Mathelehrer schlagen Alarm: Mathematikausbildung in der Krise – schuld sei die Kompetenzorientierung – Brandbrief an die KMK
Redaktion
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FRANKFURT. Der Mathematik-Unterricht vermittele immer weniger, meinen viele (Hochschul-)lehrer. Mehr als 130 Professoren und Lehrkräfte haben jetzt einen Brandbrief u.a. an die Kultusministerkonferenz (KMK) unterzeichnet, indem die mangelnde Qualität des Mathematik-Unterrichts kritisiert wird: Die Schüler können immer weniger, sagen die Verfasser.
Auslöser für den Brief der “Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V.”, die an der Universität Frankfurt angesiedelt ist, war die aktuelle Situation im Vorfeld des Hamburger Mathematik-Abiturs 2017 sowie der Streit um das Niedersachsen- Abitur in Mathematik im vergangenen Jahr.
Das seien alarmierende “Symptome für die Krise der Mathematikausbildung” an den Schulen. Grund sei die Kompetenzorientierung. “Im Rahmen der Kompetenzorientierung, die der ganzen Republik in Form von Bildungsstandards vorgeschrieben wird, wurde der Mathematik- Schulstoff so weit ausgedünnt, dass das mathematische Vorwissen von vielen Studienanfängern nicht mehr für ein WiMINT- Studium ausreicht… Den Studienanfängern fehlen Mathematikkenntnisse aus dem Mittelstufenstoff, sogar schon Bruchrechnung(!), Potenz- und Wurzelrechnung, binomische Formeln, Logarithmen, Termumformungen, Elementargeometrie und Trigonometrie.
Diese Defizite sind schon längst kaum mehr aufholbar – weder in Vorkursen noch in Brückenkursen… Im Rahmen der Kompetenzorientierung wurden bewährte mathematische Ausdrucksweisen und abstrakte Aufgaben durch sperrige Textgebilde und konstruierte Modellierungsaufgaben ersetzt. Der Mathematikstoff wird nur noch oberflächlich vermittelt, eine tiefere inhaltliche Beschäftigung findet nicht mehr statt.”
Mathematik – wie schwer darf’s denn im Abitur sein? Foto: marco51186 / Flickr (CC BY 2.0)
Der Brief ist adressiert an die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Susanne Eisenmann sowie an die Bildungsminister von Niedersachsen, Hamburg und Hessen, an Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sowie an mehrere Bildungsforscher, darunter Petra Stanat, Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Das an der Humboldt-Universität angesiedelte IQB entwickelt die Bildungsstandards und führt die großen Ländervergleiche durch, mit denen ihre Einhaltung überprüft wird.
IQB-Direktorin Petra Stanat erklärte auf Anfrage des Berliner “Tagesspiegels”, dass vielen Studenten Basiskompetenzen fehlen würde, hänge nicht mit den Bildungsstandards zusammen. Das widerspreche den empirischen Befunden. Stanat beruft sich auf die Pisa-Studie. Im Jahr 2000, als es Bildungsstandards noch gar nicht gegeben hätte, waren die deutschen Schüler in Mathematik im internationalen Vergleich schwach. Erst nach ihrer Einführung habe es in Mathematik allmählich Leistungssteigerungen gegeben. Auch KMK-Präsidentin Susanne Eisenmann (CDU) sagte gegenüber Medien, sie sehe den Brief eher als eine Kritik an der eigenen Zunft der Mathematiklehrer. Dennoch werde sich die KMK Zeit nehmen, die Inhalte zu prüfen.
Ene aktuelle Studie der Universität Mainz bestätigt die Pisa-Daten, nämlich dass Studenten in Mathematik, zumindest unter den Wirtschaftswissenschaftlern besser als ihr Ruf seien. Die deutschen Studienanfänger schnitten – laut einem Bericht von “spiegel online” – in einem Vergleich deutlich besser ab als ihre Kollegen in den USA und in Japan. Die Forscher berichten allerdings: Die Amerikaner und Japaner holen über die Semester auf. Das legt den Schluss nahe, dass die deutschen Hochschulen also wenig aus dem Potenzial machen, das die Studieneinsteiger mitbringen. nin