HAMBURG. Wieder hat ein muslimischer Schüler einer Lehrerin den Handschlag verweigert, und erneut ist eine große Debatte ausgebrochen. Kann eine Schule ein solches Verhalten dulden? Wir haben Pro- und Kontra-Argumente gegeneinander gestellt.
Jan Gleisner / flickr (CC BY 2.0)
Der aktuelle Fall: Ein Schüler aus Hamburg hat den Handschlag einer Lehrerin zum Glückwunsch nach bestandener Abiturprüfung nicht annehmen wollen. Das berichtet die „Hamburger Morgenpost“. Der junge Mann muslimischen Glauben streckte ihr nur das Handgelenk hin – bat dann aber um ein Vier-Augen-Gespräch, in dem er der Lehrerin erklärte, dass er nicht aus Respektlosigkeit, sondern aus religiösen Gründen so handele. Lehrer der Schule forderten daraufhin, den Abiturienten von der offiziellen Abiturfeier auszuschließen. „Wir haben uns aber dagegen ausgesprochen“, so die Schulleiterin gegenüber der Zeitung. Das sei nicht die richtige Reaktion auf sein Verhalten. Die Schulleitung hat bisher Gespräche mit ihm geführt, sein Verhalten aber nicht sanktioniert. „Wir überlegen jetzt, wie wir signalisieren, dass wir ein solches Verhalten nicht dulden.“ Daraufhin boykottierten einige Lehrer die Schulveranstaltung. In Hamburg ist nun eine große Debatte darüber ausgebrochen, ob und wie die Schule reagieren soll.
Der Hintergrund: Der Fall aus Hamburg ist nicht der erste seiner Art. Zuvor hatte in Berlin der Vater eines Schülers – ein Imam – eine Lehrerin seines Sohnes wegen „Beleidigung und Verletzung der Religionswürde“ angezeigt. Der Anlass: ein Streit, der ausgebrochen war, weil der Einwanderer aus der Osttürkei der Pädagogin den Handschlag verweigert hatte. Diese hatte das Verhalten nicht akzeptieren wollen. Der Vater wirft ihr nun „Respektlosigkeit gegenüber dem Glauben der anderen und Fremdenfeindlichkeit“ vor.
Die Geschichten erinnerte wiederum an einen Fall aus der Schweiz, der unlängst auch in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt hatte. Zwei Schüler, Brüder aus Syrien, hatten einer Lehrerin den Handschlag verweigert – sie bekamen von der Schule eine Sondergenehmigung, auch künftig jede Berührung vermeiden zu dürfen, was zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion führte. Wie viel Rücksicht muss die Schule auf religiöse Befindlichkeiten nehmen? Der vorherrschende Tenor auch bei Politikern und Lehrerverbänden war Unverständnis für die Entscheidung der Schule, welche eine „Diskriminierung der Frauen“ mittels Sonderregelung zulasse. Die Schulleitung verwies auf einen „Kompromiss“, der vereinbart worden sei: dass die Schüler nämlich auch männlichen Lehrkräften künftig nicht mehr die Hand geben. Der Gleichberechtigung wegen.
Darf eine Schule dulden, dass Schüler und Väter Lehrerinnen den Handschlag verweigern?
Nein
– sagt die Bildungsjournalistin Laura Millmann.
Die Debatte um den Handschlag ist mal wieder ideologisch überfrachtet – Ängste werden geschürt, Frauenfeindlichkeit beklagt, vor zukünftiger Gewalt gewarnt. Dabei geht es bei der Debatte nur um einen sehr kleinen Teil der muslimischen Gemeinschaft. Und sie betrifft sowohl Männer als auch Frauen, die dem jeweils anderen Geschlecht nicht die Hand geben wollen (übrigens wie es bei einigen orthodoxen Juden auch der Fall ist).
Dennoch darf die Frage, ob der Handschlag für muslimische Schülerinnen und Schüler eine zumutbare Geste ist, nicht komplett unter den Tisch fallen. Zunächst einmal bleibt festzustellen, dass es das gute Recht jedes Menschen ist, einen Händedruck zu unterlassen. Dafür ist Deutschland ja eine offene, demokratische Gesellschaft, damit jeder seine Religion frei ausüben kann – ein Recht das hart erkämpft wurde und nicht einfach ausgesetzt werden darf, nur, weil uns die Gebräuche fremd und unverständlich erscheinen. Doch die Schule stellt einen speziellen Rahmen dar, in dem Menschen unterschiedlichster Kulturen interagieren. Ein verweigerter Handschlag wird in diesem Rahmen problematisch.
Im aktuellsten Fall verweigerte ein muslimischer Abiturient seiner Lehrerin, die ihm zum Abitur gratulieren wollte, einen Händedruck. Er bot ihr als Alternative sein Handgelenk an. Das bedeutet aber auch, er hat ihr eine Geste des Respekts verweigert. Damit bekommt die Diskussion einen anderen Charakter als der Konflikt um die Frage, ob Schülerinnen und Schüler am Ramadan teilnehmen dürfen oder muslimische Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen müssen.
Der Händedruck in unserer Kultur ein Zeichen des Vertrauens, der Anerkennung und des Respekts. Verweigert ein Schüler seiner Lehrerin oder eine Schülerin ihrem Lehrer den Handschlag, reduziert er oder sie die Lehr- und Respektsperson damit auf das Geschlecht. Das widerspricht jedem Erziehungsauftrag von Schule. Zudem kann es weder von Lehrern noch von Eltern gewollt sein, dass muslimische Jugendliche nicht lernen, einen Handschlag zu praktizieren, wenn es die Situation erfordert. „Wer den Handschlag verweigert, wird nie Karriere machen“, stellte der Chef des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, in einem Interview mit der „Welt“ fest. Auch das widerspricht dem Ziel der Schulen.
Eine Ausnahmeregelung mag also durchaus im Sinne unserer westlichen Werte angebracht sein, den muslimischen Schülerinnen und Schülern tun die Verantwortlichen aber keinen Gefallen.
Ja
– meint News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
Klar, eine ausgestreckte Hand nicht zu ergreifen, erscheint unhöflich. Als Zurückweisung. Und wenn nur Frauen davon betroffen wären, dass ihnen Muslime den Handschlag verweigern, ließe sich mit Recht auch von Diskriminierung sprechen. Tatsache aber ist: Auch Männer erleben es mitunter, dass ihnen von Muslimen nicht die Hand geschüttelt wird – von muslimischen Frauen nämlich. Die strenge Wahrung körperlicher Distanz betrifft im orthodoxen Islam über Kreuz beide Geschlechter (übrigens auch im orthodoxen Judentum).
Dahinter steckt, so lässt eine „Fatwa“ des Islamischen Zentralrats der Schweiz erkennen, eine groteske Sexualisierung von Kontakten zwischen Männern und Frauen. Unter „Verwandten, die einander zur Heirat verwehrt sind“ – also etwa zwischen Vater und Tochter? Ist der Handschlag laut „Fatwa“ erlaubt. „Zwischen einem fremden geschlechtsreifen Mann und einer fremden geschlechtsreifen Frau, welche natürliche Triebe (gegenseitige Anziehungsmöglichkeit) verspüren“? Verboten. „Der Händedruck einer fremden alten Frau oder eines fremden alten Mannes, bei der die sexuellen Triebe kaum noch einen Einfluss haben“? Umstritten. „Das Berühren bzw. der Händedruck von fremden weiblichen oder männlichen Kindern (nicht geschlechtsreif)?“ Unproblematisch, den meisten Gelehrten zufolge jedenfalls. Allerdings nur bis zur Pubertät, deren Beginn auf das Alter von acht Jahren festgelegt wird. Danach: verboten.
Das ist unfreiwillig komisch. Aber auch ein erzieherisches Problem, um das sich die Schule kümmern muss? Wer sich an die ellenlangen Abhandlungen katholischer Theologen zur Sexualmoral erinnert oder an die Ablehnung von Homosexuellen durch Evangelikale, wird feststellen, dass auch andere Religionen, auch Christen, nicht gerade locker mit der Körperlichkeit umgehen. Aus einem verweigerten Handschlag einen symbolischen Streit darum zu machen, inwieweit sich Menschen mit Migrationshintergrund kulturell an deutsche Gepflogenheiten anzupassen haben, wirkt deshalb überzogen und aufgebauscht.
Müssen in Deutschland lebende Muslime Schweinshaxe mit Sauerkraut essen, damit sie als integrierte Bürger gelten dürfen? Andersherum: Wie viele (deutschstämmige) Eltern beleidigen Lehrer tagtäglich, wie viele (christliche) Schüler zeigen sich wirklich respektlos gegenüber Pädagogen – ohne dass dies an die große Glocke gehängt würde? Kaum jemand kommt auf die Idee, in den sich häufenden Anzeigen und Angriffen gegen Lehrkräfte ein gesamtgesellschaftliches Problem zu erkennen. Dabei ist das Phänomen viel beleidigender als ein aus religiösen Gründen verweigerter Handschlag.