WÜRZBURG. Hochbegabung – manche Eltern versuchen für ihre Kinder mit Nachdruck, ein solches Prädikat zu erlangen – verheißt gute Noten und eine sorgenfreie Zukunft, von einer Erklärung für Verhaltensprobleme einmal abgesehen. Bei anderen steigen im Kopf Vorstellungen auf von Kommunikationsproblemen, Ausgrenzung und Langeweile durch Unterforderung. Die Realität liegt in der Regel irgendwo dazwischen, doch das Umfeld, Eltern und Pädagogen, hochbegabter Kinder stehen vor besonderen Herausforderungen. Viele fühlen sich damit allein gelassen.
In der öffentlichen Wahrnehmung fokussiert sich der Blick auf das Thema „hochbegabte Kinder“ meist auf den schulischen Bereich. Der familiäre Alltag hingegen gerät dabei oft aus dem Blickfeld. Ist es für betroffene Eltern daher mitunter schon schwierig, Unterstützung im schulischen Kontext zu finden, sind professionelle Beratungsstrukturen für den alltäglichen Umgang mit ihren hochbegabten Kindern noch weniger entwickelt.
„Juhu, mein Kind ist ein Genie!“ Eltern, die erfahren, dass der eigene Nachwuchs hochbegabt ist, haben allen Grund zur Freude: Es winken gute Noten, ein hoch dotierter Job und noch viel besser: eine sorgenfreie Zukunft. Das ist aber nur eine Seite der Medaille und häufig auch nicht ganz richtig. Denn begabte Kinder können für Eltern auch eine Belastung sein. Das stellen auch Juliane Hauf und Dr. Nicole von der Linden fest, Mitarbeiterinnen der Begabungspsychologischen Beratungsstelle der Universität Würzburg.
„Manche Eltern sind verunsichert, wenn sie erfahren, dass ihr Kind eine besonders hohe intellektuelle Begabung besitzt“, sagt von der Linden. „Sie empfinden dies als belastend, weil sie damit eine vermeintlich größere Verantwortung tragen und nicht wissen, ob und wie sie dem Kind gerecht werden können.“ Dabei müsse eine hohe Begabung gar nicht zwangsläufig zu Schwierigkeiten führen, im Gegenteil: Viele Kinder kämen sehr kompetent durchs Leben.
Dennoch, sagt die Expertin, gebe es eine Reihe von Problemen, die Familien mit begabten Kindern häufig beschäftigen würden: „Manchen Eltern fällt es beispielsweise schwer, eine Balance zu finden zwischen den guten kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten auf der einen Seite und einer altersgerechten sozialen und emotionalen Entwicklung auf der anderen Seite.“ So hätten begabte Kinder häufig Interesse an Themen, die sie emotional noch überfordern würden. Auch würden kluge Kinder viele Dinge hinterfragen und versuchen, Eltern und Pädagogen in Diskussionen zu verwickeln.
Das oft bediente Klischee, hochbegabte Kinder seien Einser-Schüler, treffe indes auch nicht immer zu, betont von der Linden: „In der Schule kann Unterforderung eine Schwierigkeit darstellen, wenn diese sich negativ auf die Motivation auswirkt.“ Insbesondere die Bearbeitung von Wiederholungen und Routineaufgaben werde von begabten Kindern häufig als belastend empfunden. „Hier ist es wichtig, den Kindern rechtzeitig zu vermitteln, dass gute Leistung nicht nur auf guter Begabung beruht, sondern auch Lernbereitschaft voraussetzt.“ Andernfalls könne es früher oder später, häufig beim Wechsel auf die weiterführende Schule, zu einem Leistungsabfall kommen.
Tritt ein solcher ein, müsse zunächst die Ursache gefunden werden: Denn neben fehlender Motivation könnten schwache Leistungen auch durch zu viel Stress bedingt sein, erklärt von der Linden: „Die Stressauslöser begabter Kinder unterscheiden sich häufig von denen normalbegabter Kinder.“ Oft würden zu hohe, mitunter auch falsche Erwartungen an begabte Kinder gestellt mit der Folge, dass diese sich überfordert fühlten. Das sei beispielsweise dann der Fall, wenn von einem Kind aufgrund seiner hohen sprachlichen Kompetenz in allen Fächern sehr gute Leistungen erwartet werden, obwohl die Begabung gar nicht alle kognitiven Bereiche umfasst.
In einer dreitägigen Trainingsmaßnahme haben Hauf und von der Linden im April elf Müttern und Vätern gezeigt, worauf sie bei der Kommunikation mit ihren begabten Kindern achten sollten und wie sie Probleme im familiären und schulischen Alltag lösen können. Die Resonanz sei so positiv ausgefallen, dass eine nun Wiederholung im Oktober geplant ist. (zab, pm)
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