FRANKFURT/MAIN. Mit Blick auf den heutigen 72. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Auschwitz hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Bedeutung einer lebendigen Erinnerungskultur für die Demokratie betont. „Völkisches und nationalistisches Denken werden wieder stärker, rechtspopulistische Stimmungsmache sowie rassistische Hetze und Gewalt nehmen in Deutschland und Europa zu: Auch deshalb muss die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach gehalten werden“, mahnte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Freitag in Frankfurt am Main. Unterdessen provoziert die AfD weiter: Funktionär Björn Höcke wollte an einer Gedenkveranstaltung in Buchenwald teilnehmen, von der er zuvor ausgeladen worden war. Und Fördergelder für eine Gedenkstätte sollen nach dem Willen der AfD gestrichen werden.
„Erinnern bedeutet, für Gegenwart und Zukunft zu lernen“, sagte GEW-Chefin Tepe. Sie hob die wichtige Rolle der Gedenkstätten als Orte des Demokratielernens hervor. Die Auseinandersetzung mit Krieg und Gewaltherrschaft, mit menschenverachtenden Ideologien und politischer Verfolgung im 20. Jahrhundert seien unverzichtbarer Bestandteil historisch-politischer Bildung und für ein friedliches Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft zentral. „Dafür tragen wir Pädagoginnen und Pädagogen eine besondere Verantwortung, die wir gerne und engagiert wahrnehmen. Wir müssen über neue Zugänge und Vermittlungsformen sowie Perspektivenvielfalt in der Auseinandersetzung mit Geschichte und Wirkung des Holocaust nachdenken. Wir dürfen uns jedoch nicht von der Erinnerungspolitik verabschieden“, betonte die GEW-Vorsitzende mit Blick auf die von der AfD losgetretene Debatte.
„Wir haben die Aufgabe, die Erinnerungs- und Gedenkstättenpädagogik sowie Ansätze der Menschenrechtsbildung kontinuierlich weiterzuentwickeln“, sagte Tepe. Dies gelte insbesondere, da die Distanz zu den historischen Ereignissen wächst, persönliche Begegnungen mit Zeitzeugen bald nicht mehr möglich sind und sich Gegenwarts- sowie biografische Bezüge der Menschen für das Lernen aus der Geschichte ändern. „Die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern sich, aber die moralische Verantwortung für das ‚Nie wieder!‘ ist hochaktuell und bleibt es auch für nachfolgende Generationen“, unterstrich Tepe.
Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland rief dazu auf, die Erinnerung an die Schrecken der Nazi-Herrschaft wach zu halten. “Gerade angesichts des wachsenden Rechtspopulismus und einer immer diffuseren rechtsextremistischen Szene in Deutschland sowie eines immer komplexer werdenden Antisemitismus ist das Gedenken wichtiger denn je”, erklärte der Zentralrat.
Der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Höcke, der in der vergangenen Woche das Holocaust-Mahnmal in Berlin ein “Denkmal der Schande” genannt hatte, provoziert hingegen weiter. Er wollte heute an einer Gedenkveranstaltung in Buchenwald teilnehmen, obwohl er von der Gedenkstätte zuvor ausgeladen worden war. Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora hatte damit auf Äußerungen Höckes zur Gedenkkultur reagiert. Der Landtagsabgeordente schrieb in einem Brief an Stiftungsdirektor Volkhard Knigge: “Es steht Ihnen schlicht nicht zu, zu entscheiden, wer für ein Verfassungsorgan an dieser offiziellen Gedenkveranstaltung teilnimmt und wer nicht.” Deswegen werde er selbstverständlich am Freitag seiner Trauer um die Ermordung der deutschen und europäischen Juden Ausdruck verleihen. Die Gedenkveranstaltung war für 14.30 Uhr angesetzt.
Wie die “Zeit” berichtet, habe der AfD-Politiker tatsächlich versucht, zur Gedenkstätte zu gelangen, sei aber von Mitarbeitern am Zugang gehindert worden. Eine MDR-Reporterin konnte sehen, dass Höcke Hausverbot erteilt wurde. Er sei daraufhin umgekehrt und weggefahren.
Höcke hatte eine “erinnerungspolitische Wende um 180 Grad” gefordert. Über das Holocaust-Mahnmal in Berlin sagte er: “Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.”
Die baden-württembergische AfD hat unterdessen einen ähnlichen Kurs eingeschlagen wie Höcke. Jörg Meuthen, Fraktionsvorsitzender im Stuttgarter Landtag, verteidigte einem Bericht der “FAZ” zufolge nicht nur Höckes Aussagen über das Holocaust-Mahnmal, seine Fraktion beantragte im Haushaltsausschuss nun auch, die Fördergelder für die NS-Gedenkstätte Gurs in Frankreich zu streichen. Nach Gurs hatten die Nationalsozialisten jüdische Bürger aus dem badischen Landesteil deportiert. Die Erinnerungsstätte wird jährlich mit 120.000 Euro gefördert. Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa
Der 27. Januar ist seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Er wurde von dem kürzlich verstorbenen Ex-Bundespräsidenten Roman Herzog als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ ins Leben gerufen. Der Jahrestag bezieht sich auf die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 sowie der beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Vereinten Nationen haben den 27. Januar im Jahr 2005 zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ erklärt. Seit fast 50 Jahren veranstaltet die GEW mit ihrer israelischen Partnergewerkschaft Histadrut Hamorim deutsch-israelische Seminare, um das Gedenken an den Holocaust im Bildungsbereich wach zu halten.