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Liegen alle falsch, die Verantwortung für die Schulpolitik tragen? Die AfD behauptet, Inklusion sei gar nicht verpflichtend

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BERLIN. Für die AfD ist der vom Menschen verursachte Klimawandel kein Problem – es gibt ihn aus Sicht der Partei gar nicht. Jetzt hat die Thüringer Landtagsfraktion um ihren Vorsitzenden Björn Höcke ein bildungspolitisches Papier vorgelegt, das beim Thema Inklusion ebenfalls bemerkenswert frei mit Fakten umgeht: Danach verlangt die für Deutschland rechtlich bindende UN-Behindertenrechtskonvention gar keinen gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern. Das ist aus Sicht aller maßgeblichen Experten falsch.

Gibt gerne den Einpeitscher: AfD-Funktionär Björn Höcke. Foto: Metropolico.org / flickr (CC BY-SA 2.0)

Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, provoziert gerne. Im Januar hatte der für sein Mandat freigestellte Lehrer für Geschichte und Sport den Schulen in Deutschland vorgeworfen, mit ihrem Unterricht zur Nazi-Zeit die deutsche Geschichte “mies und lächerlich“ zu machen (in diesem Zusammenhang nannte er das Holocaust-Mahnmal in Berlin ein „Denkmal der Schande“).  Jetzt wollen er und seine Fraktionskollegen „Die Probleme des Bildungssystems mutig lösen“ – so lautet jedenfalls der Titel eines Positionspapiers, das die AfD offenbar an alle Schulen des Landes verschickt hat, ungeachtet des Werbeverbots für Parteien an Schulen.

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Höckes Gedanken zum Geschichtsunterricht („Das große Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird“) tauchen darin nicht auf. Wohl aber eine Reihe von bildungspolitischen Themen, bei denen die AfD in bürgerlichen Kreisen glaubt, punkten zu können. Vorneweg: das Thema Inklusion. Beim gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern, dessen Umsetzung in den Schulen vor allem aufgrund von Personalmangel bundesweit große Probleme verursacht, argumentieren Höcke und Co. ähnlich wie beim menschengemachten Klimawandel, dessen Existenz sie schlichtweg leugnen: Sie bestreiten einfach, dass die UN-Behindertenrechtskonvention – die Deutschland 2009 unterzeichnet und damit zum Bundesgesetz gemacht hat – einen Anspruch von Betroffenen auf schulische Inklusion mit sich bringt.

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„Es ist deutlich zu erkennen, dass die Konvention Staaten weder zur inklusiven Beschulung, also zur gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nicht behinderten Kindern verpflichtet, noch dazu, Förderschulen abzuschaffen“, so behauptet die AfD in ihrem Positionspapier.

“Prozess wird fortgesetzt”

Liegen also alle falsch, die in Deutschland Verantwortung in der Bildung tragen? Obwohl es unterschiedliche Vorstellungen über die Geschwindigkeit der Einführung gibt, rüttelt keine Landesregierung am Prinzip der Inklusion. Auch die neue NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) nicht, die massiv Kritik an der Umsetzungspraxis der abgewählten rot-grünen Landesregierung geübt hatte. „Der Inklusionsprozess wird weiterverfolgt. Wir wollen aber wegen der fehlenden Qualität und der begrenzten personellen Ressourcen das Tempo herausnehmen“, erklärte Gebauer noch am vergangenen Wochenende.

Aus gutem Grund. Denn das Projekt lässt sich bremsen, nicht aber stoppen. „Die Behindertenrechtskonvention ist für alle Träger öffentlicher Gewalt und damit für den Bund, die Länder und die Kommunen völkerrechtlich verbindlich“, so heißt es in einem Papier der Kultusministerkonferenz (KMK) von 2010. Und weiter: „Zentrales Anliegen der Behindertenrechtskonvention in der Bildung ist die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen mit  Behinderungen in das allgemeine Bildungssystem und damit auch das gemeinsame zielgleiche oder zieldifferente Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen in der allgemeinen Schule.“

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Bezug genommen wird dabei auf den Artikel 24 der Behindertenrechtskonvention, in dem es wörtlich heißt: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen (…)“. Was ein „integratives Bildungssystem“ bedeutet, hat das Institut für Menschenrechte (eine unabhängige Stelle, die im Auftrag des Bundestages den Inklusionsprozess begutachtet und darüber den Vereinten Nationen berichtet), in einem Gutachten deutlich gemacht: „Menschen mit Behinderungen haben das Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu einer Regelschule unabhängig von der Ausbildungsstufe.“ Damit dieses Recht auch in Anspruch genommen werden kann, müsse der Staat „angemessene Vorkehrungen“ treffen.

Heißt: „Zur notwendigen und geeigneten Anpassung der Lernumwelt (Regelschule) an die individuellen Bedarfe der Person mit Behinderungen können im Einzelfall Maßnahmen notwendig sein, etwa die behördlich veranlasste Diagnostik auf Inklusion hin auszurichten, den so genannten allgemeinen Unterricht auf zieldifferenten Unterricht umzustellen, die notwendige sonderpädagogische Unterstützung im spezifischen Regelschulzusammenhang zu organisieren, erkennbare physische und andere Barrieren zu beseitigen, Nachteilsausgleiche zu gewähren, die erforderliche Aufklärung im Schulumfeld zu betreiben, etc..“ Die Völkerrechtler betonen, dass solche Vorkehrungen verpflichtend sind – und nicht nach Lust und Laune verweigert werden können. „Denn Inklusion verlangt die Anpassung der Umwelt an die individuellen Bedürfnisse des Menschen mit Behinderung. Gemeint ist nicht etwa umgekehrt ein Anpassungszwang der betreffenden Person oder gar ihr Ausschluss aus dem allgemeinen Bildungssystem.”

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Das freilich liest sich bei der AfD, die von einem „Ideologieprojekt“ schreibt, ganz anders. Sie will Inklusion überhaupt nur dann stattfinden lassen, wenn „ein Schüler das Bildungsziel der betreffenden Schulform – gegebenenfalls mit Hilfe eines Nachteilsausgleiches, also durch besondere Förderung – erreichen kann, wenn die räumlichen und fachlichen Voraussetzungen gegeben sind und wenn der Unterricht für Kinder ohne eine Behinderung nicht beeinträchtigt wird.“ Und wer soll das alles feststellen? Die Schüler und deren Eltern – meint die AfD. Sie will allen Ernstes darüber abstimmen lassen, ob ein behindertes Kind an der Schule aufgenommen werden darf.  „Alle Schüler an der Schule, sowohl jene mit als auch ohne eine Beeinträchtigung, müssen wie ihre Eltern über die Vor- und Nachteile dieser Unterrichtsform informiert sein und diese ausdrücklich wünschen“, so heißt es in dem Positionspapier.

Damit wird die Inklusion von einem Menschenrecht zu einer Gnade, die nach Gutsherrenart gewährt werden kann (oder eben nicht). Das macht aus Sicht der AfD aber auch nichts. Sie meint ohnehin in ihrem Werbeblatt: „Der Gedanke der Inklusion wird vollkommen überhöht.“ News4teachers

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