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„Die blöde Ufzgi“: Schulleiter in der Schweiz wollen Hausaufgaben abschaffen

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BADEN. „Die blöde Ufzgi“, so heißt es in einem bekannten Schweizer Kindersong, „mached mi verrückt“ – übersetzt heißt das sinngemäß: Die Hausaufgaben nerven mich. Tatsächlich plädiert der Verband der Schulleiter in der deutschsprachigen Schweiz (VSLCH) jetzt für deren Abschaffung.

Hausaufgaben gehören sei je her zum pädagogischen Instrumentarium – bringen aber vergleichsweise wenig. Das Gemälde stammt von 1879 (Albert Anker, Schulmädchen bei den Hausaufgaben). Repro: Wikimedia Commons

Präsident Bernard Gretsch sieht die Chancengleichheit der Kinder gefährdet. Schüler, deren Eltern arbeiten oder aus bildungsfernen Schichten stammen, könnten sich zu Hause an niemanden wenden. „Das gefährdet die Entwicklung der Schüler und lässt die Lücke zu den Klassenbesten noch größer werden“. Eine ähnliche Diskussion wird auch schon in Deutschland geführt.

Auch VSLCH-Vizepräsidentin Lisa Lehner sieht Handlungsbedarf: „Mich rufen heute häufiger verzweifelte Mütter und Väter an, weil sie mit ihren Kindern aneinandergeraten.“  Fast immer gehe es um das gleiche Thema – die Hausaufgaben. Eltern könnten heute nicht immer Zeit aufwenden, den Stoff mit ihren Sprösslingen durchzugehen. Schüler seien teilweise schlicht überfordert. Ergebnis: häufiger Familienkrach.

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Aus diesem Grund fordert Lehner die Abschaffung der Hausaufgaben. Es gehe nicht nur um die Vermeidung von Spannungen im Elternhaus, sondern auch um Chancengleichheit. Kinder aus bildungsferneren Schichten bekämen nicht genügend Unterstützung bei den Hausaufgaben. Dasselbe gelte für Schüler mit Vollzeit arbeitenden Eltern. Unterstützung bekommt der Verband aus der Wissenschaft. „Die Schüler lernen tagsüber genug“, sagt Gabriel Romano, Dozent für Erziehungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Bern, gegenüber der „Schweiz am Sonntag“. Hausaufgaben hätten nur einen geringen Lerneffekt, wenn sie unbetreut erledigt werden müssten – schon gar, wenn es sich um Stoff handle, der aus Zeitmangel innerhalb der Unterrichtszeit nicht abgehandelt werden könne. Und das sei leider oft der Fall.

Was bewirken Hausaufgaben?

Wissenschaftliche Studien liefern tatsächlich keine eindeutigen Ergebnisse zum Thema Hausaufgaben. Der renommierte neuseeländische Bildungsforscher John Hattie etwa ermittelte in seiner Auswertung von Hunderten von Bildungsstudien, dass Hauaufgaben in den sprachlichen Fächern einen leicht positiven Effekt hätten. In Mathematik dagegen sei ein Effekt des häuslichen Lernens nicht nachweisbar. Zu viele Hausaufgaben schadeten nach Hatties Erkenntnissen den Schulleistungen eher.

Zu diesem Schluss kamen auch Forscher der Universität Oviedo. Regelmäßige Hausaufgaben sind zwar nach Meinung der spanischen Forscher durchaus förderlich für die Selbstdisziplin von Teenagern. Allerdings dürften diese einen Umfang von ein bis zwei Stunden am Tag nicht übersteigen. Ist die Belastung durch Hausaufgaben dagegen zu groß, können sich auch negative Effekte einstellen. Dann trügen Hausaufgaben dazu bei, die Lernmotivation zu untergraben. Studien, etwa eine des Max Plank-Instituts für Bildungsforschung, deuten darauf hin, dass insbesondere in den ersten Schuljahren eher auf Hausaufgaben verzichtet werden sollte.

„Vielen Lehrerinnen und Lehrern rauben die Aufgaben – ihre Bekanntgabe, vor allem aber die mühsame Kontrolle – wertvolle Unterrichtszeit. Den Schülern vergällen sie die Zeit nach Ende des Unterrichts. Und die Eltern werden durch Hausaufgaben gezwungen, schulische Vermittlungsaufgaben zu übernehmen, und lassen sich nicht selten durch die Aufgaben mehr unter Druck setzen als ihre Kinder. Kurz: Hausaufgaben stiften Unzufriedenheit und sind für alle Beteiligten ein erheblicher Stressfaktor“, so schreibt der Journalist und Buchautor Armin Himmelrath in einem Gastbeitrag für News4teachers. Sein Fazit: „Hausaufgaben – nein danke!“ (so auch der Titel seines Buches zum Thema, im hep-Verlag erschienen).

Auch von Schülerseite kommt Kritik an dem tradierten pädagogischen Instrument. Zu oft gehe es bei der Vergabe von Hausaufgaben nicht darum, im Unterricht Gelerntes zu vertiefen, sondern sich selbst Stoff anzueignen, für den wegen der „zugepflasterten Lehrpläne“ keine Zeit mehr sei, meint die Landesschülervertretung Hessen. Nach ihrer Vorstellung sollen sich Schüler auf Übungen konzentrieren, die sie wirklich benötigen, und auf andere verzichten dürfen. „Wir wollen die traditionellen Hausaufgaben durch freiwillige Übungsaufgaben ersetzen“, sagt Vorsitzender Fabian Pflume. An die Stelle der Hausaufgaben solle eine Vor- und Nachbereitung in der Schule treten, bei der auch Lehrer anwesend sind.

Diese Position vertritt jetzt auch der Schweizer Lehrerverband. Er möchte betreute Übungseinheiten am liebsten nachmittags in der Schule stattfinden lassen  – Vorsitzender Beat Zemp schränkt aber gleich ein: Angesichts der knappen Ressourcen, mit denen die Schweizer Schulen auskommen müssten, wohl ein unrealistisches Ziel. Das dürfte auch für Deutschland zutreffen. News4teachers / mit Material der dpa

Zum Beitrag: Hausaufgaben ja oder nein? – Wissenschaftler: Es kommt auf die Einbindung an

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