GÜTERSLOH. Schulleiter in Deutschland halten den digitalen Wandel für unaufhaltsam: Rund 90 Prozent erwarten, dass Digitalisierung fester Bestandteil der Lehrerausbildung wird, sich der IT-Support professionalisiert und die Lehrer mehr pädagogische Unterstützung im Umgang mit neuen Lernmaterialien erhalten. Etwa 70 Prozent der Schulleiter und Lehrer sind davon überzeugt, dass digitale Medien die Attraktivität ihrer Schule steigern werden. Beim pädagogischen Nutzen ist die Skepsis aber noch groß: Nur jeder fünfte Lehrer (23 Prozent) glaubt, dass digitale Medien dazu beitragen, die Lernergebnisse seiner Schüler zu verbessern. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie, die die Bertelsmann Stiftung heute vorgestellt hat.
Ganz anders als die Lehrer bewerten Schüler ihren digitalen Lernerfolg: 80 Prozent bestätigen, dass sie durch Lernvideos, Internetrecherche oder moderne Präsentationsprogramme aktiver und aufmerksamer seien und wünschen sich einen vielseitigeren Einsatz digitaler Medien.
Für besseres digitales Lernen in der Schule fehlt es laut Studie an Konzepten, Weiterbildung und der nötigen Technik – nicht nur bei der Stärke der drahtlosen Internetverbindung (WLAN) in der Schule. Nur jeder dritte Lehrer ist mit der Bandbreite des Internet-Zugangs zufrieden. 20 Prozent geben an, kein WLAN an der Schule zu haben.
Nur zehn Prozent der Lehrer nutzen Lern-Apps
So bauen die meisten Lehrer selbst Medien wie YouTube, Wikis und Power Point nur gelegentlich in ihren Unterricht ein. Noch seltener finden neuere Anwendungen wie Lern-Apps, Lernspiele oder Simulationen den Weg in die Schulpraxis: Nicht einmal zehn Prozent der Lehrer setzen digitale Medien ein, die kreatives, individuelles oder interaktives Lernen fördern sollen. Und trotz häufig noch schlechter technischer Ausstattung verbieten 62 Prozent der Schulen, private Endgeräte der Schüler im Unterricht zu verwenden. «Schule nutzt das pädagogische Potenzial des digitalen Wandels noch nicht», sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. «Digitale Medien können dabei helfen, pädagogische Herausforderungen wie Inklusion, Ganztag oder die Förderung lernschwacher Schüler zu bewältigen.»
Bildungsbarometer: Digitale Revolution an Schulen würde auf fruchtbaren Boden fallen
Scharfe Kritik an der Studie äußert der Hochschulprofessor und Buchautor Gerald Lembke («Die Lüge der digitalen Bildung: Warum unsere Kinder das Lernen verlernen»). Nach seiner Auffassung beleuchtet die Stiftung das Thema zu einseitig. «Die Haltung der Bertelsmann-Stiftung zum Thema Digitales ist grundsätzlich positiv. Auch in dieser Studie finden Sie auf 60 Seiten nur die Vorteile, nicht die Nachteile des digitalen Lernens», sagt Lembke. «Es gibt aber keine wissenschaftlichen Beweise. Die OECD hat 2015 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Einsatz von digitalen Hilfsmitteln kritisch zu sehen ist. Und zwar je jünger die Schüler sind, um mehr ist davon abzuraten, wenn es um den Lernerfolg geht.»
Auch bei der Interpretation der Zahlen der Studie meldet der Wissenschaftler der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Zweifel an. «Für jeden Schulleiter ist eine möglichst gute digitale Ausstattung ein Werbefaktor im Kampf um neue Schüler. Eine moderne Schule lässt sich besser verkaufen.» Digitale Inhalte will Lembke nicht generell verteufeln. Er rät aber zum gezielten und ausgewählten Einsatz.
Bundesbildungsminsterin Johanna Wanka begrüßte die Studie am Freitag: «Die Ergebnisse des Monitors Digitale Bildung bestätigen meine Initiative für einen Digitalpakt Schule.» Und weiter: «Ich bin mir mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den Ländern einig: Mit dem Digitalpakt Schule tun wir den entscheidenden Schritt, um das Engagement der Lehrkräfte in der digitalen Bildung zu stärken.»
Wanka hatte im Oktober eine auf fünf Jahre angelegte Bildungsoffensive von Bund und Ländern mit fünf Milliarden Euro für digitale Klassenzimmer in den 40 000 deutschen Schulen angekündigt. Start soll 2018 sein, deutlich nach der Bundestagswahl.
Aus der Opposition kam dagegen Kritik am Digitalpakt. «Die Bundesregierung muss die Schulen entschlossener und umfassender unterstützen», forderte der Grünen-Bildungsexperte Özcan Mutlu. Der Digitalpakt Schule sei nicht ausreichend, «wenn er denn überhaupt mal kommt». Es brauche eine langfristige Finanzierung. «Das Kooperationsverbot muss endlich aufgehoben werden, damit der Bund die Länder bei diesen Herausforderungen finanziell unterstützen kann.» News4teachers / mit Material der dpa
Die Studie «Die Schulen im digitalen Zeitalter» ist die dritte Ausgabe des «Monitors Digitale Bildung». Mit dieser Serie liefert die Bertelsmann-Stiftung repräsentative Daten zum Stand des digitalen Lernens in den Sektoren Schule, Ausbildung, Hochschule und Weiterbildung. Befragt wurden 2000 Schüler, Lehrer, Schulleiter sowie Experten aus Politik und Verwaltung. Zusätzlich führten die Wissenschaftler Interviews mit Bildungspolitikern.
Gefragt wurde zum Beispiel, «Wie gehen Sie damit um, wenn Schüler ihre eigenen mobilen Geräte mit in den Unterricht bringen?» oder «Inwieweit stimmst Du den folgenden Aussagen zu?»: Mögliche Antworten: «Im Unterricht sollten Handy, Smartphones oder Tablets zum Lernen erlaubt sein» oder «Ich nutze zum Schreiben lieber Stift und Papier als Tastatur» oder «Ich finde es gut, wenn Handys, Smartphone oder Tablets in der Schule verboten werden.»