LEIPZIG. Die Geschichte beginnt als Alltagsrangelei unter zwei Schülern – und hat sich zu einer Story um „Polizeikontrollen, schlimme Gerüchte und Eltern in Angst“ (Leipziger Volkszeitung) entwickelt. Fakt ist: Ein Streit zwischen einem deutschen Schüler und einem jugendlichen Flüchtling an einer Leipziger Schule ist derart eskaliert, dass es zu einer Prügelei zwischen 20 Jugendlichen kam, und zwar zwischen deutschen auf der einen Seite und Asylbewerbern auf der anderen. Der Fall zeigt auf erschreckende Weise, wie aufgeheizt das politische Klima derzeit selbst an Schulen zu sein scheint. Und er macht anschaulich, wie schnell sich via Internet im Zeitalter des „Postfaktischen“ eine Geschichte von ihrem gesicherten Kern entfernt.
Der Auslöser, so berichtet die „Leipziger Volkszeitung“, war eine „zunächst eher banale Auseinandersetzung zwischen zwei Schülern“. Am Mittwoch voriger Woche waren auf dem Schulhof laut Bericht ein deutscher Schüler und ein so genannter „unbegleiteter minderjähriger Asylbewerber“ aneinandergeraten. Angebliche Ursache: ein böser Blick. Nach Angaben der Polizei schlichtete ein Lehrer den Streit. „Das war ein Gerangel, bei dem es auch eine Backpfeife gab“, sagte ein Vertreter des Kultusministeriums gegenüber dem Blatt. „Mehr war nicht. Es floss kein Blut, es gab keine Knochenbrüche.“ Also ein minderschwerer Fall. Zunächst.
Dann aber eskalierte die Situation nach Schulschluss. Im Umfeld der Schule sollen sich rund zwanzig Teenager zwischen 15 und 17 Jahren geprügelt haben – etwa zehn Deutsche und zehn junge Flüchtlinge. Laut Polizei kamen bei der Prügelei Gürtel zum Einsatz. Von anderen Schlagwerkzeugen sei nichts bekannt. „Nach unseren Erkenntnissen gab es einen Leichtverletzten“, erklärte ein Polizeisprecher der Zeitung. Einen Tag später tauchte in der Nähe der Schule erneut eine Gruppe ausländischer Jugendlicher auf. Die Polizei überprüfte die Personalien. „Es wurden Platzverweise ausgesprochen“, erklärte der Polizeisprecher, „Waffen wurden aber auch da nicht gefunden.“
Brodelnde Gerüchteküche
Die Gerüchteküche allerdings brodelte – und spuckte anderes aus. Das Märchen, die Beamten hätten eine 50-köpfige Horde Männer gestoppt, die mit Waffen und Eisenstangen, sogar einer Pistole unterwegs zur Schule waren, kursierte. Dann wurde über soziale Netzwerke die falsche Nachricht verbreitet, dass bewaffnete Asylbewerber am Montagmorgen die Schule stürmen wollten. Der Unterricht, hieß es, falle deshalb aus. Eine sich fast selbst erfüllende Prophezeihung: Wegen der „Fake News“ marschierten tatsächlich Einsatzkräfte der Polizei am Montagmorgen in Mannschaftsstärke vor der Schule auf. „Aufgrund der Nachricht in den sozialen Netzwerken hat ab 6.40 Uhr ein Einsatz an der Schule stattgefunden“, erläuterte der Polizeisprecher. „Es sind Einlasskontrollen durchgeführt worden. Außerdem hat der Revierführer mit der Schulleitung gesprochen.“ Gefunden wurde wieder: nichts. Immerhin: Der Unterricht konnte stattfinden.
Das Klima ist allerdings extrem vergiftet, wozu auch verzerrende Medienberichte beitragen. „Flüchtlingskinder prügeln auf Schüler ein“, so titelt beispielsweise die österreichische (!) Nachrichtenseite oe24 in einer eigenwilllig einseitigen Darstellung. Und berichtet: „Dass es dabei nicht gerade zimperlich zugeht, darüber geben die dabei eingesetzten Waffen Auskunft. Offenbar sind mittlerweile sämtliche Hemmungen gefallen. Die Bild berichtet von Eisenstangen, Schlagringen und sogar Schusswaffen, so zumindest die Gerüchte.“ Dass die Gerüchte falsch sind, erfährt der Leser nicht.
Weiter heißt es: Die betroffene Schule (sie wird namentlich genannt) „gilt derzeit als Horror-Schule. Die Flüchtlingskinder gelten als unbegleitete minderjährige Asylsuchende und werden dort in Deutsch als Zweitsprache unterrichtet. Die Situation ist alarmierend. Die Eltern sind sogar so sehr um das Wohl ihr Sprösslinge besorgt, dass sie nicht einmal in den Unterricht schicken.“
Der Schulleiter steht fassungslos der Situation gegenüber. Er beteuert gegenüber der Leipziger Volkszeitung: „Wir haben es hier nicht mit einem Hotspot der Gewalt zu tun. Die Schule hat kein Sicherheitsproblem.“ Nur: Es hört ihm offenbar keiner zu. Agentur für Bildungsjournalismus
