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Nach der Wahl: Meidinger fordert, Schüler besser gegen Populismus zu wappnen – Geschichtslehrer warnen davor, ihr Fach an den Rand zu drängen

MÜNCHEN/HANNOVER. Angesichts des starken Abschneidens der AfD bei der Bundestagswahl hat sich Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands (und Präsident des Deutschen Lehrerverbands), dafür ausgesprochen, Schülern mehr Kenntnisse über Deutschland zu nahezubringen. „Schule muss vermitteln, dass einfache Botschaften nicht tragen. Raus aus dem Euro, Grenzen dicht – solche Parolen zum Beispiel. Wir müssen Jugendliche sensibilisieren, damit sie nicht jedem Gerücht, jeden Fake News auf den Leim gehen“, sagt er in einem Interview mit dem „Merkur“.  Der Niedersächsische Geschichtslehrerverband hat dazu heute ein passendes Positionspapier herausgegeben. Kernforderung: Mehr Geschichtsunterricht!

„Schule muss vermitteln, dass einfache Botschaften nicht tragen”, sagt Philologen-Chef Meidinger. Foto: Oxfordian Kissuth / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

„Sollen die Deutschen die europäische Integration fördern? Warum sind viele Briten Euroskeptiker? Sollen Flüchtlinge aufgenommen oder abgeschoben werden? Wodurch unterscheiden sich die politischen Parteien in ihren Grundüberzeugungen? Was verbindet und unterscheidet Rechts- und Linksextremismus? Wie funktioniert Populismus und wie wirkt er sich praktisch aus?“ Solche Fragen sollten den Schülern nahegebracht werden, um sie zu mündigen Staatsbürgern und „aktiven Teilnehmern und Teilhabern der Zivilgesellschaft“ auszubilden, so heißt es in dem Papier.

„Antworten liefert das Fach Geschichte – keine tagespolitischen zwar, aber es stellt wesentliche Entscheidungsgrundlagen bereit, auf denen sich jede und jeder ein fundiertes eigenes Urteil bilden kann. Geschichtsunterricht betreibt ‚Sinnbildung über Zeiterfahrung‘, das heißt: Er stellt die Wissensgrundlagen, aber auch die methodischen Fähigkeiten bereit, um sich in der Gegenwart über deren Vorgeschichte zu orientieren. Er ermuntert zum kritischen Hinterfragen fertiger Deutungen und zum Zweifel; er vermittelt aber auch Ansatzpunkte zur eigenen, positiven Identitätskonstruktion.“

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Doch die umfassende historische Bildung ist nach Ansicht des Geschichtslehrerverbands bedroht. Die „Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: Geschichtsunterricht wird in der Öffentlichkeit immer dann thematisiert, wenn es politische Anlässe gibt. Dann werden Wissensdefizite beklagt und die (schnell abklingende) Empörung ist groß: Unsere Schülerinnen und Schüler wüssten zu wenig über die Epoche des Nationalsozialismus; sie seien mit der Geschichte der DDR nicht hinreichend vertraut; sie sollten mehr regionalhistorische Inhalte behandeln, usw. Ferner fordern viele gesellschaftliche Gruppen die stärkere Berücksichtigung ihrer Geschichte bzw. ihrer Anliegen im Geschichtsunterricht ein.“ Das sei zwar berechtigt, aber: Appelle zur Stärkung der historischen Bildung fänden sich vorzugsweise in Sonntagsreden. „Im Alltag dominieren dann hingegen schnell wieder Forderungen und Erwartungen von Interessengruppen, die sich möglichst passgenau für die Berufswelt vorbereitete Absolventinnen und Absolventen wünschen.“

Zunehmend am Rand

Das bedeutet für die Schulen: Geschichtsunterricht wird zunehmend an den Rand gedrängt. Beispiel Niedersachsen: „Die dreijährige Ausdünnung in der aktuellen Stundentafel I an Gymnasien führt praktisch zu Geschichtsunterricht in zwei Blöcken: Einem Block in den unteren Jahrgängen (5 und 6) sowie ab Klasse 10. Eine flankierende Begleitung der intellektuellen Reifung in den Jahren der Hochpubertät kann dagegen nur lückenhaft stattfinden. Noch schlechter steht es um das Zeitfenster für die Behandlung historischer Themen an Integrierten Gesamtschulen sowie an Haupt-, Real- und Oberschulen.“  Dazu komme, dass „die Lehrpläne des Geschichtsunterrichts zunehmend von außerfachlichen Erwartungen in Dienst genommen werden. Zu nennen sind hier vor allem die Medienbildung und die Berufsorientierung.“ Das alles mindere die Chancen des Faches, zur Entwicklung eines vertieften Geschichtsbewusstseins beizutragen.

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Die Geschichtslehrer fordern hier ein Umlenken: „Geschichtsunterricht muss im Sekundarbereich I kontinuierlich erteilt werden“, so fordern sie, und: „Geschichte muss als Fachunterricht im Sekundarbereich I in allen Schulformen erteilt werden.“ Es sei nicht einzusehen, „dass nur Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums fundierten, fachlich klar definierten Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe I erhalten. Dies mindert nicht nur die Chancengleichheit der Schülerinnen und Schüler anderer Schulformen beim Übergang in die gymnasiale Oberstufe. Die Schlechterstellung der nichtgymnasialen Schulformen in dieser Hinsicht widerspricht auch der parteiübergreifend anerkannten Bedeutung und Wichtigkeit historischer Bildung.“

Das sieht Lehrerverbands-Präsident Meidinger wohl ebenso. So erklärt er gegenüber dem Merkur: „Schule sollte Schüler anleiten, den politischen Rattenfängern zu widerstehen. Ich sage: Vorsicht gegenüber allen Parteien, die Hass predigen.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

 

Erfahrungen als Schulleiter

Heinz-Peter Meidinger ist Schulleiter eines Gymnasiums in Bayern. Und als solcher hat er besondere Erfahrungen mit der AfD gemacht, wie er gegenüber dem „Merkur“ berichtet. „Wir hatten an der Schule zwei unangenehme Vorfälle. Die Kreisvorsitzende der AfD war daran beteiligt, als das Gerücht gestreut wurde, an unserem Gymnasium würden Schüler gezwungen, an Aktionen zugunsten von Flüchtlingskindern mitzuwirken. Es gäbe da Strafarbeiten, hieß es. Auch Dienstaufsichtsbeschwerden gegen meine Lehrkräfte wurden gestellt“, so berichtet er. „Zweitens hat die AfD über Facebook verbreitet, sie sei als einzige Partei zu einer Veranstaltung an unserer Schule mit Bundestagspräsident Lammert nicht eingeladen worden. Dabei hatten wir keine einzige Partei eingeladen, sondern nur die örtlichen Abgeordneten.“  Aber, so Meidinger,  das zeige die Masche der AfD: „Dass sie die Mär in die Welt setzt, sie würde ausgegrenzt, benachteiligt, sogar diskriminiert.“

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