Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber ANDREJ PRIBOSCHEK.
Wer sich in den vergangenen Wochen darüber beschwert hat, der Wahlkampf sei langweilig, darf sich nun freuen: Das Ergebnis der Bundestagswahl bringt dramatische Verschiebungen in der deutschen Politik. Merkel bleibt zwar Kanzlerin. Der kleinere Teil der großen Koalition – die SPD – aber erklärt sich selbst für abgewählt. Die einst stolze Sozialdemokratie ist marginalisiert. Das verstärkt den Druck auf FDP und Grüne, sich mit der Union in einer Jamaika-Koalition zusammenzufinden. Zum Selbstläufer werden die Verhandlungen deshalb aber nicht – es gehört schon ein gehöriges Maß an Fantasie dazu, sich die Seehofer-CSU und die Grünen-Doppelspitze an einem Kabinettstisch vorzustellen. Die größte Zäsur stellt aber der Einmarsch der Rechtspopulisten ins Parlament dar. Der Berliner „Tagesspiegel“ hat sich die Mühe gemacht, eindeutig rechtsextreme und fremdenfeindliche Äußerungen der AfD-Kandidaten zusammenzustellen – wer das liest, bekommt eine Vorstellung davon, was Deutschland in den nächsten Jahren zu erwarten hat.
Umfragen zur AfD – nicht nur unter AfD-Wählern – rücken ein Thema in den Fokus, das tatsächlich nur von den Rechten bedient wird und im Wahlkampf der etablierten Parteien praktisch keine Rolle spielte: die Integration. Nach Umfragen der ARD meinen jeweils rund 40 Prozent der Bundesbürger (also weit mehr, als die AfD tatsächlich gewählt haben), dass sie es begrüßen, wenn die AfD mit dafür sorge, die Einwanderung zu begrenzen und den Einfluss „des Islam“ zurückzudrängen. Hier offenbart sich, mehr noch als im Unmut über die sich langsam aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindende Flüchtlingskrise, eine zunehmende Verunsicherung vieler Menschen gegenüber einer Globalisierung, die Grenzen überwindet und nationale Identitäten zurückzudrängen scheint. Gerade in Ostdeutschland, wo die Erfahrungen mit Einwanderung in der Regel eher theoretischer Natur sind, sind die Vorbehalte besonders groß. Die „Internationale“, so oft sie in der DDR besungen wurde, hat dort für viele Menschen offenbar wenig Zugkraft.
Warum eigentlich nicht? Das ist schon ein erstaunlicher Befund – schließlich ist Deutschland beim Export Weltspitze, heißt: Deutschland verdankt seinen Wohlstand zu einem guten Teil dem Handel mit anderen Ländern. Das ist mit Angst vor Fremdem nicht zu schaffen. Die wirtschaftliche Basis dieses Landes bildet die Grundlage für sozialstaatliche Umverteilung und für Staatsausgaben – also auch für die Einkommen der öffentlich Bediensteten. Wer das erhalten will, darf nicht zulassen, dass dieses Land sich ängstlich einmauert – Offenheit und Neugier sind Voraussetzungen, um in dieser Welt bestehen zu können. Das gilt für die Gesellschaft ebenso wie für den Einzelnen.
Womit wir bei der Erziehung und beim Thema Schule wären. Erstmals, auch in dieser Frage sorgte der (meiner Meinung nach tatsächlich keineswegs langweilige) Wahlkampf für eine Premiere, spielte die Schulpolitik, und damit eine Bundesländerdomäne, eine größere Rolle auf der Berliner Bühne. Der heute so krachend gescheiterte SPD-Herausforderer Martin Schulz trieb die Kanzlerin zu – für ihre Verhältnisse – klaren Aussagen zum Thema. Im großen Sommerinterview mit dem ZDF sprach Merkel fast vier Minuten lang (von insgesamt 21) über Schulpolitik – über ein Thema also, das sie seit Jahren möglichst weiträumig umschiffte, um nicht den Länderfürsten ins Gehege zu kommen.
Der Digitalpakt muss jetzt kommen
Nun wartete sie sogar mit einer echten Nachricht auf: Sie wies Befürchtungen zurück, die Bundesregierung habe sich von dem Digitalpakt für Schulen verabschiedet. „Wir werden den Digitalpakt mit den Ländern schließen“, erklärte Merkel. Warum die in Aussicht gestellten fünf Milliarden Euro für die IT-Ausstattung der Schulen nicht schon geflossen sind? Die schwarz-rote Bundesregierung habe angesichts des Endes der Legislaturperiode keine Zusagen mehr machen wollen, erklärte Merkel – sie wolle das Thema aber in den künftigen Koalitionsverhandlungen auf die Tagesordnung setzen (worauf man sie nun festnageln kann). Die Kanzlerin betonte darüber hinaus, der Bund habe auch schon milliardenschwere Zusagen für die Renovierung von Schulen in finanzschwachen Kommunen und die digitale Ausstattung der Schulen gemacht. Überhaupt: Der Etat sei in ihrer Amtszeit „mehr als verdoppelt“ worden, der Bund habe so viel Geld für Bildung und Forschung ausgegeben wie noch nie.
Soweit, so solide. Allerdings auch nicht gerade ein großer Wurf für die Bildung. Eine Zusage von 3,5 Milliarden Euro für Schulgebäude ist bei einem Sanierungsstau von geschätzten 34 Milliarden Euro bundesweit nicht wirklich paradiesverheißend. Und Antworten auf die großen Probleme in den Schulen – Inklusion, Flüchtlingskinder, Lehrermangel – lieferte Merkel im Wahlkampf auch nicht. Aber immerhin: Sie hat eine gemeinsame Fortbildungsinitiative von Bund und Ländern für Lehrer in Sachen Lehren mit IT angekündigt. Der Geist ist damit aus der Flasche entwichen. Wer sich für digitale Bildung einsetzt (Merkel: „Jetzt geht es darum, dass die Kinder auch beizeiten lernen, wie sie in dieser digitalen Welt zurechtkommen“), der wird sich künftig in Fragen der Schulpolitik nicht mehr hinter der Länderhoheit verstecken können; klare Haltung ist gefragt.
Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, sorgen Sie in den nächsten vier Jahren bitte mit dafür, dass die Schulen in Deutschland (wieder) Orte sind, in denen Schüler stark und selbstbewusst gemacht werden können – die so vernünftig mit Personal und Sachmitteln ausgestattet sind, dass dort Zeit und Raum für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen bleibt. Sorgen Sie mit dafür, dass die Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland bei ihrer harten wie wichtigen Arbeit so unterstützt werden, dass sie bei den jungen Menschen dort (wieder) die Neugier auf Wissen und die Welt wecken können. Schulen sind die erste Anlaufstelle für eine gelingende Integration in die Gesellschaft, die nicht nur zugewanderte Kinder nötig haben. Bei der Bildung entscheidet sich, ob Deutschland ein weltoffenes und mutiges Land bleibt – oder ob es sich einmauert, menschlich wie politisch. Agentur für Bildungsjournalismus
Nachtrag: Merkel sprach gerade in der “Elefantenrunde” der ARD davon, dass sie ein Mandat dafür bekommen habe, sich um die Zukunftsthemen für Deutschland zu kümmern – dabei betonte die Kanzlerin: die Bildungspolitik.