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In eigener Sache: Was uns von „Fake-News“ unterscheidet – und warum wir keine „Lügenpresse“ sind

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Ein Beitrag von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek

DÜSSELDORF. Verbreitet News4teachers sogenannte Fake-News? Der Fall „Weihnachtsverbot am Istanbul Lisesi“ macht deutlich, liebe Leserinnen und Leser, dass wir reden müssen. Genauer: Wir Journalisten müssen etwas erklären – nämlich die Art und Weise, wie wir arbeiten. Das ist offenbar immer weniger Menschen in Deutschland klar. Das paradoxe Ergebnis: Seriöse Medien, zu denen wir uns zählen, gelten für immer mehr Bürger als „Lügenpresse“ – andererseits halten immer mehr Menschen Geschichten aus den sozialen Medien für wahr, die erstunken und erlogen sind. Doch was sind überhaupt seriöse Medien, und woran lassen sie sich erkennen?

News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek. Foto: Tina Umlauf

Vor gut zwei Wochen stürmte ein bewaffneter 28-Jähriger eine Pizzeria in Washington  und schoss um sich. Verletzt wurde dabei gottlob niemand. Der junge Mann wollte aus dem Keller des Restaurants Kinder befreien, die dort angeblich von einem Pädophilen-Ring unter Führung von Hillary Clinton und ihrem Wahlkampfleiter gefangen gehalten würden – eine durchgeknallte Story, die allerdings durch Twitter unter dem Hashtag  #Pizzagate rasante Verbreitung fand und von Donald Trumps Leuten weiterverbreitet wurde. Michael Flynn, der derzeit unter Trump als nationaler Sicherheitsberater (!) gehandelt wird, teilte zum Beispiel einen entsprechenden Bericht von einem angeblichen Tunnel, in dem Kinder versteckt und gefoltert würden.

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Diese Geschichte zeigt eindrucksvoll, was „Fake-News“ auslösen können. Sie macht auch anschaulich, was „Fake-News“ überhaupt sind: nämlich erfundene Nachrichten, die in die Welt gesetzt und verbreitet werden, um Unsicherheit in der Bevölkerung zu schüren und dem politischen Gegner – egal wie – zu schaden. Eine digitale Form von Verleumdung also, neudeutsch: Cybermobbing.

Wir in Deutschland haben unsere besonderen Erfahrungen mit medialer Hetze. „Auspeitschung und Schändung deutscher Mädchen und Frauen durch Juden“ – so titelte der „Stürmer“, das nationalsozialistische Schmierblatt, in den Jahren vor der Machtergreifung Hitlers. Oder: „Jüdische Mädchenhändler in Nürnberg“! Oder: „Jüdischer Mordplan gegen die nichtjüdische Menschheit”! Die erfundenen Geschichten über angebliche Vergewaltigungen, Ritualmorde oder über die “Verschwörung des internationalen Finanzjudentums” verfehlten ihre Wirkung nicht, wie sich dann nach 1933 zeigen sollte. Heutzutage kursieren in Deutschland so zahlreiche abstruse Geschichten vor allem über Flüchtlinge, dass eine eigene Homepage hoaxmap.org sich damit beschäftigt, diese Märchen zu widerlegen – und bereits auf 400 Fälle kommt.

In eigener Sache: Ein paar Worte zur angeblichen „Lügenpresse“

Umso erschrockener war ich, als uns Leser nun im Zusammenhang mit der Berichterstattung zum „Weihnachtsstreit“ in Istanbul vorwarfen, „Fake-News“ zu verbreiten.

Einem schrieb ich zurück: „Wir möchten darum bitten, mit dem Begriff ‘Fake-News’ etwas vorsichtiger umzugehen. News4teachers arbeitet mit der Deutschen Presse Agentur (dpa) zusammen, einer der seriösesten journalistischen Quellen in Deutschland. Natürlich unterlaufen auch den Kollegen der dpa Fehler, die sich auch bei der sorgfältigsten Recherche nicht ausschließen lassen – Journalisten sind schließlich keine Richter (und selbst Gerichten, die sehr viel mehr Zeit zur Prüfung haben, unterlaufen Fehlurteile). Wir produzieren aber keine ‘Schwindel’-Nachrichten, also erfundene Geschichten, die aus politischem Kalkül, Menschen zu verunsichern, in die Welt gesetzt werden (übrigens in der Regel über die sozialen Medien, die Sie hier als Quellen anführen) – News4teachers ist eine seriöse Nachrichtenseite, deren Berichte allesamt mit journalistischer Sorgfalt geprüft wurden. Und wenn Fehler gemacht wurden, korrigieren wir sie umgehend.“

Das möchte ich hier am konkreten Beispiel noch etwas genauer ausführen, um deutlich zu machen, woran Leser den Unterschied zwischen seriöser Berichterstattung und erfundenen Geschichten erkennen können.

News4teachers versieht die von uns veröffentlichten Beiträge immer mit einem Quellenhinweis oder mehreren – ob im Text, wenn auf Informationsgeber verwiesen wird, oder (wie im Fall “Weihnachtsverbot”) am Fuß des Beitrags, wo das Kürzel dpa für „Deutsche Presseagentur“ steht. Und damit ist auch schon das erste Kriterium für seriösen Journalismus benannt: Er macht transparent und nachvollziehbar, wie er zu seiner Darstellung kommt.

“Gebotene Sorgfalt”

Die dpa ist die größte Nachrichtenagentur in Deutschland. Sie ist mit ihren 680 Mitarbeitern in etwa 100 Ländern der Welt vertreten. Damit sind wir beim zweiten Kriterium für seriöse Medien angelangt: Sie besitzen Redaktionen, denen qualifizierte Journalisten angehören, die namentlich bekannt sind. Es handelt sich nicht um einen einzelnen Anonymus, der irgendetwas behauptet.

Wichtiger aber noch (und damit wären wir beim dritten Kriterium): Die dpa ist  – wie News4teachers selbst auch – den publizistischen Grundsätzen des Deutschen Presserats unterworfen. Unter Ziffer zwei heißt es dort: „Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.“

Genau diese Sorgfalt haben die Kollegen der dpa im Fall “Weihnachtsverbot” erkennen lassen – Sie haben den Ursprung ihrer Story im Text kenntlich gemacht (nämlich eine ihnen vorliegende Mail der deutschen Leitung an die deutschen Lehrkräfte der Schule) und sie haben dokumentiert, dass sie sowohl bei der deutschen Schulleitung wie auch beim Bildungsministerium (ohne Erfolg) um Stellungnahmen gebeten hatten. Das heißt: Spätestens hier hätte es für die türkischen Behörden Gelegenheit gegeben, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Die Journalisten haben darüber hinaus die weitere Entwicklung der Geschichte dargestellt – samt des später erfolgten, durchaus fragwürdigen Dementis der türkischen Schulleitung, und der neuesten Wende, einer Einigung im Streit.

Wohlgemerkt: Wären Fehler in der Berichterstattung passiert, hätten wir sie eingeräumt und benannt. Auch daran lassen sich schließlich, viertes Kriterium, seriöse Medien erkennen: am Eingeständnis, dass Menschen hinter den Nachrichten stecken, und Menschen arbeiten nun mal nicht fehlerfrei. Deshalb finden Sie auch auf News4teachers immer wieder mal Korrekturen, meist auf Leserhinweise in den Foren hin. Haben Sie schon mal in den sogenannten „sozialen” Medien (besser vielleicht: „unsozialen”) gelesen, dass sich jemand dort der öffentlichen Kritik stellt und für einen Fehler entschuldigt? Eben.

So fand sich die Korrektur der wohl bekanntesten Fake-News des vergangenen Jahres natürlich nicht dort, wo sie gesponnen und verbreitet worden war – die (erfundene) Vergewaltigung einer 13-jährigen Russlanddeutschen durch eine “Gruppe südländisch aussehender Männer”. Russische Medien hatten den vermeintlichen Fall aufgeworfen und über die sozialen Kanäle verbreitet, was sogar zu Demonstrationen und diplomatischen Verwicklungen zwischen Moskau und Berlin führte. Wer die ganze – wahre! – Geschichte lesen wollte, war dann doch wieder auf die seriösen deutschen Medien angewiesen.

 

Hintergrund: Der Streit um Weihnachten und der Weg der dpa-Recherche
Der Streit um den Umgang mit dem christlichen Weihnachtsfest an der deutsch-türkischen Elite-Schule Istanbul Lisesi hat hohe Wellen geschlagen. In sozialen Medien wird der Deutschen Presse-Agentur vorgeworfen, nicht ausreichend recherchiert zu haben. Es habe sich «niemand die Mühe gemacht», bei der Schule anzurufen, behauptet zum Beispiel der CDU-Politiker Ruprecht Polenz auf seiner Facebook-Seite – ohne bei dpa nachzufragen, ob das tatsächlich so gewesen sei.

    Wir dokumentieren den Weg der Recherche:

    Dienstag, 13. Dezember: 
  • Im deutschen Generalkonsulat findet ein Weihnachtskonzert statt, an dem traditionell der Chor des Istanbul Lisesi teilnimmt. Dessen Teilnahme wird kurzfristig abgesagt. Das dpa-Büro in Istanbul erfährt davon und recherchiert weiter.

    Donnerstag, 15. Dezember:

  • dpa wird eine E-Mail der Leitung der deutschen Abteilung des Istanbul Lisesi an die deutschen Lehrer zugespielt, die besagt: «Es gilt nach Mitteilung durch die türkische Schulleitung eben, dass ab sofort nichts mehr über Weihnachtsbräuche und über das christliche Fest im Unterricht mitgeteilt, erarbeitet sowie gesungen wird.»
  • dpa spricht mit Quellen aus dem Schulumfeld, die aus Angst vor Repressalien anonym bleiben wollen und die von einem «Weihnachtsverbot» sprechen.

    Donnerstag, 15. Dezember:

  • dpa Istanbul ruft mit der Bitte um Auskunft beim Bildungsministerium in Ankara an, das um eine schriftliche Anfrage bittet. Das Ministerium ist der türkischen Schulleitung vorgesetzt. In der E-Mail fragt dpa, ob diese Anweisung von der türkischen Schulleitung oder vom Bildungsministerium ausgehe, was der Grund dafür sei und ob eine solche Anordnung nur für das Istanbul Lisesi gelte oder für alle Schulen in der Türkei.
  • dpa bittet auch beim Leiter der deutschen Abteilung des Gymnasiums um einen Termin oder ein Telefonat.

    Freitag, 16. Dezember:

  • dpa bittet das Bildungsministerium am Vormittag erneut um Auskunft und verweist darauf, dass die Meldung am Sonntag veröffentlicht werden soll. Eine Antwort bleibt auch diesmal aus.
  • Der Leiter der deutschen Abteilung der Schule antwortet zwar, verweist aber nur an das deutsche Generalkonsulat. Das Generalkonsulat äußert sich auf Anfrage öffentlich nicht zu dem Vorgang.

    Sonntag, 18. Dezember:

  • dpa sendet die Meldung zu einem Weihnachtsverbot am Istanbul Lisesi. Vom Auswärtigen Amt wird eine Mitteilung verbreitet, in der es unter anderem heißt: «Wir verstehen die überraschende Entscheidung der Leitung des Istanbul Lisesi nicht.»
  • Der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu äußert, dass es kein Weihnachtsverbot gebe, und wird von dpa mit dem Angebot kontaktiert, eine Stellungnahme zur Veröffentlichung abzugeben. Yeneroglu verweist stattdessen auf eine bevorstehende Stellungnahme der türkischen Schulleitung.
  • dpa fragt später noch einmal bei Yeneroglu nach, wann mit dieser Stellungnahme zu rechnen sei. Die Schule veröffentlicht das Dementi dann am Abend, dpa berichtet darüber.
  • Berichte über Druck auf die deutschen Lehrkräfte, zum Beispiel Adventskalender abzuhängen und Weihnachtslieder nicht mehr zu singen, bleiben unwidersprochen.

 

Erdogan drangsaliert deutsche Lehrer in der Türkei. Für deutsche Auslandsschule in Istanbul heißt das: Weihnachten ist ab sofort verboten!

 

 

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