landesregierung den Kritikern erkennbar entgegengekommen.

Immer wieder demonstrierten Tausende von Menschen in Stuttgart gegen die Bildungspläne. Foto: Demo für alle

Das Kultusministerium hat die neuen Bildungspläne rund 800 Lehrern und Schulleitern bei einem Kongress in Fellbach vorgestellt. Die Bildungspläne seien eine notwendige Reaktion auf veränderte gesellschaftliche Realität, sagte Kultusminister Andreas Stoch (SPD). «Sie sind Grundlage dafür, dass Kinder zu selbstbewussten, erfolgreichen, kritischen Menschen erzogen werden.» Stoch nannte Bildungspläne «mit das wichtigste Handwerkszeug, das Lehrer haben, um gute Bildung umzusetzen» und warb bei den Pädagogen darum, die Pläne engagiert umzusetzen.

Während es im Vorfeld viel Kritik an den Plänen gab, erhielt Stoch bei dem Kongress breite Zustimmung. Pädagogen sollten bei dem Treffen am Mittwoch in Diskussionsrunden und Arbeitsgruppen praktische Hinweise erhalten, wie die Pläne umzusetzen sind. Die neuen Regelwerke treten im August in Kraft.

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Schüler werden die Änderungen im neuen Schuljahr bemerken – zum Beispiel gibt es das neue Fach Wirtschaft dann für alle weiterführenden Schularten, Fünft- und Sechstklässler haben statt des Biologie-Unterrichts künftig das Fach «Biologie, Naturphänomene und Technik» (BNT). Die zweite Fremdsprache beginnt in Gymnasium, Realschule und Gemeinschaftsschule einheitlich in Klasse sechs. Die Einführung der neuen Bildungspläne war umstritten, weil die Akzeptanz sexueller Vielfalt darin eine Rolle spielt – damit wollen Grüne und SPD der Diskriminierung entgegenwirken. Gegner sehen darin «Gender-Ideologie» und Sexualisierung der Kinder.

„Wir sind mit den Bildungsplänen, so wie sie jetzt sind, einverstanden“, sagte die Vorsitzende des Landesschulbeirats Ingeborge Schöffel-Tschinke am Mittwoch in Fellbach. Darauf komme es auch an. „Bildungspläne sind Handwerkszeug der Lehrer, nicht der Eltern oder der Schüler.“ Auch die Schüler scheinen sich mit den neuen Zielen für ihre Bildung zu identifizieren. «Wir sehen die Bildungspläne positiv», sagte die Vorsitzende des Landesschülerbeirats, Johanna Lohrer. Sie hoffe, dass Lehrer die Leitperspektiven – etwa Medienbildung sowie Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt – zum Anlass nehmen, aktuelle gesellschaftliche Themen aufzugreifen, die Schüler beschäftigen – «damit wir nicht nur theoretisches Wissen vorgeklatscht kriegen.»

Der Vorsitzende des Landeselternbeirats, Carsten Rees, appellierte daran, den Bildungsplan als Prozess zu verstehen, an dem man weiterhin Anpassungen vornehmen könne. Rees hatte zuvor kritisiert, dass Eltern zu wenig in die Entwicklung der Bildungspläne eingebunden worden seien. Dem tritt das Ministerium entgegen. Rund 2600 Stellungnahmen von allen möglichen Betroffenen seien zum Bildungsplan eingegangen, 650 davon wurden den Angaben zufolge eingearbeitet.

Doch weiterer Ärger steht ins Haus: Die „Demo für alle“-Initiatoren haben eine Aktion gestartet, die sich an die bislang oppositionelle CDU richtet – und sie auffordert, gemeinsam mit der FDP und der AfD die Umsetzung der Bildungspläne zu verhindern. Die Initiative fordert ihre Anhänger auf, die CDU-Abgeordneten anzuschreiben und an ihre frühere ablehnende Haltung zu erinnern. Empfohlener Merksatz: „Nach der Wahl ist vor der Wahl“. News4teacher / mit Material der dpa

 

Die umstrittenen Bildungspläne
Wörtlich heißt es in den Leitperspektiven des Bildungsplans unter dem Punkt „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“: „Der konstruktive Umgang mit Vielfalt stellt eine wichtige Kompetenz für die Menschen in einer zunehmend von Komplexität und Vielfalt geprägten modernen Gesellschaft dar. In der modernen Gesellschaft begegnen sich Menschen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit, Nationalität, Ethnie, Religion oder Weltanschauung, unterschiedlichen Alters, psychischer, geistiger und physischer Disposition sowie geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung. Kennzeichnend sind Individualisierung und Pluralisierung von Lebensentwürfen.“

Grundlage der Leitperspektiven – und hier ist ein deutliches Entgegenkommen an die Kritiker in der Handschrift von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erkennbar – „die Menschenwürde, das christliche Menschenbild sowie die staatliche Verfassung mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie“.

Weiter heißt es: „Schule als Ort von Toleranz und Weltoffenheit soll es jungen Menschen ermöglichen, die eigene Identität zu finden und sich frei und ohne Angst vor Diskriminierung zu artikulieren. Indem Schülerinnen und Schüler sich mit anderen Identitäten befassen, sich in diese hineinversetzen und sich mit diesen auseinandersetzen, schärfen sie ihr Bewusstsein für ihre eigene Identität. Dabei erfahren sie, dass Vielfalt gesellschaftliche Realität ist und die Identität anderer keine Bedrohung der eigenen Identität bedeutet.“

Zum Bericht: Stoch (SPD) bringt umstrittene Bildungspläne auf den Weg – während Grün-Schwarz schon die neue Schulpolitik verhandelt

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