HAMBURG. Von „Krieg“ ist in Zeitungen wie der „Welt“ die Rede, von einer „Bombe“. Tatsächlich geht’s nur um einen Brief. Der aber hat es in sich: Die Schulleiter der integrierten Stadtteilschulen in Hamburg (der neben dem Gymnasium einzigen Schulform in der Hansestadt) fordern darin nichts Geringeres als eine Revolution – sie wollen nicht länger hinnehmen, dass sich die Probleme von der Inklusion bis hin zu den Flüchtlingskindern an ihren Schulen ballen. Und die davon weitgehend unbelasteten Gymnasium sich über einen Anmeldeboom freuen können.
„Das Ergebnis der Anmelderunde für die neuen fünften Klassen bestätigt den Trend der sozialen Segregation der Stadt. In diesem Jahr haben sich nur noch 42 Prozent aller Hamburger Schülerinnen und Schüler an der Stadtteilschule angemeldet. Das ist die Schulform, die für alle Kinder offen ist und die zu allen Abschlüssen führt. Setzt sich dieser seit Jahren andauernde Trend fort, werden im Jahr 2020 etwa 70 Prozent der Hamburger Schülerinnen und Schüler das Gymnasium besuchen“, so heißt es in dem Positionspapier, das 51 von 53 Leitern der Hamburger Stadtteilschulen unterschrieben haben.
Und weiter: „Damit wäre das Zwei-Säulen-Modell gescheitert. Weder das Gymnasium noch die Stadtteilschule könnten ihren Bildungsauftrag erfüllen.“ Das Land Hamburg müsse sich entscheiden: Entweder komme das ‚Gymnasium für alle Schülerinnen und Schüler‘ oder die Politik und die Öffentlichkeit machten sich klar, worin Sinn und Zweck der beiden weiterführenden Schulformen, der Stadtteilschule und des Gymnasiums, in Hamburg bestehen. Heißt also zugespitzt: entweder ein Gesamtschulsystem – oder ein Zugang zum Gymnasium nur für wirklich leistungsstarke Schüler. Die Entscheidung, auf welche Schulform ein Kind wechselt, liegt in Hamburg bei den Eltern.
„Die soziale Ausgrenzung in Hamburg muss ein Ende haben“, so fordern die Schulleiter. „Die Hamburger Politik muss dafür sorgen, dass die Heterogenität in unserer Stadt hergestellt wird, dass sozial Schwache und auch die Zuwanderer in die Mitte unserer Gesellschaft gerückt werden und nicht an Ränder abgeschoben werden.“ Dem immer kleiner werdenden Teil der Hamburger Schüler – den 42 Prozent an den Stadtteilschulen also – würden mit Flüchtlingskindern und Inklusion die „größten Herausforderungen unserer Zeit aufgebürdet“. Dabei hätten sie doch selbst genug damit zu tun, die eigenen Bildungsnachteile aufzuholen. Tatsächlich besuchen in der Hansestadt mehr als 60 Prozent der 8000 Kinder und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf eine Stadtteilschule, aber nur 2,3 Prozent das Gymnasium. Darüber hinaus beherbergen die Stadtteilschulen aktuell 111 Flüchtlingsklassen, die Gymnasien hingegen nur 42.
“Gemeinsames Lernen” gefordert
Die Lösung für die Leiter der integrierten Stadtteilschulen liegt auf der Hand: eine „bildungspolitische Leitidee des gemeinsamen Lernens und der individuellen Förderung“. Im Klartext: Weg mit dem Gymnasium.
Eine „Einheitsschule“ verstehen die Schulleiter unter dem Ergebnis ausdrücklich nicht – eher, im Gegenteil, eine selbstständige Schule mit eigenem Profil. „Hierzu gehört die Freiheit, Lernzusammenhänge, Fächer, Lernbereiche etc. auf der Grundlage der Bildungspläne zu entwickeln und frei auszugestalten. Eine ‚Gleichmacherei‘ aller Schulen passt nicht zu den Anforderungen an die unterschiedlichen Standorte“, so schreiben die Schulleiter. Nur die Schüler – die sollen halt nicht wie bisher mit den Gymnasien geteilt werden.
Wenig Verständnis vom Schulsenator
Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat laut einem Bericht der „Welt“ wenig Verständnis für die Beschwerde der Schulleiter: „In keinem anderen Bundesland sagen die Lehrer und Schulleiter, dass sie es ungerecht finden, dass sie sich mit diesen Schülern befassen müssen“, so zitiert ihn das Blatt. Auch Kinder, die vielleicht nicht das Abitur schaffen, seien doch „freundliche Kinder, mit denen man einen tollen Unterricht machen kann“. Was auch für Flüchtlinge gelte. „Ich kann mir den Unterricht mit Flüchtlingen als ausfüllende und spannende Aufgabe vorstellen“, so sagt er laut „Welt“. Es gebe Herausforderungen, aber keine alarmierende Schieflage im Bildungssystem. Das sehen die Schulleiter freilich anders: Die Kinder und Jugendlichen seien aus dem Blick verloren worden, heißt es in dem Schreiben. Es sei an der Zeit, dies zu ändern. Agentur für Bildungsjournalismus
