DUISBURG. G8 oder G9? Das ist eine Frage, um die es noch immer erbitterte Grabenkämpfe gibt, quer durch die gesamte Bildungslandschaft. Doch wie machen sich eigentlich die G8-Absolventen im Vergleich zu den G9ern auf dem Weg zum Berufsleben. In einem Projekt hat das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen Absolventen des 2013er-Doppeljahrgangs in NRW befragt. In den Übergangsverläufen ließen sich kaum Unterschiede feststellen. Lässt sich natürlich noch nicht sagen, ob dies auch für das spätere Leben gilt und ist die Umfrage nicht repräsentativ, gibt sie doch Hinweise darauf, dass die Diskussion möglicherweise am eigentlichen Thema vorbeigeht.
Wo sind sie geblieben, die Abiturienten von 2013? Damals haben die letzten Absolventen des neunjährigen Gymnasiums zeitgleich mit den ersten „G8“-Schülern das Abitur gemacht. Vor- und Nachteile einer kürzeren oder längeren Schulzeit werden immer noch heftig diskutiert. Was die Betroffenen selbst davon halten und was aus ihnen geworden ist, hat das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) in einem Lehrforschungsprojekt untersucht.
Ein Ergebnis der qualitativen Befragung von 68 Absolventen drei Jahre nach dem Abschluss: Ob junge Menschen ihr Reifezeugnis nach acht- oder neun Jahren erworben haben wirkt sich nicht auf ihre Chancen aus. Es lassen sich auch keine Unterschiede bei den Übergangsverläufen erkennen.
Über die Hälfte der Befragten (37) hat unmittelbar nach dem Abitur ein Studium aufgenommen und führt seitdem den begonnenen Studiengang fort. Weitere neun Befragte haben zwar direkt nach dem Abitur angefangen zu studieren, aber seitdem entweder das Studienfach gewechselt (6) oder stattdessen mit einer Ausbildung begonnen (3); ein Wechsel von einer Ausbildung in ein Studium ist unter den Befragten nicht vorgekommen. Nur zwei von ihnen sind direkt nach dem Abitur in eine duale Ausbildung gewechselt. Ein weiterer hat sich nach dem Abitur zum Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet.
19 Befragte haben erst später mit einem Studium oder einer Ausbildung begonnen. Die befragten G8er und G9er haben sich etwa gleich häufig für eine Zwischenstation entschieden. Direkt nach dem Abitur findet sich in dieser Gruppe ein breites Spektrum an Aktivitäten: Freiwilliges Soziales Jahr, Bundesfreiwilligendienst, Bundeswehr, Vorpraktika oder Betriebspraktika, Auslandsaufenthalte, Jobben oder Warten auf einen Studienplatz.
Die Gründe für die Wahl des Bildungswegs sind bei beiden Gruppen individuell sehr unterschiedlich ohne signifikante Unterschiede zwischen G8er und G9ern. Bei den meisten Gesprächspartnern wurden die getroffenen Entscheidungen durch mehrere Faktoren beeinflusst. Der Wunsch zu studieren steht dabei häufig im Vordergrund. Nur ein Teil der Studenten sprach in diesem Zusammenhang von einem konkreten beruflichen Ziel. Man habe einen bestimmten Studiengang gewählt, weil man sich etwa für Mathematik, Fremdsprachen, Naturwissenschaften, Geschichte, Wirtschaft oder Sozialwissenschaften interessierte.
Die Befürchtungen, dass der Doppeljahrgang wegen der hohen Absolventenzahlen schlechte bis sehr schlechte Perspektiven habe, bestätigten sich in der Befragung 2016 nicht. Die kürzere Schulzeit hat nach Einschätzung der Mehrheit keine besonderen Nachteile gebracht; die meisten litten weder unter höherem Leistungsdruck, noch fühlten sie sich überfordert. Kritisiert werden – vor allem von den G9-Prüflingen – fehlende Freizeit und zu wenig Zeit zum Lernen im G8-Bildungsgang. „Wer G8 durchlaufen hat, betrachtet seinen Bildungsgang selbst wesentlich weniger problematisch“, stellten die IAQ-Forscherinnen Brigitte Micheel und Sybille Stöbe-Blossey fest.
Unabhängig von G8 oder G9 ist die Entscheidung für den weiteren Bildungsweg sehr komplex und stellt an junge Erwachsene hohe Anforderungen, wie die Befragung zeigt. Die Eltern spielen im Orientierungsprozess eine große Rolle. Die grundsätzliche Entscheidung „Studium ja oder nein“ ist dabei nur selten eine Frage des Geldes. Aber die hohen Wohnkosten in teuren Uni-Städten und Studiengebühren im Ausland beeinflussen durchaus, wo und was man studiert, und beschränken die Wahlfreiheit.
Die Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe ist nach Einschätzung der IAQ-Forscherinnen ausbaufähig. Die Mehrheit der ehemaligen Schüler ist damit eher unzufrieden. Zehn Befragte geben an, dass es an ihrer Schule keine derartigen Angebote gegeben habe. Bei anderen bleibt offen, ob es tatsächlich keine Angebote gab oder ob diese nicht in Erinnerung geblieben sind.
Bei anderen Befragten zeigte sich allerdings auch, dass die schulische Berufsorientierung wichtig für ihre Entscheidung war. Die Befragung im Rahmen des Projekts bestätigte frühere Forschungsergebnisse denen zufolge weibliche Befragte die schulischen Orientierungsangebote etwa doppelt so häufig nutzten, wie ihre männlichen Mitschüler.
Die Angebote von Schulen, Berufsberatung und Hochschulen müssten weiterentwickelt werden und den individuell sehr unterschiedlichen Bedarf berücksichtigen. Wer etwa bereits eine mehr oder weniger klare Vorstellung über den künftigen Bildungs- und Berufsweg hat, braucht andere und vor allem fachspezifischer ausgerichtete Angebote als Jugendliche, die eine erste Orientierung suchen. Das Fazit der IAQ-Forscherinnen: „Es ist dringender, sich um die Anschlussperspektiven und um geeignete Konzepte zu kümmern, wie der Übergang von der Schule begleitet werden kann, als über G8 oder G9 zu debattieren!“ (zab, UDE)