HANAU. Immer mehr schwierige Schüler, Inklusion – und jetzt noch die Flüchtlingskinder: Die Lehrkräfte in Deutschland sehen sich immer größeren Herausforderungen gegenüber. Wie wirkt sich das in der Praxis der Betroffenen aus? Dies wollte die GEW im hessischen Altkreis Hanau genauer wissen. Sie befragte Kollegen aus allen Schulformen. Das Ergebnis ist zwar nicht repräsentativ, wirft aber ein Schlaglicht auf die Situation der Lehrkräfte bundesweit: Über 90 Prozent der Teilnehmer empfinden den Beruf mittlerweile als „stark belastend“ oder sogar „übermäßig belastend“. Ebenso viele geben an, während des Schuljahres an vielen oder sogar allen Wochenenden zu arbeiten.
In Hessen gilt für Beamte eine 42-Stunden-Woche. Diese Regelarbeitszeit wird aber offenbar meistens überschritten, zumindest während des Schuljahres. „Es sind eher 55 bis 65 Stunden pro Woche als 42 Stunden“, so zitiert die GEW einen Umfrageteilnehmer. Ein anderer meint: „Ich arbeite mehr als 60 Stunden pro Woche. 42 Stunden wären im Verhältnis erholsam!“ Ein Dritter: „In einer 42-Stunden-Woche ist die Vielzahl der Aufgaben nicht zu schaffen!“
Neun von zehn Lehrern beklagen, regelmäßig an Wochenenden arbeiten zu müssen – und teilweise sogar in den Ferien. „Arbeit an den Wochenenden und bis weit in die Abendstunden ist die Regel“, so schreibt einer. Ein anderer berichtet: „Es fällt immer mehr Arbeit an. Deswegen arbeite ich an Wochenenden, Abenden und in den Ferien. Erholungszeiten fehlen.“
Tatsächlich geben drei Viertel der Lehrkräfte an, abends nicht abschalten und die Schule „einfach mal vergessen“ zu können – aus Sicht der Arbeitsmedizin extrem kritisch, so meint die GEW. Wie belastend sind einzelne Faktoren? Zu hohe Klassen- und Lerngruppenstärken empfinden über 70 Prozent der teilnehmenden Lehrer als „stark“ oder „sehr stark“ belastend. Sogar noch problematischer werden die Zunahme des Integrationsaufwands auffälliger, schwieriger oder lernschwacher Schüler und die wachsende Heterogenität der Klassen bzw. Lerngruppen empfunden – rund 90 Prozent sehen sich dadurch „stark“ oder sogar „sehr stark“ belastet. Statement eines Umfrageteilnehmers: „Zu viele Kinder, die zu fördern sind, zu viele Seiteneinsteiger, zu viele psychologische Problemfälle.“
Sogar 95 Prozent nennen als „starke“ oder „sehr starke“ Belastungsfaktoren zunehmende außerunterrichtliche Aufgaben wie Konferenzen, Schulprogramm, Beratungstermine, runde Tische, Förderpläne, Feste, Aufführungen oder Tage der offenen Tür. Auch die Inklusion – genauer: die fehlende Unterstützung etwa durch Doppelbesetzungen – wird als schwierig empfunden; hierdurch fühlen sich 85 Prozent „stark“ oder „sehr stark“ belastet. „Die Inklusion belastet besonders stark. Es fehlen Personal und Unterstützung. Die hohe Belastung führt zu qualitativ schlechterem Unterricht“, so kommentiert einer der Teilnehmer.
Welche Maßnahmen wären aus Sicht der Betroffenen vordringlich umzusetzen, um die Belastung wirksam zu senken? Als besonders dringlich werden mehr Ressourcen und Unterstützung für die Inklusion, eine deutliche Reduzierung der Verwaltungsaufgaben und mehr Entlastungsstunden für Sonderaufgaben gefordert. Aber auch eine Absenkung des Pensionsalters hat bei den Lehrkräften hohe Priorität („Das bis 67? Das ist eine unerträgliche Vorstellung.“)
Stellungnahmen von Umfrage-Teilnehmern:
- „Man kann nur den Kopf schütteln über die schlechte Personalausstattung. Viele Migrantenkinder erhöhen den Bedarf weiter.“
- „1993 hatte ich 26 Stunden Unterricht und 1 Stunde Jahrgangskoordination. Jetzt habe ich 29 Stunden Unterricht, 1 Stunde IB-Koordination und 1 Stunde Jahrgangsteamsitzung.“
- „Von uns Lehrern wird erwartet, dass wir alle Mehrbelastungen stillschweigend akzeptieren, auch wenn wir dabei unsere körperliche und psychische Belastungsgrenze regelmäßig überschreiten. Gesundheitliche Konsequenzen bleiben nicht aus.“ News4teachers
Zum Bericht: Studie soll tatsächliche Arbeitszeit von Lehrern ermitteln